Der Historiker


Durch geschickte Zweitverwertung progressiver Klassiker ist Repertoire Records zu einem der bedeutendsten Backkatalog-Labels geworden.

Label-Chef Thomas Neelsen muss immer wieder die Stimme erheben, um kreischende Schlagbohnnaschinen zu übertönen, die von außen in seine kahlen Bürowände hämmern. „So eine Aufbruchstimmung hatten wir das letzte mal bei der Labelgründung vor zwölf Jahren“, freut er sich hinter seinem Schreibtisch in den I lamburger Headcjuarters von Repertoire Records, umgeben von stapelweise Umzugskartons. Verantwortlich für den langen Stillstand von Repertoire war die Bescheidenheit von Neelsens Geschäftspartner Killy Kumberger, der mit dem Motto „Mehr als drei Bier kann ich an einem Abend eh nicht trinken“ Expansion für unnötig erklärt hatte. Neelsen, der einst sein Geld als Händler auf Plattenflohmärkten verdiente, hatte Ende der 80er fahre mit Kumberger den Versuch gestartet, Profit aus der Zweitverwertung von Musik zu schlagen. Die erste Veröffentlichung 1988 war die Vibrators EP ‚Disco in Mosco‘, eine Platte, die damals bereits acht lahre alt war. „Dazu hatten wir ein paar obskure Madonna-Aufnahmen aus der Zeit vor ihrer Karriere“, erzählt Neelsen von den Anfängen seines Unternehmens. “ Kumberger gab mir einen Monat, um unsere Kosten von 6000 Mark wieder reinzubekommen. Ich hab das Zeug losgebracht, am Ende blieben 400 Mark übrig.“ Ein kleiner Erfolg, der endgültig Kumhergers Interesse am Projekt „Repertoire“ weckte: Er aktivierte die Kontakte, die er als ehemaliger A&R-Mann derWEA in der Branche hatte und ließ als alter l-‚an der seichten Unterhaltung die „Schlagerdiamanten“ der 50er und 60er lahre pressen. „Unser musikalisches Spektrum war von Beginn an sehr breit“, so Neelsen, der im gleichen lahr mit der ersten CD-Compilalion von Neue Deutsche Welle-Klassikern einen hervorragenden Treffer landete. „Bemerkenswert war auch unsere sechste Veröffentlichung, aber nur, weil sie so ein Griff ins Klo war“, lacht Neelsen. „Wir haben die Bänder von vermeintlichen lerty Lee I^ewis-Aufnahmen gekauft, die er in den I lamburger Tennessee-Sludios‘ eingespielt haben soll. Die Platte war ein lahr auf dem Markt, bis wir rausgefunden haben, dass das ein kompletler Eake war – irgendein Typ, der klang wie leny Lee Lewis“. Ab 1 990 kristallisierte sich bei den Veröffentlichungen eine klareres Profil heraus, Repertoire wurde als Einnenname etabliert, der schwerpunktmäßig für qualitativ hochwertige Progressive Rock-Wiederveröffentlichungen stand. Knapp 40 Prozent der Einnahmen stammen bis heute aus Lizenzgeschäften, Repertoire stellt häufig Titel zur Verfügung, die andere Plattenfirmen auf Compilations verkaufen. Erfolgreichstes Heispiel ist die „Best Of liis am Stiel „-Serie mit Rock’n’Roll Nummern der 50er und 60er lahre, die nach der Titel-Zusammenstellung und -Freigabe durch Repertoire bei Edel über 350.000 Stück verkauft hat. Nach dem krebsbedingten Tod von Killy Kumberger 1998 kann nun Thomas Neelsen ungehindert seine Visionen verwirklichen – wobei es weniger um das vierte Bier am Abend als um den Erhalt der Konkurrenzfähigkeit am Markt geht. „Wir haben jetzt ein londoner Büro, bauen einen eigenen Vertrieb auf, um international stärker präsent zu sein, und suchen mit neuen Projekten den Bezug zur Gegenwart“, erläuten Neelsen das neue Konzept. “ Backkatalog“ ist für Neelsen alles, „was älter als eine Woche ist“, für relativ aktuelle Projekte hat er allerdings das Sublabel RÜ.2 gegründet. Don wird auch in absehbarer Zukunft ein „Best Of l’rankie Coes’Eo I lollywood Remixed“ (.Arbeitstitel) Album erscheinen, für dessen Realisation Neelsen die Rechte an den relevanten Trevor I lom-Produktionen erworben hat. „Damit könnten wir sogar endlich in die Charts gehen. Das war‘ mal was, nach zwölf lahren!“. (lin)

EASYBEATS

Friday On My Mind 2:42 Die erfolgreichste australische Band der 6oer Jahre war einst auf ihrem heimischen Kontinent fast so populär wie die Beatles. Nach unzähligen Top 10-Erfolgen hatten die Songschreiber George Young (in der Tat der Bruder von AC/DCs Malcolm und Angus Young) und Harry Vanda genug Selbstvertrauen getankt, um 1966 ihr Glück in London mit dem Whound Kinks-Produzenten Shel Talmy zu versuchen. Der erste (und nur der erste) Versuch war erfolgreich, die Single „Friday On My Mind“ knackte tatsächlich den englischen und amerikanischen Markt. Bevor das kreative Duo in den 7Oern Flash And The Pan ins Leben rief, geriet man mit „Friday…“-Nachfolge-Singles wie „Good Times“ bei Plattenkäufern in Vergessenheit, obwohl Lou Reed und Paul McCartney gelegentlich Lob aussprachen.

GARY BROOKER

(No More) Fear Of Flying442 Gary Brooker aus dem englischen Essex war als Procol Harum-Mastermind für „A Whiter Shade Of Pale“ verantwortlich. Zwei Jahre nachdem sich PH 1977 aufgelöst hatten, startete Brooker eine Solo-Karriere mit dem viel gelobten „No More Fear Of Flying“-Debüt. Mit annehmbaren aber wenig erfolgreichen LPs und Aushilfsjobs als Eric Claptonund Alan Parsons-Tourmusiker rettete er sich musikalisch über die 80er, während sein Hauptanliegen über lange Zeit der Pub war, in dem er mit seiner Frau hinterm Tresen stand.

FLASH AND THE PAN

Down Among The Dead Men 446 Flash And The Pan ist eines der erfolgreichsten Teilzeit-Projekte der Musikgeschichte. Lediglich zum Zeitvertreib hatte das hyperaktive Easybeats-Song-Schreiber- und Produzenten-Duo Vanda/Young 1976 einige Aufnahmen als Flash And The Pan gemacht, niemand rechnete mit dem großen Erfolg. Die Single „Hey St, Peter“ schlug allerdings überraschend 1979 international ein, so dass die beiden das Debüt-Album „Flash And The Pan“ zusammenstellten. Die zweite Single war „Down Among The Dead Men“ (auf der CD im ME), durch heftigen Radio-Einsatz kletterte die LP sogar ohne Promotion und Tournee in die amerikanischen Top ioo,“Waiting ForA Train“ und „Midnight Man“ waren die Hits in Deutschland.

STRETCH

Why Did You Do It? 3:30 Hätte Stretch-Sänger Eimer Gantry auch nur ein kleines bisschen seine Gleichgültigkeit überwunden, mit der er Themen wie Karriere und Medien gegenüber stand, aus ihm hätte ein ganz Großer werden können. Als Stretch 1975 mit staubtrockenem britischen Bluesrock auf den Plan traten, hatte Eimer bereits eine kuriose musikalische Vergangenheit hinter sich: Nach zwei vergessenen Alben mit Velvet Opera tourte er durch Amerika als „Fleetwood Mac“, Monate nach der Auflösung von Mick Fleetwoods Original. Als Gantry die Nase von Klagen und Gerichtsterminen voll hatte, gründete er Stretch, hatte aber kein Interesse daran, durch Tourneen auf sich aufmerksam zu machten. Nach kurzem Hiterfolg mit dem famosen Clubklassiker „Why Did You Do It“ verschwand der Kauz Eimer bedauernswerter Weise wieder von der Bildfläche

ALVIN LEE

l’m Writing You A Letter (live) 4 52 Hamburg war in den boern ein fruchtbares Pflaster für englische Beat-Gruppen:Auch der Ausnahmegitarrist Alvin

Lee begann mit den Jaybirds auf der Reeperbahn, bevor er 1966 in England den Namen zu Ten Years After änderte. Über Jahre galt er als schnellster Gitarrist auf dem Planeten, sein „l’m Going Home“ in Woodstock 1969 ist bis heute legendär. Müde vomTYA-Bandleben löste Lee die Truppe auf, begann mit Solo-Arbeit und spielte die „In Flight“-LP 1974 live im Londoner Rainbow Theatre ein.

FRANKIE MILLER

Play Something Sweet (Brickyard Blues) 336 In den 6oer Jahren hat Glasgow mit Maggie Bell, Alex Harvey und Jack Bruce einige der bedeutendsten Bluesrock-Musiker Englands hervorgebracht – eine Tradition, die mit Frankie Miller 1972 fortgesetzt wurde. Der junge Schotte orientierte sich gesanglich an Soul-Größen wie Sam Cooke oder Otis Redding und entwickelte tatsächlich einen überraschend ’schwarzen‘ Stil. Nach gescheitertem Karrierestart in London zog er nach New Orleans, um mit dem legendären Produzenten und Komponisten Allen Toussaint zusammenzuarbeiten. Das Ergebnis war das Erfolgsalbum „Highlife 11 (1974), aus dem wir den Toussaint-Song „Something Sweet“ ausgewählt haben.

DAVE STEWART & COLIN BLUNSTONE

What Becomes Of The Broken Hearted 553 Als Sänger der Zombies war Colin Blunstone (Foto) einer der gewaltigsten Rock-Shouter der 6oies, Dave Stewart (kein Bezug zum Eurythmics-Frontmann) verdiente sein Geld als Keyboarder der relativ unbedeutenden Progressive-Rockband Egg. In den goldenen Jahren der New Wave Ära nahmen die beiden 1980 den Motown-Klassiker „What Becomes Of The Broken Hearted“ neu auf, sparten nicht an Keyboards und scorten einen Hit.

ASHTON, GARDNER 8c DYKE

Resurrection Shuttle 3:11 Ashton, Gardner & Dyke war ein englisches Rocktrio mit Tony Ashton (keyboards), Kim Gardner (Bass) and Roy Dyke (Drums). Ashton gründete die Band 1968, spielte vier Alben ein und löste das Projekt’72 wieder auf. Zum einzigen Hiterfolg kamen sie mit dem „Resurrection Shuffle“, der die Top 40 in Amerika und Platz 3 in England erreichte. Ashton arbeitete später mit Roger Chapmans Family und Jon Lord zusammen.

CHAMBERS BROTHERS

Ca Me 319 Die vier Brüder aus Flora in Mississippi gründeten zunächst eine Gospel-Gruppe, bevor sie in der 6oer-Jahre-Disco-Szene New Yorks zu Stars aufstiegen.

Später lebte und arbeitete die Familie in Los Angeles und hatte einige kleinere Hits.Trotz der Verwurzelung im Gospel und Soul wurde der Sound der Chambers Brothers im Laufe ihrer Karriere rauer und rockiger, wie „Call Me“ auf der ME-CD dokumentiert.

NORMAN GREENBAUM

Spirit In The Sky358 Eine tragische Figur der Rockmusik, wie es so viele gibt: Norman Greenbaum tat, was er konnte, um dauerhaften Erfolg im Musikgeschäft zu haben, und es waren ihm doch nurWarhols“i5minutesof fame“ gegönnt. In den frühen 6oern versuchte er sich mit wahrscheinlich Hunderten von Mitstudenten der Boston University im Folk-Gesang und -Geklimper, landete aber erst 1969 einen Top 10-Hit mit „Spirit In The Sky“. Als Doctor & The Medics 1986 mit der Cover-Version selbst zum One-Hit-Wonder wurden, arbeitete Greenbaum längst auf seiner Milchfarm in Kalifornien.

THE HERD

From The Underworld 3:14 Keine drei Jahre hatte diese englische Beat-Band Bestand, und doch war sie das Projekt, mit dem der junge Peter Frampton zum ersten Mal Superstar-Luft schnupperte: Frampton war 17 Jahre alt, als „From The Underworld“ in England in die Top 10 ging. Ein Jahr später wurde er zu Englands „Face Of The Year“ gewählt, verließ die Band und gründete Humble Pie. Herd-Gründungsmitglied Andy Bown schloss sich ’72 Status Quo an, wo er bis heute glücklich musiziert.

UFO

PrinceKajuku3:56 Als „Hocus Pocus‘ gründeten Gitarrist Mick Bolton und Bassist Pete Way die britische Space Rock Boogie Band 1969, die nach der Umbenennung zu UFO erstaunlichen Erfolg in Japan, Frankreich und Deutschland hatte. In England waren die Schweißrocker zunächst wenig angesehen, ihr drittes Album wurde ausschließlich in Japan veröffentlicht. Die bitch-ass Rock’n’Roll-Nummer „Prince Kajuku“ auf der ME-CD wang/i Single und erhielt ihren Titel nicht ohne Willkür, wie sich Sänger Phil Mogg erinnert:“Einer der Roadies hatte eine Afro-Frisur und wir nannten ihn Prince Kajuku. Wir brauchten einen guten Songtitel, ich weiß nicht, was wir uns dabei dachten.“

THE TURTLES

Elenore 231 Als Antwort auf den Bandnamen . „Byrds“ nannte sich das kalifornische Quartett um Howard Kaylan und Mark Volman „TheTurtles“ und komponierte in den Jahren zwischen 1965 und 1969 einige der schönsten Popsongs der Dekade. Unter dem Druck der Plattenfirma, ein zweites „Happy Together“ zu veröffentlichen, versuchten die Turtles 1968 ihr Glück mit „Elenore“ und landeten tatsächlich einen weiteren weltweiten Hit. Im gleichen Jahr spielten die Turtles im Weißen Haus für Tricia Nixon, eine Veranstaltung, bei der Mark Volman angeblich von Abraham Lincolns Schreibtischplatte Kokain schnupfte- nur zwei Jahre, bevor er bei den Mothers Of Invention des Drogengegners Frank Zappa einstieg. Wiedervereint als Flo & Eddie erreichten Kaylan und Volman später noch einmal Kultstatus.

MICHAEL CHAPMAN One Time Thing 4:49 Der Kunstlehrer Chapman entwickelte sich im englischen Yorkshire zu einem der angesehensten Singer/Songschreiber Großbritanniens. Ab 1967 konnte man den eigenwilligen Folkkünstler in örtlichen Clubs hören, sein Debüt-Album „The Rainmaker“ erschien 1969 bei dem legendären Label Harvest. Chapman war stets nur in Insider-Kreisen bekannt, veröffentlichte aber bis heute eine Vielzahl qualitativ hochwertiger Alben.