Element Of Crime: Deutschlands große Rock-Melancholiker sind auf Tour. Der ME war in einem Keller in Berlin zur Probe eingeladen.


„Kann man machen“, murmelt Sven Regener,“kann man schon so machen.“ Er klingt nicht wirklich überzeugt. Auch der zweite Versuch, dem neuen Song „Alle vier Minuten“ bühnentaugliche Dynamik zu verleihen, war nur mäßig erfolgreich. Dabei bleibt nicht mehr viel Zeit -an einem kalten, klaren Dezember-Freitag haben sich Element Of Crime zum letzten Mal im Jahr in einer düsteren Kellerzelle unter dem Flughafen Berlin-Tempelhof versammelt, um für die große „Romantik“-Tournee im Januar und März zu proben. „Lass uns mal die Strophen noch stoischer präsentieren“, bricht Gitarrist Jakob Ilja das Schweigen. „Zwo, drei, vier…“ Für eine Weile versinken alle wieder in der Melancholie des Songs, bis Sven unterbricht. „Richard, vielleicht kannst du beim Refrain noch eine Schaufel zulegen“, bittet er seinen Schlagzeuger. Er wirkt bereits um einiges zuversichtlicher, schiebt sich eine Marlboro Light zwischen die Lippen, zählt ein letztes Mal ein – und der Durchbruch ist geschafft.

Ein paar kleine Veränderungen hier und dort, und plötzlich ist der Zauber da, der Element Of Crime-Songs live so magisch macht. Bassist Christian Hartje bewegt sich gleichmäßig von einem Bein aufs andere, stimmt jeden Ton sensibel mit den Bewegungen von Richard Pappik ab, der völlig versunken an seiner Snaredrum vorbei zu Boden starrt. Jakob llja untermalt die Melodien zurückhaltend mit aufgelösten Akkorden, er achtet dabei auf jede Nuance in Regeners Stimme, der seine Zigarette im Mundwinkel vergisst, bis ihm die Asche auf die Hand fällt.

Niemand weiß so gut wie Regener, dass die Band wach sein muss, um das Publikum zum Träumen zu bringen. Obwohl er sich am Mikrophon der Poesie seiner Texte ganz und gar hingibt, hört er nicht nur jede Ungenauigkeit seiner Kollegen, sondern bewahrt auch noch nach 15 Jahren Element Of Crime die nötige Distanz, um zu jeder Zeit Schönheit von Kitsch und Emotion von Gefühlsduselei unterscheiden zu können. So treibt er die Band bei „Bring den Vorschlaghammer mit“ an, um „dem Text nicht zu viel Gewicht zu geben-das wird sonst belehrend, und das war ja so nicht gemeint“. Bei „Die Hoffnung die du bringst“ wiederum muss er seine Mannen bremsen, damit entscheidende Momente nicht „zu sehr verwaschen“.

Doch da» alles sind Details, das Finetuning einer Band, die seit 1986 zu jedem ihrer zehn Alben getourt hat, die über Jahre gereift und gewachsen ist und heute konzentriert und doch locker mit dem eigenen Repertoire umgeht. Proben verlaufen diszipliniert, aber nicht humorlos – zwischen den Songs ist immer Zeit, eine Flasche mit Pappiks Pfefferminztee kreisen zu lassen („superhartes Zeug“, so Regener nach einem vorsichtigen Schluck) oder kleine Fehler im Timing auf das „elaborierte Playback-Tape“ zu schieben, das „absichtlich mit Ungenauigkeiten ausgestattet ist, damit man Element Of Crime nicht wie den Rolling Stones auf die Schliche kommt“.

Neben den neuen Titeln und einigen englischsprachigen Songs aus den 80er Jahren werden auch die Klassiker wie „Wenn der Morgen graut“ und „Weißes Papier“ geprobt. „Nichts ist schlimmer als eine Band, die in dem Glauben auf Tour geht, eh noch alles zu können“, meint Regener. 2001 hatte er aus diesem Grund wie er halbernst berichtet – regelrecht „Angst vor den Roxy Music-Konzerten“, was sich zu seiner Freude jedoch als unbegründet herausgestellt habe.

„Wenn wir mit drei Gitarren spielen, darf wenig dem Zufall überlassen sein“, erläutert er später. „An den neuen Stücken muss praktisch bis zur letzten Sekunde gefeilt werden – auch wenn es später nicht danach klingen soll. Aber der Sound wird auf der Bühne nie so transparent sein, wie man das gerne hätte. Das ist eine rauhe Sache, gerade in großen Hallen. Da muss man sorgfältig und auch solide spielen. Sonst heißt es dann zu Recht auch ’schlechter Sound‘. Die Leute sagen nicht, dass man schlecht gespielt hat. Die sagen: ‚Komischer Sound – so müllig‘, und denken, der Saal wäre schuld. Aber das hat natürlich viel mit dem Spielen zu tun.“ Und so probt Regener vor jeder Tour, bis die Band die Stücke „wie im Auto-Pilot-Modus“ spielen kann. Hört er bei „As Long As I Love You“, einem Track von 1987 im 5/4tel-Takt, dass „die Fünf noch manchmal zu früh kommt“, dann wird es in der nächsten Probe wiederholt, bis wirklich alles stimmt. „Man muss so gut geübt haben, dass es auch nach sechs Bier noch geht, ohne dass es peinlich wird – das ist ein gutes Kriterium“, sagt Regener. „Auf der Bühne hat man viel schwierigere Bedingungen als im Übungsraum. Da ist es nicht gut, wenn man sich wahnsinnig konzentrieren muss. Da muss alles wie von selbst laufen.“

Als die Musiker nach zwei Stunden Gitarren-, Bass- und Trompetenkoffer durch die neonbeleuchteten Gänge, die den Westberliner Nazi-Bau untertunneln, nach draußen tragen, hält Regener kurz inne und überlegt. „Schreib bitte noch auf, dass ich einen besonders elaborierten Gitarrensound habe“, sagt er und bemüht sich, ernst zu bleiben. „Oft wird von mir als Trompeter gesprochen, aber kaum jemand achtet auf meinen unglaublichen Gitarrenton, weißt du?“

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