KeinTag ohne Gala!


Michael Sailer hat einen geheimen Wunsch für das Popjahr 2005.

SEHR GEEHRTE UNTERHALTUNGSINDUSTRIE, WIE SOLL DAS EIGENTLICH WEITERGEHEN? Eure Kunden winden sich an den Kaufhauskassen in Koliken angesichts der Terrorkatastrophen, die ihr als „Trends“ inszenieren möchtet. Kein Zweifel: Die Popindustrie ist über kurz oder lang, dem Untergang, geweiht – und zwar dem Untergang in dem Ozean von Geld, das euch kostengünstig erstellte Produkte wie Tankstellencompilations voll mit stinkigen Alt-Hit-Socken, in militärischen TV-Camps auf hilfloses Nachäffen nicht nachäffenswerten Schrotts gedrillte Drei-Tage-Popstar-Vogelscheuchen, aufgeblasene Fließband-Rock-Kopien und massenweise von Hobbyraum-Autisten zusammenprogrammierte Tanzgeräusche ins Haus schwemmen. Verzweifelt versucht ihr. die Flut zu stoppen, indem ihr zum Beispiel euren Schießbudenfiguren mit Überschallflugzeugen Fastfood um den halben Erdball fliegen lasst – alles vergeblich, die Kohle wird immer mehr.

ES WIRD ZEIT, LIEBE BOSSE, sich an die gute alte Lehre von der Verausgabung zu erinnern. Was haben Könige, Kaiser, Fürsten und Millionäre aller Weltalter mit den Reichtümern getan, die ihre Untertanen erschufteten? Was tun die Hollywood-Könige und -Kaiser unserer Tage, die Superstars, Tennisspieler, Ministerpräsidenten und Millionenerben mit dem Geld, das ihnen dank schmerzhaften Einschnitten, Verzicht und Sozialumbau auf die Konten flutet? Sie gaben und geben es aus. und zwar sichtbar: für 500-Zimmer-Villen, Luxusyachten, vergoldete Bentleys, rauschende Feste mit tausendfacher Kamerabestrahlung, kosmetische Operationen bis zur Monstrosität, Kaviar-Überdosen, champagnerinduziertes Delirium Tremens, quälende Dauersitzungen bei Nobel-Psychiatern, die ihre exorbitanten Honorare wiederum umgehend in denselben Kreislauf einspeisen usw. – da solltet ihr euch ein Vorbild nehmen!

FREILICH, SPASS MACHT DAS NICHT – aber genau das ist der Sinn der Sache: Überfluss erzeugt Überdruss, lautet die Botschaft, die dererlei trübe Funkelexzesse ins Volk senden. Das wollen die Leute sehen: wie der Protz sich quält: darin liegt seine gesellschaftliche Aufgabe. Nicht auszudenken, was geschähe, wenn auch nur der Verdacht entstünde, diesen Leuten gehe es eventuell gut bei ihren Orgien und mit ihrem Luxusmüll – Sozialneid bis hin zu Aufruhr und Revolte wäre die unausweichliche Konsequenz. Dann hieße es bald nicht mehr: „Deutschland ehrt seine Stars!“

DAS SOEBEN ZITIERTE „BAMBI“-MOTTO trifft den Punkt. Du nämlich, liebe Unterhaltungsindustrie, bist in einer beneidenswerten Situation: denn nichts macht so wenig Spaß, nichts ist derart quälend, abschreckend und launeverhagelnd wie die öffentliche, televisionär in Millionen Haushalte verstrahlte „Verleihung“ von „Awatds“ und ähnlichem Krempel – nichts ist folglich auch derart wirksam für den sozialen Frieden im Land und in der Welt als stundenlang sich dahinschleppende „Galas“ mit gesichtslosem Pop- und Rap-Kroppzeug, das irgendwelche unförmigen Blech- und Plastikgegenstände in die Hand gedrückt bekommt und „Ich danke vor allem bla bla bla“ sagen muss, woraufhin ein neues Exemplar auf die Bühne schlurft und die „Verleihung“ des nächsten „Awards“ an eine weitere Nullnase ankündigt. Die Devise muß lauten: Protzen statt Kleckern! Für eine der erwähnten Ansagen („Freue ich mich, nun bla bla“) so haben wir erfahren, zahlt ihr euren Künstlern bis zu die 50.000 Euro – Schluss mit der Knausereil Gebt ihnen Millionen! Sorgt dafür, dass jeder siebtklassige Öltank-Imitator nach seiner ersten Rap-Single mit Geld nur so um sich pfeffern kann! Und dann stellt ihn sofort auf eine TV-Bühne und scheißt ihn zu mit euren „Awards“! Erste Schritte sind getan, nun braucht es Mut zur Konsequenz – wir fordern: Kein Tag ohne Gala! Kollateralschäden werden sich nicht vermeiden lassen, speziell im kulturpessimistischen Milieu wird es zu der einen oder anderen Desperations-Entleibung kommen. Das muss euch nicht kümmern und nicht stören – alles hat seine Risiken und Nebenwirkungen, und die renitenten Kerle stehen dem Trend zur Nullkultur mit ihrer Nörgelei doch sowieso bloß im Weg. Tu deine Pflicht. Industrie: Lass tausend „Awards“ blühen!

MIT FREUNDLICHEN GRÜSSEN Michael Sailer