Marilyn Manson & Peaches Berlin, Velodrom
Alle wollen nach Berlin. Die Kanadierin ist schon da und macht Radau. Der provokante Ami ist auch immer öfter da und macht noch mehr Radau.
Eines muss man der guten Peaches lassen: Mut hat sie. Nicht jeder Act wagt es, vor gut 10.000 Zuschauern eine Ein-Frau-Show hinzulegen. Leider spielt der Tonlechniker nicht mit. Bei einer Person auf der Bühne hat er eigentlich kein allzu schweres Amt. doch trotzdem schafft er es nicht, den Krawall der Kanadierin mit der nötigen Lautstärke zu versehen. Aber egal. „I don’t give a shit“. brüllt sie burschikos. Die Musik kommt vom Band und erinnert abwechselnd an Sigue Sigue Sputnik, Suicide und alte Punk-Kamellen. Doch Miss Nisker muss zu weiteren Mitteln greifen, damit man überhaupt von ihr Notiz nimmt. Ihren anfänglich noch ordentlich verhüllten Korper entblößt sie zusehends. Später singt sie ein Duett mit Iggy Pop. der auf einer Leinwand erscheint. Die meisten Zuschauer können mit dem minimalistischen Krawallcharme dieser Göre trotzdem nichts anfangen. Kaum ist Peaches von der Bühne, sind Buhrufe nicht zu überhören. Wirklich nicht sehr frauenfreundlich, diese Berliner!
Wollte sich jemand an Ort und Stelle über Marilyn Manson beschweren, hätte er oder sie es schwer. Der God Of Fuck darf die Anlage voll ausreizen und klar und deutlich zum Publikum sprechen. „If God was a woman, id stick one up her arse“ , erklärt er wenig frauenfreundlich, fast ein wenig berlinernd. Zumindest was den brachialblasphemischen Wortanteil betrifft, hält sich der Antichrist danach weitgehend zurück. Dadaismus und satirisches Vaudeville-Singspiel stehen im Vordergrund. Reichsparteitagsbeflaggung und Runen bilden den optischen Rahmen für eine obszön-burleske Rock-Show, mit der Manson einerseits auf die bröckelnde künstlerische Freiheit in der Weimarer Republik verweist.
Andererseits spricht er eine suggestive Warnung aus: Ist der momentane „Bushism“ in den Staaten nicht vielleicht auch Anzeichen für eine herannahende Diktatur?
Zur Unterstützung der Polit-These zieht Manson alle Register grotesken Humors. Er stellt sich mit Micky-Maus-Kostüm auf ein Rednerpult, zeigt den Hitlergrufi mit abknickendem Arm, lässt zwei bestrapste Weibsbilder im Stechschritt marschieren und simuliert mit ihnen Oralsex und andere Körperkost. Die Musik wirkt dabei lange nicht so wuchtig wie sie es noch zu Zeiten von holywooo war. Mehr Abwechslung ist erkennbar. So wird „Doll-Dagga Buzz-Buzz Ziggety-Zag“ von martialischem Getrommel untermalt. Verweise auf Kurt Weil! erscheinen allerdings eher halbherzig. Dennoch wird in ökonomischen knapp neunzig Minuten mehr als deutlich, worum es diesem Rock-Provokateur heute geht. Er inszeniert das große Trash-Theater jetzt mit Witz, und das sehr überzeugend.