Die Lemonheads spielen nicht mehr die Hauptrolle im Leben von Evan Dando. Sein Interesse gilt Spielplätzen, Film und Lyrik
Guten Tag, wo ist der Spielplatz?“, heißt mich ein froh gelaunter Evan Dando auf deutsch am Telefon willkommen. Eine etwas ungewöhnliche Begrüßung, erst recht für einen Popstar. Aber auf der anderen Seite würde auch niemand, der Evan Dando kennt, ihn einen gewöhnlichen Popstar nennen. Dando, mittlerweile 29 Jahre alt, lebt seit gut einem Jahr auf Martha’s Vineyard, einer beschaulichen Insel, die sich die wohlhabende Ostküsten-Aristokratie in den USA als Zweitresidenz erkoren hat. Seine Wohnung in Manhattan bekommt er nur noch selten zu Gesicht, das Klima auf Martha’s Vineyard ist gesünder, das allgemeine Leben wohl auch. Was nicht heißen soll, daß die Insel Dando’s tendenziell chaotische Natur völlig unterdrücken könnte. Erst am Vortag des Interviews hat er sein Auto in einen Felsen gesetzt (ohne getrunken zu haben, wie er sofort anmerkt) und in der Nacht gab es eine kleine Party im Hause Dando, der Teile des Mobiliars zum Opfer fielen. Und was die, Frage nach dem Spiel platz betrifft: Evan Dando ist fasziniert von Spielplätzen und hält die deutschen für wesentlich besser als die amerikanischen. Deshalb erkundigt er sich bei jedem Aufenthalt in Deutschland auch nach der nächstgelegenen Spielgelegenheit. Im übrigen ist es auch der einzige Satz, den Evan auf deutsch beherrscht.
Gut drei Jahre ist es her, als die Lemonheads zuletzt auf sich aufmerksam machten. Allerdings weniger durch ihre Musik – das 93er Album ‚Come On Feel The Lemonheads‘ war ein ziemlicher Flop im Vergleich zum erfolgreichen Vorgänger ‚It’s A Shame About Ray‘ als durch die Person Evan Dando. Im Mittelpunkt des Medieninteresses stand damals des Sängers Drogenproblem. Kein Wunder, Dando war nämlich so naiv, sich in einem Brief an den englischen ‚New Musical Express‘ für ein abgesagtes Interview zu entschuldigen und dabei zu erwähnen, daß er Crack und Heroin konsumiere, in dem Glauben, die Zeitung würde den Inhalt des Schreibens nicht publizieren. Von dem Zeitpunkt an handelten nahezu alle Gespräche mit dem Lemonhead vornehmlich von Rauschgift, gefolgt von einem Presse-Hype über Evans abgeschnittenes Haupthaar. Heute ist Evan Dando – was harte Drogen betrifft – nach eigenem Bekunden clean, und seine Haare haben sich wieder auf kinnlanges Mittelmaß eingependelt. Er hofft auch, daß die jüngsten Heroin-Fälle (vom Tod des Smashing Pumpkins Tour-Keyboarders bis zu den Koma-Erfahrungen der Sänger von Pantera und Depeche Mode) als abschreckendes Beispiel dienen werden. „Entweder du hörst auf das Zeug zu nehmen oder du stirbst“, sagt Dando, überlegt einen Moment und fügt dann noch hinzu: ….. es sei denn, du bist Keith Richards.“
In den vergangenen zwei Jahren hat Mr. Dando sein Leben neu sortiert, hat sich auf die Arbeit konzentriert und versucht, dem Rock’n’Roll-Lifestyle good-bye zu sagen. Im Laufe dieses Prozesses hat er sich eine neue Band gesucht, ist in den Filmen ‚Reality Bites‘ und ‚Heavy‘ (an der Seite von Liv Tyler) aufgetreten und war mit neuen Songs auf einigen Compilations vertreten. Das gerade veröffentlichte und mittlerweile sechste Lemonheads-Album ‚Car Button Cloth‘ enthält wieder jede Menge Dando-typischen sonnigen Powerpop und einige Ausnahmen, wie das Heavy-Instrumental ‚Secular Rockulidge‘ oder die Rock-Ballade ‚Loosing Your Mind‘. Alles in allem aber vermutlich keine Platte, die allzu viele Augenbrauen heben wird. Zumal die interessanteste Nummer, ‚Purple Parallellagram‘, erst einmal auf Eis gelegt wurde. Der Track entstand nämlich in Zusammenarbeit mit Oasis-Songwriter Noel Gallagher. Auf Oasis traf Evan Dando erstmals vor zwei Jahren, kurz vor der Veröffentlichung ihres ersten Albums. Er hing einige Tage mit den Lads aus Manchester ab und half spaßeshalber als Tour-Roadie aus. In dieser Zeit entstand dann auch ‚Purple Parallellagram‘. Das letzte Mal sah Dando die Band vergangenes Jahr auf dem Glastonbury-Festival. Dummerweise hing Evan so sehr an Oasis, daß er sogar seinen eigenen Auftritt verpaßte, weil er mit der Gruppe unbedingt noch ein Bier trinken mußte.
Auch wenn Evan Dando meint, ohne Musik nicht leben zu können, hat er von den Aufnahme-Strapazen erst einmal mehr als genug. Die Arbeit an ‚Car Button Cloth‘ hält er rückblickend für die schwierigste seines Lebens, weil er sich selbst die Meßlatte so hoch gehängt hat. „Ich gehe jetzt zwar auf Tour, aber vom Studio habe ich die Schnauze voll“, gesteht Dando, „ich habe nicht vor, innerhalb der nächsten beiden Jahre noch einmal eine Platte aufzunehmen.“ Lieber will sich Evan Dando als Schriftsteller versuchen oder wieder an einem Film ^arbeiten. Eine Kurzgeschichte, die er in der High School schrieb, erschien bereits im Hamburger Fanzine XXS, weitere Stories sind in Planung. Bezüglich seiner nicht allzu ernst zu nehmenden Hollywood-Karriere hofft Evan Dando, mit Kult-Regisseur John Waters zu drehen. Was auch immer Dando und den Lemonheads passieren mag, der Unterstützung eines prominenten Fans können sie sich sicher sein: Der britische Autor Nick Hornby (‚High Fidelity‘) würdigte die Lemonheads bereits als „fehlendes Bindeglied zwischen den Monkees und den Buzzcocks“ und schwörte auch die neue Lemonheads-Platte am ersten Tag ihrer Veröffentlichung zu erwerben. Vielleicht kann er Dando ja bei seinen literarischen Ambitionen behiflich sein.