Hirnflimmern


Ein paar Klischees über Berlin.

Bei mir auf dem Weg zur U-Bahn hängt ein Plakat, das auf einen Diavortrag des Überlebenskünstlers Rüdiger Nehberg hinweist. Und da steht, völlig ungelogen und original drauf, ich zitiere Volltext, inkl. Spiegelstriche:

RUEDIGER NEHBERG Ein Leben gegen den Strom

-Survival

-Indianer

-Weibliche Genitalverstümmelung

Der Dia-Vortrag

Ich möchte nicht mal anfangen zu versuchen mir vorzustellen, was das heißen soll. Daß sich der Typ neben Survival und Indianern auch mit weiblicher Genitalverstümmelung auskennt? Daß es bei dem Diavortrag atemberaubende Bilder von Survival-Trips, Indianern und weiblicher Genitalverstümmelung zu sehen geben wird? Das nenne ich eine gefühlvolle „Verkaufe“ eines sensiblen Themas. Was für Leute betexten die Plakate von Rüdiger Nehberg? Das schlimmste: Man ahnt, daß es solche Inkompetenz nicht ausschließlich in den Plakatbetextungsbüros von Rüdiger Nehberg gibt. Man stelle sich das vor, hoch-/umgerechnet auf, keine Ahnung, das Handling von Gefahrgütern. Oder das Führen von Atommächten. Hossa.

Aber das hat alles schon wieder nichts mit Rock zu tun, drum an dem Plakat vorbei, runter in die U-Bahn. Da findet man in München noch vereinzelt in alten Wagen Mahnaufkleber aus den 8oern: „Aus dem Walkman tont es grell/ den Nachbarn juckt’s im Trommelfell“. Kollege Koch schimpft, vorhin sei er, iPod aufm Kopp, doch glatt in der U-Bahn angequatscht worden von einer: „Könnten Sie das bitte etwas leiser machen?“ Eine Mittzwanzigerin sei das gewesen, höchstens. Ja, nur die U-Bahn könne er Leider nicht leiser machen, antwortete Koch, schlagfertig. Aber sauer ist er jetzt. In Berlin, jaaa, in BERLIN, würde dir das NIE passieren, daß dich einer in der U-Bahn wegen so was anquatscht! Ja, Koch, und warum? In Berlin käme niemand auf die Idee, jemanden in der U-Bahn zu bitten/anzuweisen, den iPod leiser zu machen, weil’s da halt als Antwort direkt eins auf die Fresse gäbe oder zumindest die Ahnung, daß es sofort direkt eins auf die Fresse gäbe, so in den Köpfen sitzt, daß keiner darauf käme, Mitmenschen in der U-Bahn wegen irgendwas anzulabern. Weil da ein Klima der Angst herrscht, so! Cool wäre es eh gewesen, wenn die Mittzwanzigerin – und das wäre dann eben auch eher in Berlin als in München vorstellbar – gesagt hätte: „Könnten Sie das bitte etwas leiser machen? Ich finde nämlich die neue Daft Punk maßlos überschätzt. HOMEWORK damals war großartig, bahnbrechend in seiner Reduziertheit bei gleichzeitiger schlüssiger Zusammenführung disparater Strukturen in der Dance-Musik. Mit DISCOVERY konnte ich schon weniger anfangen, sehe das Album aber noch im Zeitkontext als halbwegs gelungenes Spiel mit gängigen Pop-Codes. Aber jetzt HUMAN AFTER ALL? Ich weiß wirklich nicht, was dieses überkommene Wiederkäuen abgegriffener Schemata soll. Konnten Sie das also bitte etwas leiser machen?“ Das wäre cool gewesen. Aber wo gibt es noch so coole Mittzwanzigerinnen?