Die Auslöser
Früher war es der Manager, der mit dem Schicksal jonglierte. Im Zeitalter von MTV hingegen haben sich die Gewichte verschoben. Heute ist es oft genug der Fotograf, der darüber entscheidet, ob ein Star nun Mega-Star oder Sternschnuppe wird. Madonna ohne Herb Ritts wäre kaum denkbar, ebenso Cyndi Lauper ohne Matthew Rolston, U2 ohne Anton Corbijn. Die Camera- Cracks stellen die Weichen. ME/Sounds untersuchte die unheimliche Macht der Image-Macher.
DIE Heiligen unserer Zeil haben ihre eigene Reliquie: das Starfoto. In fast allen Großstädten der Welt laufen Ausstellungen mit den Ikonen des MTV-Zeitalters. 50 Prozent aller Platten werden spontan nur nach dem Coverfoto gekauft, ermittelte der Medienriese Sony. Die richtigen Fotos entscheiden — mehr als Talent, Stimme, Performance und andere Details — heutzutage über Ruhm oder Rumpelkammer.
Die richtigen Fotografen dazu, das zeigen schon deren exorbitant gewachsene Honorare, heißen Herb Ritts, Bruce Weber, Annie Leibovitz, Matthew Rolston, Steven Meisel, Anton Corbjin, in Deutschland Esser/Strauß oder Jim Rakete. Von ihnen abgelichtet zu werden, bedeutet nicht nur Fotomaterial, das Käufer antörnt. Ein Ter- ¿ Annie Leibovitz Mit 42 Jahren schon die große alte Dame der Camera-Cracks. Wer von ihr zur Session geladen wird i.), hat’s geschafft. Ihre Fotos, wie das von John & Yoko, gehen um die Welt und prägen das Image über Jahre hinweg.
mm beim Startotograf ist vor allem ein Zeichen für die endgültige Zugehörigkeit zum kleinen Kreis der großen Stars. Die winzige Credit-Zeile, hochkant neben einem Zeitschriften-Foto oder versteckt auf dem inneren Plattencover, macht einen zum Trendsetter oder zur Tran-Suse.
Zum Beispiel Madonna. „Anfang der 80er Jahre“, erinnert sich Jim Rakete, Manager/Entdecker/Fotograf von Nena, Spliff und Nina Hagen, „war Madonna eine patzige, kaugummikuuende Zicke aus New York. Sie hat sich diesen neuen Image-Mechanismus zu Nutze gemacht wie niemand anders auf der ganzen Welt — und guck dir an, wo sie heute steht!“
Die richtigen Fotos und Fotografen, ergänzend auch der gezielte Einsatz von angesagten Designern und Couturiers, machten die kaugummikauende Zicke zur internationalen Pop-Ikone. Und daß Madonna Haarfarbe und Image alle paar Singles komplett wechseln und weltweit etablieren kann, wäre ohne die kreative Hilfestellung der Starfotografen kaum denkbar gewesen.
Wobei Amerika auch hier wieder einmal das Land der unbegrenzten Möglichkeiten ist. In Deutschland sind nicht nur die erstklassigen Camera-Cracks dünner gesät — auch das Star-Material eignet sich weit weniger zur Image-Manipulation.
Zum Beispiel Westernhagen. „In Deutschland“, sagt Rakete, „funktioniert dieser Verkauf über eine tolle Oplik nicht mehr so richtig. Als wir damals Nena aufbauten, stand dahinter auch eine Ideologie. Und bei allen Schwachstellen: Nena hatte einfach was. Genau wie Nina Hagen. Obendrein war Pop damals das Komunikadonsminel der Anti-Vietnam-Generation. Mittlerweile ist es nur noch leeres Phrasengedresche. Eine inhaltslose Nummernrevue. Auch die Fotos sind kläglich unwichtig geworden. Aber es gibt ja sowieso keine deutschen Stars mehr. „
Noch nicht einmal Westernhagen, seit Jahren mit einem Ex-Model verheiratet und in letzter Zeit nur noch von „den Besten“ fotografiert, will Rakete durchgehen lassen: „Westernhagen?! Der Kerl hat Bügelfalten in seinen Jeans. Kann man auf .Geiler is schon‘ nachgucken. Das Coverhab ich nämlich selbst fotografiert. WestemhaBruce Weber
Uebt spröde Schwarx-welB-Ästhelik und nackt« Männerkörper. Interessiert sich nicht für Glamour-Stars, endctm b«venugt „beautlful loser“ wie Chrff Isaak (r.) Herb Ritts Sollt« eigentlich dl« Möbelhandlung feiner Eltern übernehmen. Kam zum Fotografieren wie die Jungfrau zum Kind. Knipite Madonna zur Pop-Ikone — während lie ihn zum Star-Fotograten Nr. 1 katapultierte.
gen verdient zwar massig Kohle, aber Star zu sein, hat vor allem mildem Etwas namens Charisma zu tun. Mit Gipfelfähigkeit. Vergiß Deutschland!“
Kehren wir also in die real existierende Gegenwart zurück — in der der Kampf zwischen Sein und Schein, zwischen Substanz und Image längst entschieden ist. Und diese Gegenwart findet primär in den USA statt. „Wenn du in Manhattan mit Cindy Cvawford oder Naomi Campbell über die Straße gehst“, weiß Rakete von seiner Doppeltätigkeit als Musik- und Modefotograf, „ist die Hölle los. Nach Robert DeNiro dreht sich keine Sau um. Models sind heutzutage erheblich identifizierbarer als Sänger oder Filmschauspieler. „
Die professionelle Wandlungsfähigkeit eines Models ist es, die der Star-Fotograf auf seinen Klienten zu projizieren sucht. Wenn Robert DeNiro 20 Jahre lang wie Robert DeNiro aussieht, braucht er sich nicht zu wundern, wenn er als Cover-Kandidat für eine Hochglanz-Gazette nicht mehr in Frage kommt. Ein Star muß „sich neu erfinden“, muß mit wechselnden Images die abschaffende Neugier des Publikums kitzeln können — eine Fähigkeit, die etwa Madonna bis zur Perfektion praktiziert. „Sie hat“, weiß Matthew Rolston. „dieses seltene Talent, fotografiert zu werden. Wenn sie ins Studio kommt, weiß sie genau, wie sie geschminkt wird, weiß genau, wie das Licht auf ihrem Gesicht wirken wird.“
Wobei es mehr als nur handwerkliches Können ist, das der Image-suchende Star von dem Fotografen erwartet — bei einem Tageshonorar von bis zu 20.000 Dollar auch nicht ganz unberechtigt.
Erwartet wird eine kreative Geburtshilfe, an deren Ende ein Image steht, das die medienmüden Augen noch einmal elektrisieren kann.
Um dieses Ziel zu erreichen, muß der Fotograf oft genug mühsame Überzeugungsarbeit leisten. Mi- ¿ Steven Meisel Di« Primadonna unter den US-Kamera-Koryphäen. Bevenugl privat das gleiche Ge-KhMnlff ttVWOlTAt 0tMF lieber mit Vollblutweibern wie Tina Turner (I.). Ut derzeit Madonnaf Haus-Fotograf und produzierte mit ihr das Buch über Madonna! sexuelle Phantasien.
chael Jackson zierte sich lange, bis ihn Matthew Rolston dazu überredet hatte, sich als sprichwörtlicher „King Of Pop“ ablichten zu lassen (s. Seite 74). Bruce Springsteen war anfangs wenig erbaut von Annie Leibovitz‘ Vorschlag, für die Cover-Session zu „Born In The USA“ vor der amerikanische Flagge zu posieren.
Annie Leibovitz war es auch, die die damals nahezu unbekannte Schauspielerin Demi Moore (bislang nur als Ehefrau von Bruce Willis bekannt) dahingehend bekniete, sich nackt und hochschwanger aufs „Vanity Fair-Cover bringen zu lassen. Resultat: In prüden US-Staaten durfte die Ausgabe nur mit neutralem Titelbild verkauft werden — und aus der Bruce Willis-Gattin wurde über Nacht ein Star. „Annie Leibovitz könnte gut und gern zehn Prozent von Demi Moores Einnahmen verlangen“, meint denn auch Moores Filmstudio-Chef.
Andere Fotos mögen nicht eine derart explosive Wirkung gezeigt haben — eminent wichtig für die Etablierung eines Künstlers sind sie allemal. Die Schwarzweiß-Ästhetik von Bruce Webers Fotos dürfte Chris Isaaks Image nachhaltig geprägt haben. Nena und Nina Hagen hätten ohne Jim Rakete nicht nur anders ausgesehen, sondern wahrscheinlich auch kommerziell weit kleinere Brötchen gebacken. Das deutsche Foto-Team Esser & Strauß stylten und fotografierten Milli Vanilli so revolutionär, daß die Musik fast nur noch eine nette Nebensache war. Madonnas frühe Karriere wiederum wäre ohne Herb Ritts‘ visuellen Feinschliff vermutlich ganz anders verlaufen.
Anton Corbijn Mit Mlmn asketischen U2-Mldern macht« fleh dar Holländer «Inen Namen. Atmosphäre ist ihm wichtiger als Tiefenschärfe, grobes Kern lieber als Hochglanz-Glamour. Eines aber haBt er wie die Pesli Fotos von sich selbst.
Doch mittlerweile modellieren und etablieren die Fotografen nicht nur Stars, sie sind längst selber welche geworden. Sie werden interviewt und hofiert und geben obendrein die heißesten Societv-Feten der amerikaniIn-Crowd. Auf einer Geburtsigsparty von Herb Ritts traf Madonna auf ihren mittlerweile schon wieder abgelegten Lover Tony Ward. Sie drückte ihre Zigarette auf seinem Nacken aus. befahl ihm, den abstoßenden Schnurrbart abzurasieren und katapultierte ihn anschließend in die Klatschspalten der ganzen westlichen Hemispäre.
Möchtegern-Mime Richard Gere saß zufällig in Ritts‘ Auto, als eine Reifenpanne auf der Landstraße eine mehrstündige Pause erzwang. Ritts griff zur Kamera und verschoß aus Langeweile ein paar Filme — und Richard Gere fand sich wenig später in „Vogue“ und „Esquire“ wieder, um von hier aus eine atemberaubende Filmkarriere zu starten.
Wenn Ritts-Kollege Bruce Weber eine Präsentation gibt, stehen junge Hollywood-Hoffnungen Schlange, um Wein aus Pappbechern zu nippen. 2500 Dollar für ein ungerahmtes Weber-Foto hinzulegen, um gesehen — und vielleicht irgendwann einmal auch fotografiert zu werden. (Daß sich dabei meist männliche Models um den Meister scharen, ist kein Zufall: Wie fast alle amerikanischen Top-Fotografen kommt auch Bruce Weber vom anderen Ufer.) Der Run auf die Star-Macher ist so gewaltig, daß Futterneid und Konkurrenzkampf zwischen den Kamera-Koryphäen anscheinend gar nicht erst aufkommen. Wenn Madonna von Herb Ritts über Matthew Rolston zu Steven Meisel wechselt, horcht man auf böse Worte und hämische Kommentare vergeblich. Wenn sich Chris Isaak zunächst von Bruce Weber fotografieren läßt, um anschließend Herb Ritts den Video-Auftrag zu geben, geschieht das ebenso naht- wie ¿ Gerade Anfang 30, hat sich Rolston fad unbemerkt in die Phalanx der amerikanischen Fete-Elite geschoben. Hat sich an keine Zeitschrift gebunden und behält auch bei groBer stilistischen Bandbreite eine individuelle Handschrift. Überzeugte Michael Jackson davon, daB der „King ef Pop“ eine Krone braucht.
geräuschlos. Kein Wunder, daß man bereits von einer verschworenen Medien-Mafia zu sprechen beginnt.
Die beunruhigend harmonische Allianz zwischen Fotografen und Stars findet inzwischen denn auch nicht nur ungeteilten Beifall. Zeitschriften in aller Welt beklagen immer lautstärker, daß sie an einen Star dieser Größenordnung überhaupt nicht mehr rankommen — es sei denn, sie beauftragen zähneknirschend den jeweiligen Hausfotografen. Der wiederum nutzt sein Monopol weidlich aus und stellt Konditionen, von denen andere Fotografen nur träumen. Und liefert obendrein ausschließlich Fotos, die der befreundete Star vorher eigenhändig ausgewählt und abgesegnet hat. Unerwünschte, vielleicht gar demaskierende Fotos bleiben so für immer in der Schublade. „Picture approval“ nennt man das in den USA.
Daß sie mit diesen Aufträgen jedoch nicht gerade reich würden, beklagen die Star-Fotografen nichtsdestotrotz. Das wirklich große Geld fließt aus der Werbung — und die vergleichsweise preisgünstigen Künstlerporträts dienen daher nicht zuletzt auch dazu, sich als Kreativ-Knipser einen Namen zu machen — um dann die Groß-Aufträge der Groß-Industne einzusammeln. Für einen unbekannten Millionenbetrag fotografierte Annie Leibovitz die laufende „American Express‘-Kampagne, Bruce Weber läßt sich von Calvin Klein für die Manfred Esser & Helge Strauß Haben einen Dauerauftrag von der deutschen Plattenlnduttri«. Kaum ein Jung-Talent, das nicht durch ihr Studio sing. Lieferten mit Mllli Vanilli dal Meisterstück.
„Obsession“-Serie fürstlich entlohnen. Honorar: 500.000 Dollar. Leistung: sieben Motive.
In Deutschland mögen die Honorare zwar deutlich magerer ausfallen, der Mechanismus aber ist der gleiche. Wie fast alle Amerikaner fotografieren auch Esser/Strauß und Rakete Mode. Zum Spaß und zur Abwechslung — aber nicht zuletzt auch zum Überleben. „Von Künstler-Fotos kann niemand leben“, ist das einhellige Echo.
Nur einem macht der Tanz auf zwei Hochzeiten überhaupt keinen Spaß. Der Holländer Anton Corbijn weigert sich beharrlich, seine kreative Unabhängigkeit aufzugeben. Er fotografiert dickköpfig nur, was ihm gefällt oder ans Herz gewachsen ist: U2, die „erwachsenen“ Depeche Mode, auch schon mal den deutschen Kameramuffel Herbert Grönemeyer.
Gerade im Fall von U2 darf er sich rühmen, die Band visuell auf Vordermann gebracht zu haben. Statt weiter auf pathetische Jesus-Posen zu setzen, flogen Bono & Co mit dem Holländer-Star quer durch die Welt, um sich auch optisch als gereifte Künstler zu geben.
Mit Erfolg: Corbijns typische Grob-Körnung bügelte auf Album-Cover und Videos auch den letzten Rest irischen Prediger-Miefes weg. Und Depeche Mode waren auf einmal nicht mehr die Maßen Synthi-Bübchen aus der „Bravo“, sondern ernstzunehmende Künstler.
In den exklusiven Zirkel der internationalen Image-Macher möchte Corbijn deshalb trotzdem nicht aufgenommen werden. Er möchte nicht mal selbst fotografiert werden. Das darf, wenn überhaupt, nur sein Freund Bono.
Doch der ist — das beweist sein hoffnungslos verwackeltes Corbijn-Porträt auf Seite 74 — nicht unbedingt einer, der zum Star-Fotografen geboren wurde.
Ulrich Hoffmann Jim Rakete Dia graue Eminenz der deutschen Fotografen-Start. Gab Nina Hagen (I.), SpIrH und Nena ein öffentliches Gefleht. Der Ex-Manager pfeift heul« aber auf die Mufik und arbeitet mit Pepftari nur noch, wenn’s ihm SpaB macht.