Midnight Oil: Öl Wechsel


Midnight Oil hat das Zeug zur erfolgreichsten Kultband der 9Oer Jahre. ME/ Sounds-Mitarbeiter Kai Billerbeck überzeugte sich in der australischen Wüste von den Qualitäten der fünf Naturburschen.

Die rote Erde scheint zu glühen. Vertrocknete Spinifex-Büsche und von Buschfeuer angesengte Bäume bilden in der Wüste West-Australiens eine bizarre Szenerie. Autowracks und ein totes Känguruh liegen unbeachtet am Straßenrand. Als ich aus dem klimatisierten Auto steige, schlägt mir die heiße Luft wie eine Flammenwand entgegen.

Wir sind am Salzsee Lake Lefrey, der trotz der leichten Regenfälle in den letzten Tagen kein Tröpfchen Wasser führt. Mit seinen endlosen Rissen und den in der Sonne reflektierenden Salzpfannen scheint er dem Skizzenbuch eines surrealen Malers entsprungen zu sein. Es ist Ende Januar, und wir befinden uns bei den Dreharbeiten des neuen Midnight Oil-Videos. „Blue Sky Mine“ heißt die erste Single aus dem in diesen Tagen erscheinenden Album BLUE SKY MINING.

In den Pausen der Dreharbeiten jammen die fünf Oils zu den Hooks, die der musikalische Kopf Jim Moginie auf der Gitarre anstimmt, ohne daß Verstärker auch nur in erreichbarer Nähe sind. „Um ehrlich zu sein. Dieses spontane Gemeinschaftsgefiihl hallen wir nicht immer in der Band“, räumt Rob rückblickend ein, „wir haben momentan ein Alltime-High. Bei uns ist es wie in einer Ehe: Manchmal glaubst du, die ganze Beziehung geht sang- und klanglos den Bach runter – und dann kommst du plötzlich aus dieser Krise noch stärker heraus.“

Probleme bei Midnight Oil gab es vor allem 1984, als der studierte Jurist Peter Garrett bei der Senatswahl für die „Nuclear Disarmament Party“ (Abrüstungspartei) kandidierte und folglich vorwiegend mit seiner politischen Kampagne beschäftigt war. Eher ein Abfallprodukt dieser Phase war daher das Album RED SAILS IN THE SUNSET.

Garrett, inzwischen Ende 30 und mit einer Deutschen aus Recklinghausen verheiratet, gilt nicht erst seit jener Kampagne als Kultfigur und Kristallisationspunkt der Band. Als Midnight Oil 1979 als Surfer-Band anfingen und in den Strand-Pubs nördlich von Sydney auftraten, war der charismatische Kahlkopf noch nicht dabei. Erst Anfang der 80er stieß er dazu und

führte die Oils mit dem Album „10, 9,8,7,6.5,4,3,2,1 in die musikalische Elite von Kangaroo-Country – und gleichzeitig hin zu politisch engagierten Texten. Wenig später fragte ihn die „Nuclear Disarmament Party“, ob er nicht als prominente Identifikationsfigur für den Senat kandidieren wolle: schließlich hatte sich Garrett schon mehrfach als engagierter Umweltschützer einen Namen gemacht. Er wollte. Und scheiterte nur knapp am Einzug in den australischen Senat.

Ob seine Fans ihn wirklich lieber als Abgeordneten mit Schlips gesehen hätten, mag dahingestellt sein. Schließlich stand damit auch die Zukunft von Midnight Oil auf dem Spiel. Immerhin hatte es Garrett den Berufspolitikern einmal gezeigt, hatte in Fernseh-Diskussionen durch Intelligenz und Logik brilliert und einige unangenehme Fragen an kreidebleiche Politiker gestellt: „Warum sind Eure Visagen alle Spiegelbilder voneinander, egal welcher Partei Ihr angehört?“ „Warum habt Ihr Angst, eine eigene Meinung zu riskieren?“

Doch so anarchisch, eine Revolution anzuzetteln, ist Garrett auch wieder nicht, „zumal ich nicht glaube, daß so etwas möglich wäre in diesem Land. Wichtig ist mir noch heute, schlicht Leben in die Institutionen zu blasen“. Garrett trat zwar kurz nach der Wahl aus der Partei aus. „weil daraus eine Jeder-darf-mitmachen-Partei geworden war“, wie er sagt, doch engagiert er sid weiterhin für Umweltfragen, läuft häufig auf Demos mit und ließ sich zum Präsidenten der „Australian Conservation Foundation“ wählen. Seine Sorge um Australien, um dieses Land mit dem ungeheuren Potential, kann sicher jeder nachvollziehen, der einmal den unverdorbenen Kontinent mit seinen nur 16 Millionen Einwohnern bereist hat. „Wie wir auch in dem neuen Song ‚One Country‘ vermitteln wollen“, erklärt Peter, „müssen wir das bewahren, was wir haben. Wir dürfen nicht den letzten Baum rausreißen, nicht Ferien-Ghettos am besten Korallenriff der Erde bauen, nicht unsere Scheiße in den Hafen von Sydney pumpen und die Strände zu einer Klaoke machen.“

Die Erfolge seines Eifers sind unübersehbar. Nicht selten wurde eine scheinbar endgültige politische Entscheidung gestoppt, geändert oder erstmal auf Eis gelegt. Momentan betreibt Garrett vehement und ausdauernd eine Aktion gegen die Verlegung der australischen Flotte nach Jervis Bay, „einer noch unberührten Bucht drei Stunden südlich von Sydney, durch die Wale und Delphine schwimmen und ringsherum dichter Regenwald steht.

Sind, was politisches Engagement betrifft. Leute wie Sting oder Bob Geldof Vorbilder für ihn? „Was Sting für den Regenwald getan hat, kann ich nur respektieren. Es war sicher auch für ihn persönlich wichtig, nach Südamerika zu gehen und gegen die Abholzung zu agitieren. Geldof hat durch Band Aid und Live Aid sicher auch seine angekratzte Popularität wieder aufpoliert. In Australien funktioniert sowas allerdings nicht. Da bekommst du durch solche Aktionen von den Medien meist noch einen auf den Kopf. Aber abgesehen von den Opportunisten, die auf jeden Zug aufspringen, weil es gerade hip ist, sollte man alle mit offenen Armen begrüßen, die sich für derartige Probleme einsetzen.“

Nicht zuletzt durch seine deutsche Frau und durch mehrere Aufenthalte in der Bundesrepublik ist der singende Rechtsanwalt auch über die hiesigen Grünen gut informiert. Die Auseinandersetzung der beiden Strömungen innerhalb der Partei bezeichnet er als Pubertätspickel: „Ein Prozeß des Erwachsenwerdens, der rein altersbedingt ist.“

Auch um das Thema, auf das der deutsche Besucher in Australien überall angesprochen wird, kommen wir beim nächtlichen Interview unter dem Sternenkreuz des Südens natürlich nicht herum: den Fall der innerdeutschen Grenze. „Eine erfreuliche Entwicklung. Aber eine eventuelle Wiedervereinigung würde mir doch Magenbeschwerden verursachen, auch wenn ich mir darüber keinen fachmännischen Kommentar erlauben kann.“

Nach dem Exkurs aufs politische

Glatteis kehrt Garrett daher gern zum Thema Midnight Oil zurück – „da muß ich zum Glück nicht jedes Wort auf die Goldwaage legen“. Außerdem seien Midnight Oil sowieso schon so etwas wie eine de-facto-Opposition im Land, fügt er lächelnd an. Inspiration für das 87er Album DIESEL & DUST war zweifellos die sogenannte „Blackfella/Whitefella“-Tour (Aborigines-Ausdruck für Schwarz/Weiß) mit der Warumpi-Band durch entlegene Wüstensiedlungen Inner-Australiens. Midnight Oil fungierten dabei praktisch als Vorgruppe der Aborigines, und die meisten Zuschauer hatten von den Oils noch nie etwas gehört, „Big City Music, weiße Musik, weh, weit weg, haben die sicher gedacht. Doch wir hatten unsere Augen weit offen, um von dieser uralten Aborigines-Kultur zu lernen. Sie starrte uns mitten ins Gesicht. Die Alten tragen soviele Geheimnisse mit sich herum, die die jungen, oft besoffenen oder Benzin schnüffelnden Aborigines nicht mehr weitergeben können. Wir sahen da mehr Armut, als du je in Indien oder Indonesien finden wirst. Und uns wurde klar auf dieser Wüsten-Expedition, daß wir Zeuge einer Tragödie wurden.“

DIESEL & DUST wurde zum musikalischen Dokument der „Blackfella/Whitefella“-Tour. Sinnigerweise entpuppte sich „The Dead Heart“ als zweiter Hit der Platte. Die Welt tanzte dazu, aber kaum jemand realisierte, daß es darin um grundlegende Menschenrechte ging, die den Aborigines von der Regierung in Canberra nicht zugestanden wurden.

Daß aufgrund der Sprachbarrieren kaum jemand in Europa die engagierten Texte registriert, stört Peter Garrett nicht übermäßig: „Erstmal muß die Musik wirken, damit die Platte etwas bedeuten kann. Manchen bedeutet sie eben mehr, wenn sie darüber hinaus die Texte begreifen.“

Der überraschende Erfolg von DIESEL & DUST hat Midnight Oil auch nicht hochnäsig gemacht, wie der Interviewer unschwer feststellen kann. „Es hat uns mehr Freiraum und ein paar Dollars auf dem Konto gebracht, nicht mehr und nicht weniger“, meint Peter ohne emotionale Rührung. Gleichzeitig sind sie sich wohlbewußt, daß die Karten in Australien momentan ausgereizt sind. „Unsere Gefolgschaft ist uns treu“, sagt Rob, „wir können das Stadion nicht noch mehr fiillen als im Jahr zuvor. Daher geht die Tournee zunächst einmal in den Rest der Welt.“

Schon vor zwei Jahren schrieben Rob Hirst und Jim Moginie die ersten Songs für BLUE SKY MI-NING. Produziert wurde Mitte 1989 im Schnellverfahren. „Wir vergeuden nicht gern unnötig Zeil im Studio“, erklärt der schüchterne Jim, „die Arrangements sind bereits bis ins Letzte geplant, wenn wir mit den Aufnahmen beginnen.“

Die Single „Blue Sky Mine“ ist eine typisch australische Geschichte. Es geht um eine Minenstadt irgendwo im „Roten Herzen“, in der täglich Hunderte von Männern ins große Loch kriechen, dafür zwar nicht schlecht bezahlt werden, aber 20 Jahre später mit einer chronischen Krankheit zurückkehren. Für Garrett steht das „als Metapher dafür, was überall in der Welt mit vielen Arbeitern geschieht, ob sie nun in einer Mine, einer Chemiefabrik oder am Computer arbeiten“. Deshalb wurde das Video auch in der Umgebung der Goldminenstadt Kalgoorlie gedreht, die sowohl skurrile Natur als auch die nur auf Arbeit fixierte Atmosphäre der Wüstenstadt bietet. Für die letzten Szenen versammelten sich die Bewohner von Kalgoorlie bei extremer Hitze auf der Hauptstraße und feierten begeistert den Kurzauftritt, während die Feuerwehr alle Beteiligten abkühlte….. in the end the rain comes down …“

All austrahan production, all australian composition – so steht es auf dem Cover von BLUE SKY MINING. „Wir sind nicht die einzigen“, sagt Rob, „die wieder Wert darauflegen, Australier zu sein. Die Mehrheit der Leute in down under beginnt, ihre Kultur zu schätzen, ihre Schauspieler und Dichter, ihre Autoren und Musiker. Wir können auf unsere australischen Bands wirklich stolz sein: Paul Kelly, Hunters and Collectors, The Saints, Crowded House, INXS, Divinyls. Und Midnight Oil natürlich. Diese Gruppen zählen zu den besten der Welt, davon sind wir überzeugt.“