Wie sich adidas mit einem simplen Trick den Sneaker-Markt zurückerobert
Jahrelang verlor die „Weltmarke mit den drei Streifen“ immer mehr Boden auf ihren stets hipper und jünger wirkenden Konkurrenten Nike. Dann kam dem Konzern aber ein Geistesblitz: Die Schuhe mussten gezielt vom Markt genommen werden...
Den Kardinalfehler begann adidas irgendwann in den 1980er-Jahren: Ein Mittelsmann bot dem damaligen Weltmarktführer das junge, aufstrebende Basketballtalent Michael Jordan als Werbegesicht an. Doch adidas wusste nichts mit dem Lulatsch aus North Carolina anzufangen und ließ ihn zu Nike ziehen. Der Rest der Geschichte ist bekannt: Nike und Jordan erschufen mit dem Jumpman eines der ikonografischsten Logos der Geschichte und setzten sich über Jahrzehnte mit den Air-Jordan-Basketballschuhen an die Spitze des US-Markts.
Doch diese Phalanx bröckelt. Air Jordan mangelt es bereits seit Jahren an bahnbrechenden Designs und Innovationen, Nike versinkt parallel immer tiefer in Lethargie – und genau die wird dem alles überragenden Sportmarken-Giganten gefährlich. Denn erstmals nach 10 Jahren kam im vergangenen Jahr der meistverkaufte Sneaker auf dem US-Markt nicht von Nike – sondern von adidas.
Kein Schuh verkaufte sich laut den Marktforschern der NPD Group (ungünstige Firmen-Abkürzung=) 2016 so oft wie der adidas Superstar. Also ein Schuh, der 1970 gelauncht wurde und dem Run DMC bereits 1986 mit „My adidas“ ein musikalisches Denkmal setzten. Wie es dazu kommen konnte? Nun, adidas bediente sich eines extrem simplen Tricks – sie nahmen den Schuh vom Markt.
Im Hintergrund arbeitete adidas ein difiziles Marketinggeflecht aus, um der schlafenden Legende Superstar eine triumphale Rückkehr auf den Sneaker-Thron zu verschaffen: Stars und Influencer erhielten exklusive Samples, trugen den Schuh in der Öffentlichkeit und auf Events, droppten in Gesprächen immer wieder, dass sie keine Treter mehr lieben würden, als diesen Klassiker der adidas-Geschichte. Genau in diese Aufruhr um den Superstar öffnete adidas wieder den Zugang zu ihm, lehnte sich zurück und schaute zu, wie Kids, Fashionista und Junggebliebene ihnen die Lager leerkauften.
Die Strategie perfektioniert hat adidas jedoch mit dem Stan Smith. Der Tennisschuh zählte bereits vor seinem Relaunch 2014 als einer der meistverkauften Schuhe des Unternehmens. Doch erst in den vergangenen drei Jahren ist das nach dem ehemaligen Wimbledon-Sieger benannte Paar zu einem popkulturellen Heiligtum geworden.
Zwei Jahre waren die minimalistischen Kicks aus den Regalen verschwunden. In dieser Zeit entfachte adidas einen immer noch anhaltenden Hype, der auf dem Weg ist, den Stan Smith 2017 zum am meisten verkauften Schuh zu machen: Nicht nur, dass Gisele Bündchen bei einem Aufsehen erregenden Shooting für die französische Vogue 2013 nichts weiteres als weiße Tennissocken und Stan Smiths trug. adidas ging auch den entscheidenden Schritt auf seine Kundschaft zu und ermöglichte es dem Otto Normalverbraucher, sich seine Schuhe per Twitter zu personalisieren. Das Konterfei von Stan Smiths konnte gegen das eigene ausgetauscht werden.
Influencer und Stars prügelten sich darum, wer als erstes das Comeback der Stan Smith erahnt und initiiert habe, der notorische Kollaborateur Pharrell Williams designte adidas ein paar streng limitierte Exemplare und selbst High-Fashion-Designer wie Raf Simons nutzten den Stan Smith als Leinwand für ihre Kunst und Selbstdarstellung. Dem Schuh und dem Kaufrausch schadete das in keiner Weise. Vielmehr begannen Fashion- und Urban-Lifestyle-Blogs rund um die Welt den Stan Smith zum zentralen Stück eines jeden gut sortierten Schuhschranks zu erheben. Der Hype nahm solch abstruse Formen an, dass der Stan Smith in Foren und Diskussionsspalten zum einzigen weißen Kleidungsstück ernannt wurde, das es über die sagenumwobene Schwelle des Berghains schaffen würde.
adidas‘ Kampagne hält uns aber auch vor allem selbst den Spiegel vor. Sie zeigt, wie anfällig unsere Generation für Hypes ist – auch wenn diese in der Petrischale entstanden sind wie im Falle der Stan Smith. Influencer und Promis sind für Unternehmen wie adidas längst zum effizientesten Marktforschungs- und Werbeinstrument geworden. Wenn Chiara Ferragni, eine der Hauptakteurinnen im Stan-Smith-Hustle, ein Foto bei Instagram postet, erreicht sie damit nicht nur 10 Millionen User, sondern verkauft auch die an ihr zu sehenden Produkte an 10 Millionen Fans, die sich so kleiden wollen wie sie. Denn der Faktor der Verknappung und Exklusivität spielt in der Stan-Smith-Story eine essentielle Rolle. Durch das über Wochen und Monate andauernde Teasern der Sneaker auf den wichtigsten Blogs und Instagram-Feeds wurde die Erwartungshaltung aufgebaut, dass man den Kauf zur „cool crowd“ gehört.
adidas dürfte dieser kleine moralische Tadel unsererseits ziemlich egal sein. Sie fahren extrem erfolgreich mit dieser „Hide-And-Seek“-Strategie und etablierten so die beiden Wildleder-Sneaker Gazelle und Campus wieder im erfolgreichen Originals-Kosmos.
Von adidas‘ Ängsten aus dem Jahr 2014 – den Anschluss an Nike vollends zu verlieren und Platz 2 am US-amerikanischen Schuhmarkt an die Senkrechtstarter von Under Armour zu verlieren – ist nicht mehr viel übrig. Under Armour hat durch seine Rückendeckung für US-Präsident Donald Trump mit Image-Problemen zu kämpfen und droht seinen Michael Jordan, Basketballstar Steph Curry, als Aushängeschild zu verlieren. Während Nike weiter unentschlossen herumkrebst und der Aktienkurs darunter leidet (Einbruch von über 15% seit Anfang 2016), bestätigte adidas vergangene Woche ein Umsatzwachstum von 33% für das abgelaufene zweite Quartal des Jahres. Es scheint ganz so, als habe adidas mit der Originals-Sparte sein Erfolgsrezept für die Zukunft ausgerechnet im Unternehmensarchiv gefunden.