Sportfreunden Stiller: Auswärts Spiel


Das Leben der Rockstars: glamourös, wild, aufregend. Kurzum, eine einzige Party. Die Wirklichkeit sieht ein bisschen anders aus: 48 Stunden unterwegs mit den Sportfreunden Stiller

Sportler haben meist kein Problem damit, früh aus dem Bett zu kommen. Sportfreunde schon. Es ist kurz vor acht, als die Drei am vereinbarten Treffpunkt aufkreuzen. Letzte Tankstelle auf der linken Seite vor der Autobahnauffahrt Richtung Salzburg. Um kurz nach sechs sind der Peter, der Flo und der Rüde aufgestanden, haben zusammen mit dem Marc den Mercedes Sprinter vollgepackt, der sie nun nach Wien bringen soll, wo zwei Tage lang Promotiontermine für das neue Album anstehen. „Guten Morgen“, grinst der Peter schief aus den verquollenen Augen, „das ist einfach keine Zeit für mich.“ Zieht die Wollmütze noch tiefer ins Gesicht und verschwindet in der Tanke. Der Flo und der Rüde klettern ebenfalls aus dem Bus, sehen nicht viel fitter aus und überlegen, ob sie zum Frühstück eine „Heiße Hexe“ zu sich nehmen sollen. Dann entscheiden sie sich doch für eine belegte Semmel vom Bäcker gegenüber.

Der Peter, der Flo, der Rüde. Korrekter: Peter Brugger, Florian Weber und Rüdiger Linhof. Zusammen sind sie Sportfreunde Stiller. Für ihre Fans sind sie nur der Peter, der Flo und der Rüde, zusammen die Sportis. Und da ist dann noch der Marc. Marc Liebscher, DJ und Booker in Münchens erster Adresse für anspruchsvollere Sounds, dem Atomic Cafe, und Betreiber des kleinen Labels Blickpunkt Pop. Offiziell ist er Manager der Sportfreunde, eigentlich aber – auch wenn er kein Instrument spielt – viertes Bandmitglied. Er veröffentlichte in Eigenregie die beiden ersten EPs des Trios – „Macht doch was ihr wollt – ich geh jetzt“ und „Thonträger“ -, organisierte erste Auftritte (unter anderem im Vorprogramm von Green Day und Buffalo Tom) und kleinere Tourneen. Nach zähem Ringen mit diversen Plattenfirmen ergatterte Liebscher für die Sportfreunde schließlich einen Vertrag bei Motor Music. Die Hamburger veröffentlichten vor zwei Jahren das Sportfreunde-Debüt „So wie einst Real Madrid“, das auf Platz 46 der Top 100 einstieg und sich ein paar Wochen in den Charts halten konnte. Inzwischen sind von dem Album mehr als 45.000 Stück verkauft, die Erwartungshaltung der Plattenfirma ist dementsprechend gestiegen. Auch wenn – wie Flo betont „keinerlei Druck ausgeübt wird“, sähen es alle Beteiligten natürlich gerne, wenn der Nachfolger „Die gute Seite“, der am 2.April erscheint, den Erfolg des Erstlings noch ein Stück weit übertreffen würde. Und dafür muss man eben auch mal früher aufstehen.

Viereinhalb Stunden dauert die Fahrt von München nach Wien. Viel schneller geht es nicht, auch wenn Marc den Mercedes Sprinter so richtig sprinten lässt und die in Österreich zugelassene Höchstgeschwindigkeit von 130 km/h auf Autobahnen gern und oft großzügig überschreitet. Nach dem Einchecken geht es noch kurz auf ein Mittagessen in die Kneipe nebenan, Rüde bestellt sich mutig ein Radler, Peter belässt es bei einer Apfelschorle. “ Vielleicht nehmen wir zu wenig Drogen, um so richtig Rock’n’Roll zu sein „, überlegt Rüde. Und ordert dann, um sein Rock’n’Roll-Gewissen zu beruhigen, noch ein zweites Radler. Mehr ist aber nicht drin, denn die Promoterin der österreichischen Plattenfirma der Sportfreunde drängt zum Aufbruch. Erste Station ist FM 4, ein in Österreich und weiten Teilen Bayerns kultisch verehrter Alternative-Sender. Drei verschiedene Interviews sollen in den nächsten zwei Stunden aufgezeichnet werden. Unter anderem eines für das Format „Gästezimmer“. Für letzteres stellen Künstler und Bands eine Stunde lang das Programm zusammen. Interviewer David Pfister meint, dass viele „Gäste“ nicht so richtig viel Begeisterung zeigen, oft gar nicht oder nur schlecht vorbereitet sind und ihnen kaum acht, neun, zehn Songs einfallen, die sie gut finden und in dieser einen Stunde gespielt sehen wollen. Die Sportfreunde haben mehr als zwanzig CDs dabei, jeder seinen eigenen Stapel. Man einigt sich schließlich darauf, dass jeder drei Songs nennt. Die Auswahl fällt schwer, illustriert aber ziemlich gut die musikalischen Pole, zwischen denen sich der Freibad-Pop der Drei bewegt. Rüde schickt die Ramones („Judy Is A Punk“), Soundtrack Of Our Lives („Mind The Gap“ „die beste Band überhaupt“) und International Noise Conspiracy („Capitalism Stole My Virginity“) ins Rennen, Flo entscheidet sich nach langem Hin und Her schließlich für Rival Schools („So Down On“), Get Up Kids („Regrets“) und die Beastie Boys („Body Movin'“), Peter nimmt Buffalo Tom („Taillights Fade“), Oasis („Masterplan“) und Trio („Los Paul“). Danach geht es in das Büro der Plattenfirma. Neun Interviews à 20 Minuten stehen an.

Geduldig erzählen die Sportfreunde von ihrem ersten Auftritt im Freizeitheim Germering, einem verschlafenen Vorort Münchens. Davon, wie Marc sie auf einer Party entdeckt hätte, wo sie noch unter dem Namen Endkrass auftraten. Legendäre Ansage von Peter: „Ich wollte eigentlich nur einmal sagen: ‚Hi, wir sind endkrasss!'“. Sie staunen über die akribische Vorbereitung mancher Gesprächspartner, die sogar wissen, dass Hans Stiller der ehemalige Fußball-Trainer von Peter, Flo und Rüde war. Sie wundern sich über verkopfte Denker, die nachfragen, was es denn nun genau mit dem Albumtitel auf sich habe und wer denn nun wirklich auf der guten Seite stehe. Sie schildern ausführlich die Studio-Sessions, die wie schon für „So wie einst Real Madrid“ – bei Ärzte-Produzent Uwe Hoffmann in Spanien stattfanden. Und bejahen brav, dass er es war, der den Kontakt zu Howie Weinberg in New York herstellte, der für das Mastering zuständig war. Weinberg ist für Soundfetischisten kein Unbekannter, veredelte er doch unter anderem Nirvanas „Nevermind“, die ersten beiden Oasis-Alben, die meisten Beastie Boys-Platten sowie so ziemlich alles von den Smashing Pumpkins. Und selbst als der dritte Interviewer in Folge die für Sportfreunde vermeintlich so originelle Frage nach dem nächsten Fußballweltmeister stellt, kann das die gute Laune der Drei nicht wirklich trüben. Immer wieder plaudern sie auch bereitwillig darüber, dass sie inzwischen von der Musik leben können, dass Flo als einziger sein Sport-Studium abgeschlossen hat, während die akademische Karriere von Peter (Sport) und Rüde (Politik) derzeit auf Eis liegt. Und sie erzählen, dass sie Ende 2002 wieder ein paar Konzerte zusammen mit Readymade unter dem Motto „Ready, Sport, go!“ spielen möchten. So wie sie es in den beiden letzten Jahren eben auch gemacht haben. Und dass es gut sein kann, dass es zu diesen Shows wieder eine exklusive EP geben wird, auf der sie gemeinsam eine charmante Coverversion (zuletzt „Dancing With Tears In My Eyes“ von Ultravox und „Friday I’m In Love“ von The Cure) zum Besten geben. Erst als abends um halb neun die Luft in dem fensterlosen Interview-Raum zum Schneiden ist, der Beginn des Fußball-Länderspiels Deutschland-Israel bedrohlich näher rückt und die Abgesandte der „Wienerin Young World“ allen Ernstes wissen will, ob die Sportfreunde denn zum Oktoberfest in Tracht kommen würden, zieht sich dann doch die eine oder andere Augenbraue genervt nach oben. Aber Peter, Flo und Rüde kontern auf ihre Art, erzählen ihrer letzten Gesprächspartnerin an diesem Tag die sprichwörtliche Geschichte vom Pferd. Die lässt sich erstaunlicherweise darauf ein, und am Ende des weitgehend sinnfreien Interviews muss sogar ein Erinnerungsfoto her. Um kurz vor neun endet der Arbeitstag im Hotel vor dem Fernseher. Rock’n’Roll ist auch was anderes.

Am nächsten Tag springt die Promomühle dafür erst um 15 Uhr an. Wieder stehen Interviews an, wieder die gleichen Fragen. „Wer wird eurer Meinung nach Weltmeister?“ Am Abend soll dann im „Chelsea“ ein Clubkonzert stattfinden, die 150 vorhandenen Tickets wurden von einem Radiosender verlost. Nach den Interviews muss das Equipment aufgebaut werden, im Anschluss steht der Soundcheck an. Wer glaubt, dass ein Vertrag mit einer großen Plattenfirma bedeutet, dass bei den Konzerten dann automatisch reihenweise Roadies und Stagehands Gewehr bei Fuß stehen, irrt. Die Sportfreunde müssen selber ran. Bleibt vor dem Konzert nur noch kurz Zeit für ein Abendessen in der Kneipe gegenüber, wo zwischen Wiener Schnitzel und Salat mit Putenstreifen schnell noch die Setlist ausdiskutiert wird. Kurz nach neun stehen die Drei dann auf der kleinen Bühne. Ein bisschen unsicher, weil sie nicht wissen, wie die neuen Songs ankommen werden. Das Album ist noch nicht raus, das Publikum kennt nur die Vorab-Single „Ein Kompliment“. Aber die Zweifel erweisen sich als unbegründet, Songs wie „Wie lange sollen wir noch warten?‘, „Sportbeat‘ oder „Auf der guten Seite“ werden genauso freundlich begrüßt wie das bekanntere Liedgut des ersten Albums. Knapp eineinhalb Stunden toben die Sportfreunde über die Bühne. Danach sind sie total verschwitzt, aber glücklich. Am nächsten Morgen wird Rüde beim Frühstück sagen: „Das ist es doch, worum es geht. Auf der Bühne zu stehen und den Leuten die Lieder vorzuspielen, was man geschrieben hat. Das ist das Geilste. „Und dafür werden sie auch weiterhin immer wieder mal früh aufstehen.

www.sportfreunde-stiller.de