Zukunftsmusik
Zwei Großmeister ihres Fachs wollen die populäre Musik in neue Dimensionen führen. Steve Lake erkundigte sich nach dem Fortschritt des ehrgeizigen Projekts Carlos Santana hat wieder einmal eine neue Liebe gefunden. Nach Ausflügen in meditative Randnischen populärer Musik ging der „Erfinder“ des Laiin-Rock nun eine musikalische Ehe mit einem der profiliertesten zeitgenössischen Saxophonisten, dem 55jährigen Wayne Shorter. ein. So sehr schwört er auf seinen neuen kongenialen Partner, daß Santana Interviews nur noch gemeinsam geben will. Doch auch ein Guru wie Santana kriegt nicht alles in Frieden geregelt, zumindest dann nicht, wenn seinem Wunsch-Partner der Magen knurrt: Shorter hatte sich kurzerhand anstelle des Interviews für eine warme Mahlzeit entschieden und ließ einen verdutzten Santana allein in der Garderobe zurück.
Der in fernöstlicher Selbstbeherrschung geübte Mexikaner schluckte seinen ersten Zorn und vergab dem heißhungrigen Saxer. „Man kann ihm einfach nicht böse sein. Diese ganze Truppe, mit der wir gerade unterwegs sind, jeder einzelne liebt Wayne! Es ist eine wundervolle Beziehung. Wir sind alle so richtig glücklich. “ Später, auf der Bühne, bekommen Santanas euphorische Worte erst richtig Sinn. Die ganze Band scheint von dem außerordentlichen Spiel des gedrungenen Schwarzen mitgerissen zu sein, webt einen flackernden Rhythmus-Teppich um Shorters Soli, ist, wie das Publikum, von seinen extremen Oktav-Sprüngen, die das Sax abgehackt jaulen und quieken lasser,. begeistert.
Rückblickend scheint es tatsächlich so, als habe sich Shorter in den vergangenen zehn Jahren mit Weather Report nie richtig ausspielen können, sei dem Diktat des eigenwilligen Joe Zawinul zu stark ausgeliefert gewesen. So weckt sein Spiel heute mit Santana viel stärkere Erinnerungen an die Glanzzeiten der Miles Davis Group, deren Mitglied Shorter von 1965 bis 1968 war. Im Sog des begnadeten Saxophon-Spiels blüht die gesamte Santana-Band, Jahrgang 1988, auf. Alfonso Johnson am Baß, Patrice Rushen an den Keyboards, Ndugu Chancler an den Drums, alle absolute Größen ihres Fachs, geben sich im Gruppen-Verbund mannschaftsdienlich, erleben ein neues Wir-Gefühl. Bezeichnend, daß auch ein Santana-Weggefährte aus frühen Tagen, der Timbales-Spieler Jose Chepito Areas, nach 15 Jahren wieder zu Carlos zurückfand. Kann eine so phantastisch bestückte Band überhaupt längere Zeit bestehen? Santana: „Es sieht gut aus. Ach was sage ich: Es sieht phantastisch aus! Wir wälzen konkrete Pläne, nächstes Jahr nach Rußland, Afrika und China zu gehen. Zusammen mit uns sollen die Miles Davis Group, der Brasilianer Milton Nascimento und SalifKeita aus Mali auf Tour gehen und in immer nieder wechselnden Line-Ups zusammen jammen. Die Zeil ist reif für solche Fusionen, wir müssen die populäre Musik endlich auf eine neue Ebene heben.“
Carlos und Shorter begegneten sich erstmals 1972, als Weather Report das Vorprogramm einer Santana-Tour bestritt. „Zu der Zeit war Samana in den Staaten absolut angesagt. Ungefähr so populär wie Prince heute.“
Heute möchte sich Santana vom Rock’n’Roll endgültig abnabeln.
„Ich bin jetzt 41 Jahre alt und habe nicht vor, bis an mein Mensende .Black Magic Woman‘ zu spielen. „Als Abschieds-Geschenk an alle alten Fans erscheint im September bei CBS eine Santana-Retrospektive als 3-Album-Pack. Eine „Best of…“-Zusammenstellung, die auch bislang unveröffentlichtes Live-Material enthält. In den USA wird Carlos sogar extra eine ganz frühe Santana Besetzung (mit den beiden Journeys Neil Schon und Greg Rolie) reaktivieren und die Nostalgie-Box auf einer Tour vorstellen. Dann aber „ist es Zeit, die Vergangenheit endlich ruhen zu lassen und sich den Aufgaben der Zukunft zu stellen. „