Kante & Sport – München, Ampere
Der Hamburger Ambitionsrock-Karneval zieht mit fiebriger Intensität durch München: eine Offenbarung.
Für Felix Müller ist das an diesem Abend ein echter Marathon: Bevor er als Gitarrist mit Kante auf die Bühne geht, eröffnet er das Konzert mit seiner eigenen kleinen Band Sport, die ausgelassen der halb vergessenen Tugend des Rocktrios frönt, mit dickem Schweinerockbassisten, herzhaft dreschendem Schlagzeuger und gelegentlichen Noise-Eskapaden. Die Songs ihrer tollen Platte AUFSTIEG UND FALL der Gruppe Sport sind auf angenehme Weise unreifer und unbekümmerter als die der großen Bruderband, hier gibt es nichts Gravitätisches, stattdessen sorglose Lust am Ausbruch – und die heute besonders passende Zeile vom „Vorprogramm der Band, die man leider besser kennt“.
Ebendiese betritt kurz darauf auffallend fröhlich den überhitzten Club, stellt sich artig als „Kante aus Hamburg“
vor und beginnt: „Es ist heiß und es ist schwül. Das Licht zu hell, die Farben grell.“ Es folgt fast das ganze neue Album DIE TIERE SIND UNRUHIG, und war dieses packende Dokument der Leidenschaft schon als Tonträger großartig, so wächst es hier noch mal ein wenig weiter, zu allumfassender Wucht und bestürzender Wahrhaftigkeit. „Ich hab’s gesehen“, kündigt Peter Thiessen als „tiefen Blick in den Abgrund der Apokalypse mit einer guten Portion Humor“ an – von dieser Ambivalenz aus schonungslosem Ernst und heiterer Selbstironie lebt dieses Konzert. „Die Wahrheit“ habe es „in den Chartsganz nach oben geschafft“, witzelt Thiessen über eines seiner zornigsten, düstersten Stücke, „in den Psychiatrie-Charts“. Ganz und gar unglaublich wird es beim insgeheimen Hit der neuen Platte, dem frohgemuten, witzigen „Die größte Party der Geschichte“: Nachdem die jetzt schon legendäre Rap-Passage mit Felix Müller als Türsteher der Hölle bereits für Verzückung gesorgt hat, beginnt Peter Thiessen, der Mann, der immer diese traurigen Texte schreibt, mit „Party! Party!“-Rufen seine Zuschaueranzufeuern, Sport-Bassist und Kante-Gitarrenreicher Christian Smukal hält ein selbst gemaltes „PARTY“-Banner hoch, und Felix Müller urteilt über das Publikum: „Ich glaube, München ist eine ausbaufähige Stadt.“ Vor allem ist München an diesem Abend eine Stadt, die Kante gebannt lauscht, beim meditativen Instrumentalrrip in der Mitte von „Ich kann die Hand vor meinen Augen nicht mehr sehen“, beim Stereolab-Cover „French Disko“, und beim Evergreen „Die Summer der einzelnen Teile“ sowieso. Thiessens lange Haare fliegen, die neue Rockhärte, von der zur Zeit so viel die Rede ist, macht nicht nur Spaß, sondern sehr viel Sinn. Kante singen von der Dunkelheit, dem Rausch, der Hitze und dem Karneval, von Tieren, Straßen, Schatten und von saurer Milch. Sie künden von einem verstörten Lebensgefühl, von der Notwendigkeit des Zweifels und dem Glück des Wandels. Sie sind die wunde Stelle mitten unter uns.