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Kein Sex, keine Lügen, allenfalls Videospiele begleiten sie auf Tour. Metallica machen mit harter Musik Millionen und üben sich hinter den Kulissen in ei serner Disziplin. ME/Sounds-Foto- graf Bernhard Kühmstedt war mit den Meta -He den auf US-Konzertreise und kam zum faden Schluß: Hinter dem Brachiallärm regiert die banale Normalitat. Etwas mulmig ist mir schon auf meinem achtstündigen Flug zum Treffpunkt Boston. Metallica-Chef James Hetfield soll eine mehr als sanfte Abneigung gegen Deutsche pflegen. Beste Voraussetzungen also

für mich als hiesigen Fotografen, um die Band in ihren intimsten Backstage-Momenten drei Tage mit der Kamera zu belauern. Um darüber nachzudenken, bleibt nach meiner Ankunft glücklicherweise kein bißchen Zeit. Schließlich gibt es Termine einzuhalten im Rock n‘ Roll, denn bei Metallica läuft alles nach Plan. Willkommen zur Tour der Metal-Millionäre: Hauptsache, die Stechuhr läuft mit.

Mit dem Taxi geht’s vom Flughafen zum „Four Seasons Hotel“, der natürlich besten Adresse der Hauptstadt von Massachusetts, so wie es sich für neureiche Rock n“ Roller gehört. Dort herrscht bereits hektische Aufbruchsstimmung, das ortsansässige Stadion wartet auf Metallica. Trotzdem, die Managerin nötigt zur Begrüßungszeremonie, soviel Zeit muß sein. Und auf dem Weg zu den bereitstehenden „Limos“, überlange Luxus-Karossen mit abgedunkelten Scheiben, in denen Prominente sich bevorzugt durch Amerika chauffieren lassen, erkundigt sich Lars Ulrich. Schlagzeuger und „Pressesprecher“ der Band, dann ¿

auch schon mal hoflich nach dem Wetter in Europa. Drei Wagen stehen bereit, auf dem Rücksitz meiner Wahl sitzt bereits Bassmann Jason Newsted und hält siegessicher seine blonde Barbie-Freundin Andi im Arm. Aus den Lautsprechern blubbert Robert-Cray-Blues, und Boston fliegt am Fenster vorbei.

Nach einer Viertelstunde Fahrt erreichen wir das Foxboro Stadion, die größte Football-Arena der Stadt. Die 50.000 Tickets sind schon seit Wochen ausverkauft. Kein Wunder: Die „Stadium Summer Tour „92“ bietet mit Guns N‘ Roses, Metallica und Faith No More die zugkräftigsten Bands der Rock-Saison. Und die will man als wahrer Fan nicht nur in Ameisengröße sehen: Vor dem Stadion warten Hundertschaften, um einen hoffnungslosen Blick auf die verdunkelten Scheiben zu werfen. Nur mühsam bahnen sich die Autos den Weg zum Bühneneingang.

Streß muß belohnt werden: Fernseher, Videorecorder, Bar und ein gigantisches Büffet sind die Grundausstattung des Backstage-Raums. Und auf einer opulenten Couch-Garnitur machen es sich die Band-Mitglieder erstmal gemütlich. Mit allem, was dazugehört: Auch Sänger und Gitarrist James Hetfield hat seine — natürlich blonde — Freundin Fran dabei. Nur Lars Ulrich und Kirk Hammett sind solo unterwegs. Gepflegte Langeweile macht sich breit. Während Faith No More draußen um die Massen buhlen, konzentrieren sich die vier Metaller auf ihren Auftritt. Kleinliche Absprachen sind nicht mehr nötig. Der Gig in Boston ist nicht der erste der Tour, der Ablauf ist klar, und die Gitarren werden von den Roadies gestimmt. Ordnung muß sein, und auch das strikte Rauchverbot im Backstage-Bereich ist für Metallica kein Problem: Alle vier gehören zur beständig wachsenden Mehrheit der Nichtraucher Amerikas. Gitarrist Kirk Hammett ist obendrein strenger Vegetarier und auf selbstgemixte Fruchtcocktails spezialisiert.

Natürlich hat kein Fan entfernt die Chance, diese heiligen Hallen zu betreten, nur einer kommt — nach vorheriger Abprache — durch: Der 12jährige Jason, schwer gezeichnet von einer Krebserkrankung, darf Metallica im Hinterzimmer besuchen. Besorgter Smalltalk bis das Stichwort des Veranstalters erklingt: „Time to get ready“. Die Musiker erheben sich gemächlich aus den Ruhekissen und tauschen in der Garderobe Jeans und T-Shirts gegen Jeans und T-Shirts. Über Styling-Fragen spricht hier keiner. Über Fehler und Unsicherheiten auch nicht: Mit Verstärkung von Metal-Church-Gitar- ¿

rist John Marshall, der Hetfield zur Seite steht, da dieser wegen einer verbrannten Hand nicht spielen kann, absolvieren Metallica ausnahmsweise zu fünft ein professionelles, perfektes Konzert.

Nach knapp zwei Stunden Bühnenroutine geht’s mit kleinen Elektrowägelchen zurück zum Backstage-Bereich. Während sich James und Jason dort sofort wieder ihren Freundinnen widmen, entspannt sich Lars im „Hospitality Room“, der Entertainment-Abteilung, bei einer Runde Pool mit einem Roadie. Kirk konzentriert sich auf ein Videospiel. Für den Auftritt von Guns N‘ Roses, der auf Monitoren überall zu verfolgen ist, interessiert sich keiner mehr.

Zum ruhigen Ausklang des überaus anstrengenden Arbeitsabends gönnt man sich ein Essen im engsten Kreise. Nur die Band, die Freundinnen und ein paar Leute aus dem Management dürfen daran teilnehmen. Gegen drei Uhr morgens, Guns N‘ Roses haben sich längst zum Umtrunk hinzugesellt, werden die Helden müde. Mit den Limos geht’s zurück ins Hotel.

Am nächsten Morgen fahren wir gegemeinsam zum Bostoner Flughafen.

Hier wartet schon „Gulf Stream One“, der bandeigene Jet. Noch verschlafen machen es sich die Musiker im geräumigen Airliner bequem. Es geht nach Toronto/Kanada. Die Paßformalitäten erledigt der Pilot. Auf Flugfeld stehen Limousien parat, und auch in Kanada logiert man im Four Seasons Hotel. Die Fans sind dort wie immer vor der Band, für eine hat sich das Warten gelohnt: Kirk Hammett signiert ihr den Allerwertesten.

Metallica geben nur wenige Interviews auf dieser Tour. Doch in Kanada wartet ein Pflichttermin. Jason und James sprechen bei „Much Music“. dem kanadischen MTV vor. Kirk macht inzwischen eine kleine Einkaufs-Tour durch Torontos Plattenläden. Der Spezialist für laute Akkorde ist immer auf der Suche nach Blues-Raritäten. Lars und Tourmanager Ian Jefferey verkürzen sich die Zeit in einer Sushi-Bar. Im Four Seasons-Foyer hoffnungsvoll wartende Journalisten werden von Sicherheitschef Bob Bender abgewimmelt. Der bullige Bender ist erfahrener Profi, schon die Rolling Stones ließen sich von ihm und seiner nicht gerade zartbesaiteten Mannschaft beschützen.

Das nächste Konzert steht erst am folgenden Tag auf dem Plan. Im Hotel lassen sich die Musiker kaum sehen. Hinter verschlossenen Zimmertüren wird Privatsphäre gepflegt. Ich vergnüge mich derweil zwischen Pool und Büffet.

Am nächsten Tag auf dem Weg zum gemeinsamen Arbeitsplatz bekomme ich sie wieder zu Gesicht. Wie in Boston laufen Konzert und die Vorbereitungen wohlgeordnet: Entspannte Ruhe vor dem Sturm, Explosion auf der Bühne. Erholung danach. Nur die sieht diesmal besser aus. Die Roadies haben aus den unzähligen Groupies, die routiniert vor dem Bühneneingang warten, die schönsten herausgepickt und zur Party geladen. Die spontanen Striptease-Einlagen verschiedener Damen scheinen besonders den Kollegen von Guns N‘ Roses zu gefallen, von Metallica kann sich nur Frauenheld Kirk für eines der überdrehten Groupies erwärmen. Für den Rest der Band ist die amerikanische Version von Wein, Weib und Gesang eine halbwegs unterhaltsame Abwechslung zwischen Gameboy und Billiard tisch.

Für mehr reicht die Zeit im Tour-Alltag ohnehin nicht. Am nächsten Tag geht es für die Musiker weiter nach Minneapolis, ich nehme Abschied von der Band. Es ist der Morgen eines schnöden Werktags. Arbeitsplatz Rock ’n“ Roll: Nur die Schichtzeiten sind dort offensichtlich anders.