The Singles von Albert Koch


Sie ist vorbei. Schade. Ich persönlich tat‘ mir ja eine Fußball-WM ohne Fußballwünschen. Eine mit vielen tollen Freiluft-Zusammengehörigkeits-Events und Großbildleinwänden und Merchandise und WM-Brot vom Bäcker nebenan und Hintergrundreportagen auf RTL2 und noch mehr Menschen, die sich null für Fußball interessieren und vielen, vielen WM- und Fußball-bezogenen Tonträgerneuveröffentlichungen. Aber bitte ohne Fußball. Die Spiele stören doch nur die Menschen, die sich nicht für Fußball interessieren, bei den Zusammengehörigkeits-Events. Die WM ist vorbei. Zeit, die Aeronauten-Single „Männer Fußball Frauen Sensibel“ (Ritchie Records/Broken Silence) hervorzuziehen, bevor sie komplett Moos ansetzt. Die Schweizer haben vier neue Songs aufgenommen. So toten-hosigen 80er-Jahre-Deutsch-Soul-Punk-Schlager inkl. Bläsersätzen. Nicht ganz so gut wie der Titel.

„Die Schere zwischen Arm und Reich“, läßt uns Justin Balk im sehr persönlichen Anschreiben zu seiner EP „Hi“ (V2/Rough Trade) wissen, „wird immer grösser“ Da sind wir aber froh, daß sie nicht immer weiter auseinandergeht, die Schere. Das wäre nämlich schlimmer. Wie groß die metaphorische Schere zwischen Arm und Reich ist, ist nämlich ziemlich wurscht. Nicht wurscht in diesem Zusammenhang ist daß die Schere zwischen guter und und nicht ganz so guter Popmusik aus Deutschland immer weiter auseinandergeht. Justin Balk balanciert mit den vier Songs, in denen er uns u.a. wissen läßt, daß er noch nie in einem Flugzeug geflogen ist und noch nie auf einem Sofa geschlafen hat, auf der sehr dünnen Linie zwischen Irgendwie-Indie-sein-Wollen und Irgendwie-Schlager-Sein. In 20 Jahren, wenn das ooer-Jahre-Neo-Neo-Wave-Pop-Revival die Welt schocken wird, wird man immer wieder lesen müssen von Bands „die wie Maximo Park klingen.“ Musikmagazine werden historische Geschichten über Maximo Park schreiben. Maximo Park werden sich für die Aufnahmen eines letzten Albums zusammentun. Darauf werden ihre größten Hits zu hören sein, endlich in dem Klang, wie es sich die Band vor 20 Jahren gewünscht hätte. Bis es soweit ist, vertreiben wir uns die Zeit mit Bands, die wie Maximo Park klingen, legen „Suzie (Vertigo/ Universal) von Boy Kill Boy in den CD-Player und stellen unsere Ohren auf Durchzug.

Campus ist eine Band aus München, die vor der Veröffentlichung ihres zweiten Albums die „A New Beginning EP“ [Blickpunkt Pop/Soulfood] raushaut. Selbst als nicht regelmäßiger Atomic-Cafe-Gänger stößt man in München immer mal wieder auf diese Band und ihre hymnischen, semi-melancholischen Indie-Gitarrenpop-Hits, was nicht das Schlechteste ist. Daß diese Musik ausgerechnet in mir die Coldplay-Saite zum Schwingen bringt, muß man sich mal vorstellen.

Das wirkt jetzt schon wie Payola. wenn noch eine Band aus dem Stall des mächtigen Münchner Musik-Impresarios Marc Liebscher ihren Weg in diese Rubrik findet, oder? Die Wahrheit ist, daß Singles ihren Weg in diese Rubrik finden, auf deren Cover Typen zu sehen sind, die so aussehen, als ob sie den Westwind zu ihrem Friseur ernannt hätten. Fertig, Los! sind auch Münchner und ihre EP „Den Westwind ernenn‘ ich zu meinem Friseur“ (Blickpunkt Pop/Soulfoodl fängt schon mal sehr gut an mit dem demnächstigen Indie-Disco-Hit“.Ich kann dich hören“. Und in“.Mal keinen Schwan “ folgt der Auftritt eines der meistunterschätzten Instrumente in der zeitgenössischen Popmusik: des Kazoos. Ansonsten hat es hier melancholische, subtile und lyrische (textlich und musikalisch!) Pop-Musik, die sich Justin Balk vielleicht mal anhören sollte.

Nach längerer Phase des Weggewesenseins kommt DAF-Legende™ Robert Görl mit einer neuen 12-Inch an, die wieder einmal zeigt, daß das Auf-der-Höhe-der-Zeit-Sein nicht zwangsläufig eine Frage des Alters ist. Görls „Seltsame Liebe“ (Gold & Liebe/Neuton] ist ein auf den Punkt kommender minimal-housiger Track, bei dem sich die gegenläufigen Beats zu einem hypnotischen Groove verschachteln. Großartig, sagen wir mal. The Hacker verschiebt „Seltsame Liebe“ in seinem Remix in Richtung Dancefloor nach Detroit. Und der „Miss Yetti Remix“ schafft da eine ekstatische Dramaturgie, wo sich das Original in der joy of repetion gefällt.

I Wo Robert Görl rumtut, ist Hell nicht weit. Sagen wir mal so. ein Amateur-DJ wie du und ich könnte vor einem nicht fachkundigen Publikum Görls „Seltsame Liebe“ scham- und bedenkenlos in Heils „Fun Boy 3“ (International Deejay Gigolo Records/Rough Tradel mixen, und alles wäre gut. Die Hommage an Fun Boy Three. die new-wavige Splittergruppe der Specials, ist eine gleichermaßen funky wie subtile Eteklro-Nummer mit leichtem Acid-Einschlag. Auf der B-Seite gibt’s den Remix des Heil-Klassikers „Passion“: „Passionate!“ im „TraXX Rework“. Dirty Criminal Melvin Oliphant macht aus dem guten Stück einen hypnotischen Dancefloor-Filler mit schwerem Acid-Einschlag.

Achtung! Schweden. The Grand Opening ist eine Band aus Ange, die schon seit Ende 1999 rumtut, aber erst in diesem September ihr Debütalbum veröffentlichen wird, aber vorab schon mal die erste Single „Don’t Drop Off/So Be It“ (Tapete/Indigo) herausbringt. Das ist Tiger-Lou-Melancholie-Düster-Indie-Singer/Songwriter-Pop der Güteklasse A.

Zum Schluß nehmen wir uns das Projekt zweier Musiker aus Abilene, Texas. vor, die sonst in anderen Verbanden zugange sind. John-Mark Lapham ist Mitglied von The Earlies und Micah P. Hinson als Solist unterwegs. Gemeinsam sind sie The Late Chord, die mit „Lights From The Wheelhouse“ (4 AD/ Beggars/Indigo) ihre Debüt-EP herausbringen. Sakraler, hymnischer Gut-Ambient-Drone-Schwulst von den äußersten Rändern des Universums, das Rock heißt. Wie Godspeed! You Black Emperor mit sehr viel Orgel.