Aaron Neville – Warm Your Heart
Immer wenn die Neville-Familie antritt, scheint ihr der Titel "Platte des Monats" sicher zu sein -— nach YELLOW MOON und BROTHER'S KEEPER vollendet Aaron jetzt den Hattrick.
Der hatte das Pech, seinen größten kommerziellen Erfolg ausgerechnet an der Seite von Linda Ronstadt verbuchen zu müssen. Wohl nur deshalb kommt er jetzt auch in den Genuß dieses Solo-Albums, das obendrein von „Lovely Linda“ (zusammen mit George Massenburg) produziert wurde. Doch — oh Wunder — das befürchtete Desaster bleibt aus, wenngleich unser Mann um ein Duett mit der Lady (im Chuck Willis-Schmachtfetzen „Close Your Eyes“) natürlich nicht herumkommt.
Anders als im limitierten Band-Kontext der Neville Brothers kann Aaron auf WARM YOUR HEART die ganze Bandbreite seines Repertoires in Angriff nehmen — von süßlichem Pop („Somewhere Somebody“ oder Jimmy Buffetts „La Vie Dansante“) bis zu Traditional-Hymnen a la „Ave Maria“, die zumindest für Kenner seiner Solo-Live-Shows keine große Überraschung mehr darstellen können.
Und die Vorlagen, die sich das „Goldkehlchen* hier vorknöpft, sind fast durchweg vom Feinsten. Randy Newman ist mit „Louisiana 1927“ als Autor ebenso vertreten wie das legendäre Atlantic-Trio Dowd/Wexler/Ertegun, das mit dem gleichnamigen Titel-Song ein wahrlich wärmendes Soul-Schmankerl liefert.
Allen Toussaint, seit den Anfangstagen in New Orleans auch unter dem Autoren-Pseudonym Naomi Neville stets im Neville-Dunstkreis zu finden, darf als Song-Songlieferant natürlich nicht fehlen: Gerade „With You In Mind“ und besonders das bezaubernde „That’s The Way She Loves“ dramatisieren Aarons Performance mit behutsam plazierten Background-Stimmen an den richtigen Stellen. Andere Arrangements, etwa für John Hiatts wunderschöne Ballade ,lt Feels Like Rain“ (von dessen 88er Album SLOW TURNING), bleiben von eindringlicher Schlichtheit. »Angola Bound“ (Co-Autor: Bruder Charles) und die funkige Eigenkomposition „House On A Hill“ nähern sich dem herkömmlichen Neville Brothers-Sound noch am stärksten. — An Aarons Stimme werden sich die Geister auf ewig scheiden. Klug dosiert, wie im brüderlichen Band-Verbund, wird sie für manchen eher dem Titel des Albums gerecht als bei der vorliegenden Langstrecken-Veranstaltung.
UNTER BRÜDERN
.Ganz egal, was auch passiert – ich werde die Neville Brothers nie verlassen“, verkündet Aaron Neville. .Wir sind eine Familie, ein Stamm – wir waren von Geburt an dazu bestimmt zusammenzubleiben. Durch meinen Solo-Erfolg kann unsere Gruppe nur noch stärker werden.‘ Der bescheidene, zurückhaltende und zumeist eher wortkarge Neville-Bruder sagt dies so überzeugend, daß jeder Zweifel ausgeschlossen ist. Die .First Family Of Funk“, wie die Neville Brothers in New Orleans gern tituliert werden, steht also auch in Zukunft auf festem Fundament.
Aarons Solo-Aktion mit dem Album WARM YOUR HEART geschah gleichwohl in einem besonders günstigen Augenblick, denn in den eher kargen Zeiten Anfang der 80er Jahre hätte ein erfolgreicher Alleingang wohl oder übel zu einer Zerreißprobe führen können. Die damalige Durststrecke ging jedoch zuende, als Management-Veteran Bill Graham die Brüder unter seine f’miche nahm und sie in zäher Kleinarbeit zu einem soliden Erfolgs-Act aufbaute. Mit der Konsequenz, daß die Neville Brothers in den USA heute bei Auftritten außerhalb New Orleans‘ fast nur noch weiTrjlz Solo-Trip immer noch einer der Brüder: Aaron Neville (2.v.r.) ße Zuschauer anziehen. (O-Ton Aaron:
.Die schwarzen Radio-Stationen spielen uns nicht, weil wir nicht den normalen Synthetik-Funk vom Reißbrett bringen.“) Live war Aarons Solo-Block schon immer einer der gefeierten Höhepunkte. Dennoch schwingt seit einem Jahr in Bruder Cyrils Stimme eine Extra-Portion Stolz mit, wenn er das bullige Goldkehlchen bei jedem Konzert im Oberschwang eines Marktschreiers als den „Grammy Award Winning Vocalist“ 6er Gruppe ankündigt.
Aaron selbst kann sich nicht einmal gelegentliche Solo-Tourneen ohne die Brüder vorstellen, obwohl die ausreichend Eisen im Feuer haben, um sich an Brottiers-freien Tagen beschäftigt zu halten: Art Neville hat seine Meters wiederbelebt, Cyril bringt nebenbei mit den Uptown All-Stars kämpferischen Reggae-Funk, und Charles gründete – seiner Vorliebe für Jazz gemäß – die Band Dtversity.
IM ALLEINGANG
In einem Alter, in dem mancher Kollege bereits den wohlverdienten Ruhestand genießt, startet Aaron Neville (SO) nach über 20 Jahren Pause einen weiteren Anlauf in Sachen Solokarriere — mit tatkräftiger Unterstützung von Linda Ronstadt, die als Co-Produzentin von WARM YOUR HEART nicht nur ihren werbewirksamen Namen zur Verfügung stellte: .Sie ist eine tolle Produzentin“, schwärmt Aaron Neville. .Da sie selbst Sängerin ist, könnte sie sich optimal in mich hineinversetzen und mir im Studio dabei helfen, das Beste aus meiner Stimme herauszuholen.“
Das Grammy-und Platin-trächtige Duo Ronstadt & Neville (mit dem Song „Don’t Know Much“) traf sich zum ersten Mal 1984 in New Orleans. Aaron erinnert sich: .Bei einem Konzert mit meinen Brüdern bat ich sie auf die Bühne, um ein paar Doo-Wop-Songs mit ihr zu singen. Hinterher erzählte sie der Presse, dieser Auftritt sei der Höhepunkt ihrer damaligen Tournee gewesen. Sie habe sich bei den Neville Brothers wie Aschenputtel auf dem Ball des Prinzen gefühlt.“
Für die Solo-LP ihres Lieblingssängers aus Louisiana suchte Linda Ronstadt eigenhändig die Musiker aus – und einen großen Teil der Songs. Auch hier bewies sie ihren ausgezeichneten Riecher:
„Louisiana 1927′ von Randy Newman etwa kannte ich vorher überhaupt nicht. Als ich den Song zum ersten Mal hörte, wußte ich sofort: .Das bin ich!“, erklärt Aaron.
Seine kalifornische Kollegin war es übrigens auch, die ihn dazu inspirierte, einen der schlüssigesten Songs des ganzen Albums selbst zu verfassen: .Linda wollte einen typischen New Orleans-Song, worauf ich mich an ein paar Slang-Fetzen über das Angola-Gefängnis bei New Orleans erinnerte, in dem noch bis in die Wer, 50er Jahre hinein Verhältnisse wie in den Anfangstagen der Sklaverei herrschten. Meine Ideen dazu faßte ich dann mit Bruder Charles zum Titel ,Angola Bound‘ zusammen“, erzählt Aaron, der in seiner Jugend selbst einige Zeit im Knast zugebracht hat. .Das gehörte damals irgendwie zum guten Ton — wer nicht einmal gesessen hatte, wurde einfach nicht für voll genommen…“