Die Trash-Offensive
Und es geht doch noch schlimmer: Auch 2001 senkte das Fernsehen nochmai das Niveau.
Was für eine Karriere: Vor anderthalb Jahren stellte Sandy Mölling, 20, ihr Talent noch im Textilhandel unter Beweis. Konfektionsware auf Kante falten. Bei H&M in Koblenz. Und nun, im Dezember 2001, ist die blonde Sandy ein Fünftel der No Angels, war ein paar Mal in den Charts und kräht in Tateinheit mit Vanessa, Nadja, Lucy und Jessy zusammen mit Donovan dessen Klassiker „Atlantis“. Fürwahr eine schreckliche Allianz – aber eine, die sich mehr als bezahlt macht. Alles ist Pop? Pustekuchen! Alles ist Marketing, so läuft der Hase. Das ist beileibe nicht neu, wurde so schonungslos allerdings noch nie im deutschen Farbfernsehen gezeigt. Der Kulturkanal RTL II verwurstete unter dem Logo „Popstars“, wie fünf Mädels unter fachkundiger Anleitung zu Formatradio-kompatiblen Sängerinnen getrimmt und getriezt wurden. Das Besondere daran: „Popstars“ ist „Big Brother“ mal andersrum. Erst gibt’s die Musik, dann geht’s in den Container und ins Fernsehen. Und das ist nicht nur für die Macher eine erfolgreiche Masche, sondern auch lehrreich für die Zuschauer.
Wie sonst hätten sie entdecken sollen, dass sich manche in der Musikbranche wie ausgemachte Kotzbrocken benehmen. Detlef „Dee!“ Soost zum Beispiel. Sieht aus wie Ayman auf Viagra, nennt Oberarme sein Eigen, die wohl mal Beine werden sollten, hat aber trotzdem nicht nur Strom im Bizeps, sondern auch in der Birne. Und den lässt er frank und frei rausbrizzeln: mal als harter Hund, gegen den ein Drill-Instructor bei der US-Army eine freundliche Grinsekatze ist, mal als Junge-Menschen-Versteher, dem der Restverstand bei Bedarf abhanden kommt und der dann Rotz und Wasser heult. Wer gesehen hat, wie Detlef „Dee!“ Soost zusammen mit Alex „Starproduzent“ Christensen bei der Popstars 2-Auswahl geflennt hat, weiß, dass die Vokabel „Verlogenheit“ ab sofort in eine neue, gar fürchterliche Dimension vorgestoßen ist. Nicht zu vermeiden ist es allerdings, dass auch die „Popstars 2“ – zwei Mädels, vier Burschen, eine Vorstrafe – zu tanzenden und singenden Goldeseln mutieren werden. Warum man allerdings wie wild und vor allem ewig lang gecastet hat, bleibt wohl für immer ein Geheimnis. Nicht das der Jury – die hatte, so las man allenthalben nach dem Ausstieg der naiven Noah Sow („Ich saß am Jurytisch und mir wurde ein Zettel hingelegt, auf dem stand, wen ich als Jurymitglied nicht mehr gut finde und wen die Jury dabeihaben möchte“), ohnehin nichts zu melden. Nebulös bleibt vielmehr, warum die Produktionsfirma „Tresor TV“ – ein unschlagbarer Name in diesem Kontext – nicht einfach in einer x-beliebigen deutschen Großstadt ein paar Scouts an strategisch günstigen Orten platzierte. Eine Freitagnacht vor einer Kölner Ring-Disco, in München-Neuperlach, in Hamburg auf dem Kiez oder in Berlin-Mitte. So Nasen wie Indira, Faiz, Giovanni, Ross und Shaham findest du immer und überall. Und fürs globalisiert-massentaugliche Singen gibt’s eine Gesangstrainerin und ausgefeilte Studiotechnik, und das mit den drei bis fünf Tanzschritten wuppt dann schon Detlef „Dee!“ Soost. Die Fernsehwelt ein Jammertal, und RTL II nicht mittendrin, sondern immer vorneweg.
Umschalten nicht nötig, wir bleiben auf dem Kanal und denken voller Wehmut an eine Zeit zurück, in der Zlatko, Christian und der rot-besträhnte Zonen-Zombie Hanka noch öffentlich sein durften, was sie jetzt erfreulicherweise wieder privat sind: doof. Big Brother. Erinnert sich noch jemand an dieses ach so visionäre
„Reality-TV“-Format? Ja? Nein? Geht so? Vielleicht? „Big Brother“, das war die schnarchlangweilige Container-Baracke in Köln-Ossendorf. Betreutes Wohnen für zumeist junge Menschen, die mehrheitlich nichts anderes in der Birne hatten, als Teil einer Medienkonstruktion zu sein. Alida, Gewinnerin der Big-Brother-Version 2.0, durfte sich pudelnackig für den „Playboy“ knipsen lassen und dilettiert heute beim Mitmach-Fernsehen „Neun Live“. In der „Erotik“-Show „La Notte“. Zumindest gab’s keine weitere „Big Brother“-Staffel. Wenigstens das. Nicht erspart blieb einem im Fernsehjahr 2001 allerdings die Rückkehr einer längst mumifiziert Geglaubten: Margarethe Schreinemakers. Die von RTL und Sat 1 zu Recht ausgemusterte Fachfrau für Krawall- und Tränendrüsenjournalismus gab bei „Big Diet“ die Gutmenschin. Das einzig Erfreuliche an der inszenierten Abspeck-Butze: Bei „Big Diet“ war außer der Moderatorin nur eins mager – die Quote. Und zwar so mager, dass nach Schreinemakers‘ Demission auch Jenny Elvers, die Queen Mum medial verbreiteter Dummheit, nichts mehr reißen konnte. Abgesetzt! Außerdem anno 2001 zu bestaunen: das seifige „Girlscamp“, in dem man ganz doll gebaute Frauen wahlweise ganz doll beim Duschen oder Stutenbeißen beobachten konnte, und ein Format namens „Gestrandet“. Nomen est omen. Der Untergang des Abendlandes, er ist also möglicherweise doch nicht mehr fern – und wer hätte schon gedacht, dass einem „Tutti Frutti“, die kongeniale Strip-Show mit den komplizierten „Länderpunkten“, gegen den Fernsehmüll von heute auf einmal kulturell wertvoll vorkommt? Bleibt der vorläufige Tiefpunkt im deutschen Farbfernsehen: Naddel hat eine ihrer künstlichen Titten wiegen lassen. In der Schwachmaten-Show „Banzai“. Das ist eklig, aber immerhin nachvollziehbar. Hirn schied in diesem Fall ja von vornherein ja aus. Mangels Masse.