Tom Waits Rain Daas
66 Ein „Rain Dog“ ist ein armer Hund. Weil ein Regenguß alle seine Duftmarken an den Häusern und Straßenecken in Manhattan weggewaschen hat, findet er nicht mehr heim. Und irrt die ganze Nacht mit waidwunden Augen durch die Häuserschluchten. „Yes, l’m a min dog, wo“, brummelt Tom Waits auf seinem bislang bestem Album, und irgendwie kann man sich richtig vorstellen, wie er beim Singen in der Gosse sitzt und das Regenwasser aus dem Fell schüttelt. „Rain Dogs“ knüpft an, wo „Swordfishtrombone“ (siehe Platz 43) aufgehört hatte. Wieder spielen abwechselnd Begräbniskapellen und Sperrmüll-Orchester, wieder kramt er aus seinem Heimwerker-Keller dubiose Geräte heraus und funktioniert sie zu mehr oder weniger wohlklingenden Musik-Instrumenten um. Und wieder gelingen Waits prachtvolle Barjazz-Tarantella-Tango-Country-Melodien. Im Unterschied zu „Swordfishtrombone“ gehen die hier jedoch nicht unter dem kakophonen Klangwirrwarr verschütt, sondern lugen immer wieder hinter afrikanischen Getrommel und Marc Ribots verqueren Gitarren-Spielereien hervor. „Rain Dogs“ ist auch ein klitzekleines Zugeständnis an die Fans der frühen Jahre: „Hang Down Your Head“. „Time“ und das später von Rod Stewart mit wenig Liebe zum Original interpretierte „Downtown Train“ gehören zu den schönsten Nackenhaar-Balladen, die Waits je zwischen drei und halb vier an einem New Yorker Morgen aus der Whiskey-getränkten Feder geflossen sind. „Musik aus den Varietes der Weimarer Republik“ hat der „Rolling Stone“ den Klangkosmos der „Rain Dogs“ genannt. Stimmt. Und doch bleiben Fragen offen: Trinken New Yorker Hunde Bourbon? Sind Müllmänner die besseren Musiker? Ist Tom Waits Kurt Weill?