Intimpflege


Und jetzt alle: „Wollen wir so sein, daß uns Hollywood akzeptiert“, ruft Madonna in die Runde. Die einstimmige Antwort: „Nein!!!“ Die Szene spielt backstage auf irgendeiner Station der „Blond Ambition“-Tour im Sommer 1990. Madonna, im Bühnenkostüm, noch ungeschminkt, liegt auf dem großen Bett, auf dem sie später während der Show zu „Like A Virgin“ Selbstbefriedigung simulieren wird. Rund um Madonna auf die Matratze gruppiert: ihre Tänzer. Vor dem Bett: eine Kamera-Crew, die alles filmt. „Scheren wir uns darum, was andere Leute von uns denken?“, macht Madonna weiter. Die Antwort: „Nein!!!“ Und schließlich, übermütig grinsend über die eigene Frechheit, Madonnas dritte Anmache: „Können uns die Leute alle am Arsch lecken?“ Die Antwort: „Jaaa!!!“

Das ist nur eine der Stellen aus „Truth or Dare: On the Road, Behind the Scenes, and in Bed with Madonna'“, die in Amerika in den letzten Wochen für Schlagzeilen sorgten. „Skandal! Skandal!“, schrieben die US-Journalisten von „Vanity Fair“ bis „New York Post“ über Madonnas offiziellen Tournee-Film, der am 13.6., fünf Wochen nach dem USA-Start, auch in unsere Kinos kommt. Diese Meinung mag man teilen oder nicht, den imagebildenden Schlagzeilen anderer Stars ist Madonna jedenfalls meilenweit voraus: Sie macht Paparazzi-Fotografen, die sich hinter Büschen verstecken, und schmutzig recherchierende Reporter arbeitslos. Madonna macht ihre Schlagzeilen selbst, frei Haus geliefert in dem knapp zweistündigen Hinter-den-Kulissen-Film. Weitere Beispiele: Madonna simuliert Oral-Sex mit einer Evian-Flasche. Madonna besucht das Grab ihrer Mutter (die starb, als sie sechs war), legt sich daneben auf den Boden und fragt sich, wie Mutter wohl heute aussähe: „Alles Staub.“ Kevin Costner besucht Madonna nach dem Los Angeles-Konzert hinter der Bühne und meint treuherzig, die Show sei neal (= nett, hübsch) gewesen. Als er weggeht, dreht sich Madonna um, steckt symbolisch ihren Finger in den Hals und gibt Order, den Mann nie wieder einzuladen:

„Wer meine Show ,new findet, kann verschwinden.“

Madonna beobachtet animiert, wie sich zwei ihrer homosexuellen Tänzer zungenküssen und stöhnt: „Ich bekomm einen Steifen. „

Geplant war „Truth or Dare“ ursprünglich als reiner Konzertfilm, inszeniert von David Fincher, der Madonnas beste Videos („Vogue“, „Express Yourself“) gedreht hat. Zwei Gründe führten zum Scheitern dieser Idee: 1. Konzertfilme laufen nicht mehr, allenfalls auf Video. „Blond Ambition“ würde durch die geplante weltweite Fernseh-Vermarktung zusätzlich ausgelutscht werden. 2. David Fincher, der mit Madonna angeblich mehr als nur ein Arbeits-Verhältnis pflegte, und Madonna hatten sich — eher unfreundschaftlich — getrennt.

Drei Tage vor dem ersten Termin ihrer Japan-Tour heuerte Madonna deshalb einen jungen Mann an, der ihr zwei Jahre zuvor seine Abschlußarbeit als Filmstudent der Harvard-Universität vorgeführt hatte. Alek Keshishian, 26, stellte blitzschnell eine Crew zusammen, ging auf Tour und drehte auf der Bühne (in Farbe) und dahinter (in schwarzweiß). Keshishian und seine Kameras bekamen den großzügigsten „All Access“-Paß seit der Rolling Stones-Flugzeug-Orgie, die dann auch nie veröffentlicht wurde. Er wies dafür seine Leute an, sich stets schwarz zu kleiden und Madonna nie direkt anzusprechen. „Ich wollte, daß wir nicht als Menschen präsent sind“, erklärte Keshishian, „sondern als Berichterstatter.“

Wie weit durch diese Methode mehr Wahrheit ins Bild kam, wie sich der Regisseur erhoffte, bleibt fraglich. Wahrscheinlicher ist schon, daß wir Zeuge einer unterhaltsamen, aber clever kalkulierten Madonna-Peep-Show werden. Vieles von dem, was wir sehen, empfinden wir nur deshalb als sehenswert, weil uns der Blick darauf bislang verwehrt blieb. Nicht zuletzt verrät Madonnas Selbstinszenierung im Tour-Alltag ihr ausgeprägtes Selbstbewußtsein: Jeder Schritt, den ich tue, ist es wert, dokumentiert zu werden. „

Daß sich die Intim-Filmer so ganz unsichtbar doch nicht machen konnten, zeigt sich bei einem Gast-Auftritt von Warren Beatty (von dem Madonna an der Stelle als „pussy man“ spricht): Madonna hat Stimm-Probleme, ist zur Behandlung beim HNO-Spezialisten, Beatty hält ihre Hand, sichtlich nervös über die laufende Kamera. Als der Arzt höflich fragt, ob es Madonna lieber wäre, wenn die Kamera abgeschaltet würde, antwortet Beatty für sie:

„Die Kamera ausschalten? Ohne Kamera kann sie doch schon gar nicht mehr leben!“