Alicia Keys, gerade 21, will die Nummer eins werden – und zwar weltweit. Live kombiniert sie ihr geballtes musikalisches Können mit solidem Entertainment.
München, 9. Juli 2001. Es ist ihre Nacht. Das dumpfe Dicke-Hose-HipHop-Gefaxe, das The Product G & B und ihr Special Guest Wyclef Jean zuvor abgeliefert hatten, sind vergessen, als die junge New Yorkerin – schwarze Lederhose, in der für einen Slip kein Platz mehr war, schwarzes Top. schwarzweißrotes Kopftuch, Rastazöpfe – auf die Bühne kommt und den ersten Akkord in ihr Kurzweil-Keyboard drückt. Binnen Sekunden verstummt das bis dahin fleißig schäkernde Party-Publikum im Ballsaal des Nobelhotels „Bayerischer Hof, in rund 500 Nacken stehen auf einen Schlag alle Härchen stramm. „I’m fallin‘ in and outoflove with you, sometimes I love ya, sometimes you make me blue“ … diese ungeheure Musikalität, derer man da gewahr wird, macht atemlos, ungläubig, regelrecht ergriffen.
Ihr E-Piano beherrscht die 20-jährige mit jener bestechenden Lässigkeit, über die man nur nach Tausenden von Übungsstunden verfügt; es läuft quasi nebenher mit, wird nur selten eines wirklich konzentrierten Blickes gewürdigt. Das brave Arrangement von „Fallin'“, der ersten Single aus ihrem in DeutschI land zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht veröffentlichten Solo-Debüt „Songs In A Minor“, bricht Alicia Keys live gleich wieder auf mit knappen zweistimmigen Instrumentalpassagen, weitaus quirligeren Drums und einer Gitarre, die auf kurzen Solo-Exkurs gehen darf, ohne dieser fulminant kraftvollen Stimme, in der so viel Seele liegt, dadurch Wirkung zu nehmen.
„Ich dachte, zwischen Uns wäre alles okay. Warum zum Teufel rufst du nicht mehr an?“ – auch das famose Prince-Cover „How Come You Don’t Call Me“ erfährt in der Live-Version eine Metamorphose, schiebt nun deutlich mehr nach vorne als die Studiofassung. Der nicht enden wollende Applaus am Ende dieses ausnahmsweise mal viel zu kurzen Showcase scheint die junge Frau fast ein wenig verlegen zu machen, während der Versuch ihres prominenten Mentors Clive Davis, sich mit entsprechenden Gesten endlich Gehör zu verschaffen, gleich mehrfach scheitert. „Es ist noch sehr, sehr früh, diese Karriere hat erst vor ein paarWochen begonnen. Lasst uns also einfach staunen über dieses Talent, das seinen Weg in der Musikwelt soeben erst zu gehen begonnen hat“, wird der einstige CBS-Präsident schließlich sagen, als sich der Sturm der Begeisterung endlich gelegt hat.
Heute, ein gutes Jahr später, ist Alicia Keys ein Weltstar. Von ihren „Songs In A Minor“ hat sie mehr als 8,5 Millionen Kopien verkauft, darunter allein fast 400.000 hierzulande; sie hat – neben diversen anderen Awards fünf der sechs Grammies kassiert, für die sie in diesem Jahr nominiert war (darunter zwei für „Fallin'“ als „Record of the Year“ und „Song of the Year“), ist ein Mediendarling, der Frauenmagazine und Rockpostillen gleichermaßen interessiert. Und sagt von sich: „Es gab keinen anderen Weg für mich. Ich wusste, dass dies meiner war, musste ihm folgen. Ich wusste immer, dass ich dorthin kommen würde, wo ich hinwollte.“ Der Neo-Soul hat mit ihr eine neue schillernde Diva, eine, die sich von HipHop, Rock, Funk und R’n’B ebenso inspirieren lässt wie von Marvin Gaye und Miles Davis.Chopin und Beethoven (siehe „Piano & I“), die ihre Songs größtenteils selber schreibt und auch in Eigenregie produziert.
Und die haufenweise Ziele hat: „Really, really good“ will sie werden, Filmmusiken schreiben und mit ihrer Produktionsfirma Crucial Keys „junge, unverbrauchte Talente aufbauen, ihnen helfen, ihr volles Potenzial auszuschöpfen“. Die inzwischen 21-Jährige könnte sich vorstellen, eines Tages auch zu schauspielern „aber jetzt muss ich mich erst einmal um die Musik kümmern, alles andere kommt später“. Und das tut sie mit der ganzen Leidenschaft einer Vollblutmusikerin, ihre Live-Auftritte inszeniert Frau Keys folglich gerne etwas extravagant – und das ist nicht nur auf ihre Kleidung gemünzt: Das aus dem „How Come‘-Video bekannnte Bühnenbild ist schlicht umwerfend, die Show eröffnet auch schon mal Bachs „Toccata und Fuge in B-moll“, in der Setlist finden sich neben den eigenen Kompositionen (die sie zum Teil solo, zum Teil mit ihrer um einen DJ und eine dreiköpfige Bläsersection verstärkten Band performt oder auch zu Mini-Medleys zusammenschweißt) solche All-Timer wie Roberta Flacks „Killing Me Softly“ in der Fugees-Adaption oder „Someday We’ll All Be Free“ von Donny Hathaway. Und sie versteckt sich nicht ständig hinter ihrem Keyboard, flirtet, dabei die Wirkung ihrer Weiblichkeit voll ausspielend, mit ihrem Publikum, arbeitet richtig hart, um wirklich jeden dort unten zu kriegen – eine Showoman, die genau weiß, dass nicht zuletzt auch die Dramaturgie stimmen muss, soll ein Konzert nachhakig im Gedächtnis haften bleiben. Deshalb schiebt man ihr für „How Come You Don’t Call Me“ auch eine Telefonzelle auf die Bühne – sicheres Indiz dafür, dass Alicia bei allem Anspruch nicht zuletzt auch „nur“ gute Unterhaltung liefern will. Und zwar auf Dauer: „Wenn jemand zu mir sagt: ,Sorry, ich habe deine Show neulich verpasst‘, dann sage ich: Mich dir nichts draus, ich hab vor, das noch 50, 60 Jahre lang zu machen!'“
www.aliciakeys.net