PJ Harvey
SIE LÄCHELT. AUSGERECHNET POLLY JEAN HARVEY, früher eine bärbeißige Schwerenöterin, scheint ihr Dasein im Rampenlicht auszukosten. Die schwarzen Haare sind gelockt, ein rotes Oberteil signalisiert Aufflammen amouröser Leidenschaft, der knielange dunkle Rock hüllt die Sängerin ein wie ein Nachtschattengewächs. Richtig souverän wirkt Harveys Auftreten dabei immer noch nicht. Der unrhythmisch-abgehackte Bewegungsablauf erinnert stark an ihren Ex-Liebhaber Nick Cave. Mehr als ein zögerliches „Thank you“ kommt ihr trotz spürbarer Zuneigung der zahlreichen Fans im ausverkauften Saal nicht über die Lippen. Aber sie strahlt weit mehr Natürlichkeit aus als noch vor drei Jahren auf der „To Bring You My Love“-Tournee, wo sie als Femme Fatale auf dem Podest posierte. Pollys Musik hat einen fast beängstigenden Grad an Perfektion, Vielfalt und Tiefgang erreicht. Man spürt, wie sich die Engländerin von echten Emotionen leiten läßt, auf deren Impulse ihre vier Musiker, darunter wieder ihr Vertrauter John Parish, mit avantgardistischer Lautspielkunst reagieren. Schroffe Rock-Riffs, mit denen die Chanteuse in der ersten Zeit auf sich aufmerksam machte, sind klar in der Minderheit. Polly versteht es inzwischen, mit sanften Mitteln zu verführen, ohne dabei ein Jota an altbekannter Intensität einzubüßen. Gleich der erste Song, die aufwühlende Ballade „Catherine“, macht deutlich, daß Polly ihren Auftritt eher als Seance denn als kathartischen Krach-Event abzuhalten gedenkt. Bei „Heela“ greifen die Musiker zwar zu Fender-Stratocaster, Bass und Schlagzeug, doch dienen phonstarke Zwischentöne wie diese nur der Betonung ohnehin knisternder Spannung. Bei „A Perfect Day Elise“ wechseln die Musiker wieder einmal ihre Instrumente, spielt John Parish Drums und bedient der Schlagzeuger einen handlichen Synthesizer. „Is This Desire?“ fragt Polly gegen Ende des Konzerts. Die längst in Trance abgetauchten Untertanen bejahen die Vertrauensfrage mit lautstarkem Beifall und entlassen die Königin der Nacht beglückt in ihr Gemach.