Fast wie im richtigen Leben: Faith No More’s harte Wahrheit


MÜNCHEN. Die Welt hat noch Hoffnung, denn die Masse ist manchmal nicht so dumm, wie MTV glaubt. Drei Jahre nach dem Powerplay-Erfolg von „Epic“ und „The Real Thing“ sorgen Faith No More auch ohne aktuellen Trendbonus noch für ein seit Wochen ausverkauftes Haus. Schwüle Hitze, Klaustrophobie und militante Ordner mit Machtkomplexen — Konzerthorror am Feierabend. Doch es gibt Situationen im Leben, da muß man durch, nicht aus Pflichtgefühl, sondern aus der Überzeugung, auf der richtigen Seite des Lebens zu stehen. Und um das beste Rock-Konzert des Jahres nicht zu versäumen.

Wer hätte gedacht, daß Reife so positiv wirken kann? Faith No More 1992 hat nur noch wenig mit kraftvoll, kurzweiliger Abendunterhaltung im Red Hot Chili Pepper-Gefolge zu tun. 90 Minuten Hochspannung vor und auf der Bühne, brutale Dynamik ohne große Gesten im lautstarken Querschlag durch das Repertoire der Band haben mehr als deutlich bewiesen, daß Faith No More keine Hits brauchen, um Massen zu bewegen. Oder keine kalkulierten Höhepunkte, um zu begeistern. Kein Poser-Gehabe, keine Stereotypen — sieht fast so aus, als hätte da jemand mit seiner Musik ehrlichen Spaß und ehrliche Absichten. Und den obersten Anspruch, kein leichtes Vergnügen zu sein. Rhythmusgeeichten Head-Bangem blieb mehr als einmal am Abend der Kopf hängen.

Denn Faith No More setzten die Überraschungsmomente ihrer jüngsten Platte konsequent und mit aller Zynik, die ihr momentanes Meisterwerk krönt, auf der Bühne um. Hysterische Tempi-Wechsel, diffuse Metall-Orgien, krude Balladen, alles findet seinen gerechten Raum, ohne dabei zur Strategie zu verkommen.

Und wenn Sänger Mike Patton zur seltenen Erholung das Commodores-Sahnestück „Easy“ anstimmt, dann traut sich nach der ersten halben Stunde musikalischer Vollwertkost kein Pärchen mehr, die Köpfe aneinanderzulehnen und die Feuerzeuge zu zücken. Es könnte ja jemand herschaun und sich den Bauch halten vor Lachen ob der kindischen Romantik in harten Zeiten wie diesen. Von Faith No More intoniert, läßt sich sogar die Realität ertragen.