Denn der Flashgott macht, was er will
Jan Delay hat sein zweites Soloalbum am Start. Daß ihr seine Lieder singt, möchte er immer noch nicht. Deshalb ist mercedes-dance „Funk mit Clubwumms" Dazu tanzt man!
Deutschland 2006 – ein Idyll, und das Idyll sind wir. Muckelig haben wir’s uns gemacht, bis zur Dachrinne gemütlich in unseren vier BauspaTer-Wänden. Wir sind HD-ready, surfen ohne Ladebalken und singen Fußballlieder—was sind wir subversiv! Und ganz oben in den Charts: Bands wie Silbermond, die so sehr Deutschland, also wir sind, daß es weh tut: 100 Punkte für Wertarbeit, Null für Innovation und Zero-Zero für Konfliktpotential. Talentiert, brav, bieder.
Wird Zeit, daß da mal einer dazwischenhaut, Zeit für einen Nonkonformisten, der der neuen großen Deutschrockkoalition einen Grünen in die Suppe spuckt. Der Stellung bezieht, der eine Meinung hat, sich angreifbar macht. Der frischen Wind reinläßt, Unscharfen in Kauf nimmt, anstatt die Augen zu verschließen. Der es eben nicht gut sein läßt. Wo aber istderMann.der sowas kann? Ist es tatsächlich dieser schmächtige Junge, der im Gesicht kaum mehr Farbe hat als die Sauce Hollandaise, in die er gerade seinen Spargel tunkt? Der zum Interview im Kölner Hilton wie ein kleiner Junge die vielen Ganz- und Halbpromis bestaunt, die hier durchs Foyer huschen?
Seit rund sechs Jahren ist Jan Delay im Grunde und das weiß er auch – einer von ihnen, ein ähnlich bekanntes Gesicht und eine noch bekanntere Stimme als dieser Fernsehkommissar, der vorn am Nobeltresen gerade sein Feierabend-Pils schlürft. „Da wollte ich immer hin „, sagt Jan und grinst ironisch. Denn wo er hingehört, hat er nicht vergessen. „Ich genieße das alles hier-den Laden, dieSuite, das Essen -, weil ich weiß, daß ich mir das in den vergangenen zwölfjahren verdient habe. Aber ich werde mein ganzes Leben lang Distanzzu diesen Dingen halten.“
Pünktlich zum Millennium hatte er seinen ersten ganz großen Hit, ausgerechnet mit dem Cover eines Nena-Stücks. FürdieCompilation POP 2000 zog er dem lupenreinen Popsong „Irgendwie Irgendwo Irgendwann“ erst des Kaisers neue Kleider und dann ein Gewand, fein gesponnen aus Dub und Roots-Reggae, übei. So konsequent und in der Muttersprache hatte das zuvor in diesem Land niemand fertiggebracht. Der Lohn: Heavy Rotation im damals noch halbwegs lebendigen Musikfernsehen, Platin-Ehren und sprunghafte Berühmtheit, die ihm als Jan Eißfeldt und Mitglied des Rap-Trios Absolute Beginner in dieser Form zuvor nicht beschieden war.
Aber damit nicht genug: Angefixt vom Erfolg und angenervt von der mißgünstigen HipHop-Community, legte er in Zusammenarbeit mit der Sam Ragga Band und seinem Produzenten Matthias Arfmann ein Reggae-Album nach, das bis heute widerhallt: searCHING FORTHE JAN SOUL REBELS (in Anlehnung an SEARCHING FORTHE SOUL REBELS von den Dexy’s Midnight Runners von 1980). Das Werk bescherte dem Hamburger lndielabel Buback – das zwar Respektspersonen wie die Goldenen Zitronen und DJ Koze beherbergt, aber damit keine finanziellen Gipfel erstürm t – traumhafte Verkaufszahlen und der Republik einen Reggae- und Dub-Boom, von dem wohl auch Leute wie Gentleman und Seeed profitierten. Vor allem aber war searching.“.eine Platte, deren Komponist und Texter es sich eben nicht bequem machte mit szeneimmanenten Platitüden, sondern der im parolenhaften Stil des Agitprop politisch Stellung bezog und damit den Faden wieder aufnahm, den Rio Reiser schon vor seinem Tod aus der Hand gegeben hatte. „Ich möchte nicht, dass ihr meine Lieder singt“, ballerte er all jenen vor den Latz, die ihn für einen netten Kerl hielten, der sich mit Geld und Privilegien schon irgendwie, irgendwo, irgendwann fügen würde in die gesamtdeutsche Durchschnittlichkeit. Aber nix da: Jan ist ein Provokateur der alten Schule, auf den sie zu Recht stolz sein konnten bei Buback „schließlich „, erinnert sich Jan, „haben die uns schon supported, als wir noch ganz kleine Pisser waren.“
Bald 15 Jahre liegen die ersten Gehversuche als Künstler vor einer breiteren Öffentlichkeit zurück, GOTTING hieß 1993 die erste EP der Absoluten Beginner. Dorthin, ins HipHop-Mutterschiff, kehrte Jan um einige Erfahrungen und Erfolge reicher – nach sei nen Reggae-Eskapaden wieder zurück: 2003 erschien blast ACTION HEROE. Weil schon viele Dämme vom stilprägenden Vorgänger bambule (1998) gebrochen worden waren, wurde die Platte nicht als Spektakel gefeiert und dennoch eines der erfolgreichsten deutschsprachigen HipHop-Werke alleT Zeiten. Damit markieren die Beginner, wenn man so will, gleichsam Anfang und Ende des Deutschrap-Höhenflugs.
Nun also 2006. Höchste Zeit für etwas Neues.
„Ich hör’den ganzen Tag Musik“, sagt Jan. „Und ich zappe nicht weg, wenn mal kein HipHop läuft. Mir ist aufgefallen, daß es noch keine Janzplattegibt aus Deutschland, die so zeitlos ist wie die Sachen von Dr. Dre undTimberlake. Eine, die beides verbindet: dengeilen alten Funkundden neuen Clubwumms.“ mercedes-DANCE heißt der Rückschluß aus diesen Überlegungen, und man kann guten Gewissens „Funk“ dazu sagen. Jan ist es, auf gut deutsch, „scheißegal“, ob er damit möglicherweise all den Reggae- und HipHop-Fans vor den Kopf stößt. „Wenn ich selberdraufflashe, flashen die Leute auch drauf. Ich weiß, dafidasfunktioniert.“ Nicht einmal ein neues Pseudonym – sein DJ-Alias Curtis Eißfeldt hätte sich ja angeboten – hat er sich zugelegt, denn: „Jan Delay macht, was er will.“
Und er singt, wie ihm der Schnabel gewachsen ist: Ja, der Flavour ist braun, und der Groove, der ist Marsch /Und wir haben keinen Stock, sondern ’nen Wald im Arsch “ (aus „Kartoffeln“). Der Stinkefinger gehört zum festen Repertoire, und wem das nicht paßt, der muß die Platte ja nicht kaufen. Die politische Schärfe von searching … erreicht mercedes-DAN c E allerdings nicht. Zwar huldigt J an seinen alten Helden – mit dem Rio-Reiser-Cover „Für Dich“ und einem Auftritt von Udo Lindenberg bei „Im Arsch“. Aber der Schwerpunkt liegt eindeutig auf Tanzen.
Derweil ist Jan mit den Gedanken schon wieder ganz woanders: „Im Moment hör‘ ich Sachen, da hätt‘ ich mir früher für in die Fresse gehauen: Queens ofthe Stone Age, Mando Diao undso’n Zeugs.“ Wird die nächste Platte also Rock? „Warum nicht?“ Eine Konstante bleibt jedoch: Jan – und seine Arbeitsweise:“/c/i geh ‚an alles ran wie an HipHop, ich hab‘ immer Logic oder Cubase vor Augen und die verschiedenen Parts als Samples. Ich lasse Leute was spielen und sample das.“
Und das Leben da draußen im Einheitsland, das sampelt er sich aus der Hamburger Morgenpost. Mal sehen, was als nächstes stinkt.
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