Licht aus Gott an
Kommt der Musiker zum Hit, wie die Jungfrau zum Kinde? Die Kreativen klären auf: Wie, wann und wo küßt die Muse am besten.
DAVID BOWIE: „Bob Dylan sagte bereits in den sechziger Jahren, daß er seine Lieder aus der Luft einfängt. Ich empfinde sehr ähnlich, wenn ich Songs schreibe. Die Lieder sind alle schon da, ich bin lediglich ein Kanal, durch den sie sich offenbaren. Auch wenn es metaphysisch klingt und vielleicht eine sehr dumme Analogie ist: Ich bin nur die Hebamme für meine Songs. Mich inspiriert alles, was in meiner Innen- und Außenwelt vorgeht. ,Crack City‘ habe ich beispielsweise geschrieben, als ein Freund an Drogen gestorben ist. Ich konnte in dem Lied oll meinen Schmerz, meine Wut und meinen Ärger ablassen. Eine weitere Inspirationsquelle ist die asiatische Lebensart. Wenn viele fremde Eindrücke aus verschiedenen Kulturen und Lebensphilosophien auf mich einströmen, bin ich auf der Höhe meiner Kreativität. Denn bevor ich das alles noch geistig analysieren kann, kommt es schon in den Songs raus!*
MELISSA ETHERID6E: .Vieles
von meiner Inspiration erwächst aus negativen Lebenserfahrungen, den dunklen Zeiten, in denen ich Probleme mit mir selbst oder mit meinen Beziehungen hatte. Schlicht ausgedrückt: aus dem Prozeß, in dieser Welt zu leben. Ich versuche, in Krisen immer bewußt vorwärts zu gehen, sie auszuleben, anstatt zu verdrängen. Ich schaue niemals aus Angst vor Veränderungen zurück, ansonsten würde ich am Leben vorbeigehen. Ich gehe bewußt Risiken ein. Aber nicht, weil ich denke, daß ich als Künstlerin leiden muß, um kreativ zu sein. Es ist wie eine erfolgreiche Therapie, über die inneren Konflikte Lieder zu schreiben. Denn dafür muß ich mich selbst verstehen lernen. Ich zwinge mich, das Problem von außen zu betrachten, um es zu analysieren. In Hotelzimmern funktioniert es am besten, denn dort kann mich niemand unterbrechen und ich hege keinerlei persönliche Beziehungen zu dem Ort. So kann ich mein Gehirn von überflüssigen Gedanken säubern und mich auf das Wesentliche des Themas, über das ich schreiben will, konzentrieren.“
BOB GELDOF: „Durch das Songschreiben bekomme ich Zugang zu einer Art Tagebuch. Dort sind all die Kleinigkeiten notiert, die ich durch Lesen oder einfach Sehen — bewußt und unbewußt — aufnehme, mit denen ich mich aber nicht gleich analysierend auseinandersetze. Beim Songschreiben wird all das wieder an die Oberfläche des Wachbewußtseins gespült, ich erhalte dann Postkarten von meiner Psyche. Ich habe oft im Studio die Vocals aufgenommen, ohne mir vorher überlegt zu haben, was ich singen werde. Ich habe dann einfach gesungen, was mir gerode dazu einfiel.
Wenn ich den Text dann für das Cover aufschreiben wollte, mußte ich ihn erst vom Band abhören. Sehr oft verstehe ich selbst nicht, worum es in meinen Songs geht. Ich setze mich dann auch nicht hin und versuche, es zu analysieren. Es interessiert mich nicht zwangsläufig, was ich mir dabei gedacht habe. Ich halte ein Lied für gut, wenn es sich für mich richtig und zentriert anfühlt. Dafür muß ich aber nicht wissen, was die Botschaften von meiner Psyche bedeuten!“
TERENCE TRENT D’ARBY:
„Auch wenn mich deshalb alle auslachen, aber ist es tatsächlich so: Der Song ,To Know Someone Deeply Is To Know Someone Softly‘ wurde mir von niemand Geringerem als Marvin Gaye eingegeben. Er ist mir im Traum erschienen und hat mir das Lied vorgesungen. Wenn ich Lieder schreibe, habe ich das Gefühl, nur ein Kanal zu sein für eine höhere Macht, die sich durch mich in Musik manifestiert. Dafür habe ich lernen müssen, mein eigenes Ego soweit aus dem Weg zu räumen, daß diese Intuition völlig pur durchkommen kann. Woher sie kommt, weiß ich nicht. Ich weiß nur, daß es irgendwo außerhalb meines rationalen Bewußtseins passiert. Ob das mein Unterbewußtsein ist, ein Höheres Selbst, oder irgendetwas, das total unabhängig von mir ist, kann ich beim besten Willen nicht sagen. Ich kann nur meine Erfahrungen und Gefühle beschreiben. Und die sind: Wann immer ich versucht habe, bewußt Songs zu schreiben, habe ich die Lieder anschließend nicht gemocht. Wenn ich aber das Gefühl hatte, daß sie durch mich durchgekommen sind und ich nur meine Antennen auf Empfang schalten mußte, dann waren die Songs immer toll und ich war auf der ganzen Linie zufrieden. Ich achte auch ganz besonders darauf, daß ich die Songs dann bei der anschließenden Nachbearbeitung im Studio nicht verwässere. Ich würde sagen, 90% meiner Kompositionsarbeit ist reine Intuition und nur 10% bewußtes Verarbeiten meiner musikalischen Kenntnisse.“
ERIC CLAPTON: .Wenn ich nichts habe, das an meiner Seele nagt, kann ich nicht spielen, bin ich nicht kreativ. Negative, verletzende, verwirrende und aufwühlende Ereignisse werden von den meisten Menschen verdrängt. Wir Musiker ziehen all das aus unserem Innersten heraus, wenn wir etwas kreieren. Das ist ein ziemlich schmerzhafter Prozeß, aber es kann auch wie eine Therapie sein, diese Gefühle in Musik umzusetzen. Auf jeden Fall aber sind es außergewöhnlich starke Emotionen, die einen Künstler antreiben. Ich glaube, daß ich hier auf der Erde eine Aufgabe zu erfüllen habe. Einfach, weil ich vieles überlebt habe, was Kollegen umgebracht hat. Ich habe Überdosen von Drogen genommen und lebe immer noch, also muß ich wohl eine Funktion haben. Ob es aber das Musikmachen, das Kreative ist, oder etwas ganz anderes, das muß ich erst noch herausfinden.* KEITH RICHARDS: „Sotisfaction habe ich fast in geistiger Abwesenheit geschrieben. Ich muß das Riff wohl geträumt und noch in derselben Nacht aufgenommen haben. Der einzige Grund, warum ich mich am nächsten Morgen überhaupt noch daran erinnerte, war die Tatsache, daß die Kassette in meinem Recorder abgespielt war. Eigenartig — „Satisfaction“ war unser größter Hit und er war einfach da — zackl — plötzlich auf meinem Band. Aber vielleicht ist es wirklich bullshit, wenn die Leute sagen, sie schreiben Songs. Ich hab das Gefühl, die schwirren da in irgendwelchen Sphären herum und ich muß nur meine Antenne ausfahren, um sie einzufangen.“
PHILLIP BOA: .Sicher ist sicher — meine Arbeitsunterlagen habe ich immer dabei. Egal, wo ich gerade unterwegs bin, ich habe stets mein Notizbuch griffbereit. Aber es gibt Monate, in denen mir absolut nichts einfällt. Und plötzlich — immer eines Nachts und immer nur, wenn ich alleine bin — befällt mich das Fieber und eine Stimme oder auch nur eine Stimmung sagt mir, daß ich jetzt etwas schreiben muß. Dann verweigert der Körper den Schlaf und ich schreibe und schreibe und schreibe. Doch in ausgeglichenen, glücklichen Situationen passiert nie etwas. Wichtiges kommt nur aus dem Leid.‘