Exil-Ego auf Heimatkurs: Phillip Boa bittet zum Pogo
LEIPZIG. Wie ein „HyperactiveCrakker“ siehl Phillip Boa nun nicht gerade aus. In Lederhose und putzige Lederweste geklemmt, erinnert der Anführer des rundemeuerten Voodooclubs optisch mehr an eine Zukunft Marke Raumschiff Enterprise als an die Zukunft des deutschen Rock ’n‘ Roll.
Zweifel an seiner Kompetenz aber räumt der aus dem“.Exil“ auf Malta zurückgekehrte Egomane umgehend aus: Ein halbes Dutzend neuer Stücke knallt er dem ausverkauften „Haus Auensee“ um die Ohren, ehe er sich verdrückt und Partnenn Pia für ihr Solo“.And Then She Kissed Her die Bühne überläßt. Die Menge tobt, der Pogo wütet, und Boa, vom selbstsüchtigen Sturmfuhrer zum Mannschaftsspieler gewachsen, steht im Backstage und grinst sich einen, als sie unten mit „Arschloch“, ArschIoch“-Choren nach ihm verlangen.
So lieb gebeten, stiefelt der Meister schnell wieder nach oben. In die sparsamen Strahlen einer lausigen Lightshow. Dort angekommen, läßt er die Band mit „Beat Me Up“ und „Fiesta“ in die Kiste mit den neuen Tönen greifen. Boa rappt und Boa ist sich auch für eine Ballade nicht zu schade.
Einmal mehr erweist sich Gitarrist Ted Chau dabei als der große musikalische Rückhalt des Voodooclubs: Während die feengleiche Pia heftig mit ihrem Sampler- und Synthesizer-Equipment ringt und Boa selbst bevorzugt Krachgitarren-Riffs produziert, halten Chau. der krakenarmig trommelnde Hugo Degenhart. Bassist Taif und Moses Pellberg an der zweiten Trommel den Kahn auf Kurs. Querbeet geht die Fahrt durch altes und neues Material, Johnny The Liar“ kriegt seinen Auftritt ebenso wie Paul, der Typ aus „Container Love“, der in der aktuellen Single „Love On Säle“ reanimiert wird. Boa selber stolziert wie ein schwergewichtiger Schmetterling mit fliegenden Armen umher, betätigt sich als Büchsenbierspender für die Bewußtlosen in den ersten Reihen, singt zwischendurch mit charmanter Gießkannenstimme und kommentiert die eigene Ansage auch schon mal mit „Ach. hutt’s Maul, Boa“.
Genau so mögen ihn die Massen — und das trifft sich gut. Boa nämlich kann nur eine Rolle wirklich überzeugend spielen: die des nach splitterndem Glas klingenden, popkulturellen Phänomens Boa, das keiner versteht. Steckte „Boaphenia“ als Platte noch leise Schelte ein, weil mancher meinte, ein progressiver Rocker dürfe Pop nicht derart inniglich umarmen, so rehabilitiert die zweistündige „Boaphenia“-Show den Dortmunder wohl auch bei seinen Hardcore-Fans. Und wenn Phillip seine Gitarre beim Anti-Nazi-Stück „Kill Your Ideals“ geschmackvoll in den Bühnenboden bohrt, erheben sich die Geister der ganz Großen der Rockgeschichte und klatschen ein bißchen.