David Sylvian – Montreal, Saint Denis Theatre
Über fünf Jahre ist es her, daß sich Japan trennten. Inzwischen ist aus dem schillernden Paradiesvogel David Sylvian ein introvertierter Schöngeist und Poet geworden. Sein neues Live-Projekt ist von Posen und Exzessen so weit entfernt wie Nancy Reagan von einer guten Nase bolivianischen Marschierpulvers.
Die Besetzung weckt vorschnelle Assoziationen: David Tom, vormals Gitarrist bei der Everyman Band und bei Jan Garbarek (beides Produkte aus dem Hause ECM), sowie Mark Isham. Komponist und Trompeter des Windham Hill Labels, stehen mit David Sylvian in der Frontline. New Age. ick hör‘ dir trapsen. Auf der anderen Seite sind die beiden Ex-Japan-Mitglieder und Gründer der Dolphin Brothers, Keyboarder Richard Barbieri und Drummer Steve Jansen mit auf Tour. Wohin geht die Reise also?
Die Tour heißt nicht umsonst „In Praise Of Shamans“. Keine Bange, David Sylvian ist nicht zum Schamanenpriester mutiert. Aber die Idee von Musik als Mittler zwischen Bewußtsein und Unterbewußtsein hat ihn hörbar beeinflußt. Das Konzert basiert auf einem breiten Teppich meditativer Musik, aus der sich die Nummern von Sylvians Solo-Alben herausschälen. Da lassen sich David Torn und Mark Isham minutenlang auf den Klangwolken der Keyboards treiben, ostinate Rhythmen bilden das hypnotische Zentrum ätherischer Soundskulpturen.
Das kanadische Publikum reagierte mit gemischten Gefühlen. Der Enthusiasmus überwog, allerdings in erster Linie, wenn die Rhythmusgruppe einen konkreten Beat anschlug. Die entrückten Exkursionen in die Sphären der freien Musik waren vielen zu introvertiert: Auf Zehenspitzen verließen sie den Saal. Der einzige Schwarze im Publikum wurde von tiefem Schlaf übermannt und war nur durch heftiges Rütteln wieder wachzukriegen.
David Sylvian gibt unumwunden zu, daß er nicht gerne tourt. Nicht zuletzt deswegen hat er sich zwei Improvisatoren in die Gruppe geholt und läßt seiner Band viel Raum, um Musik aus dem Moment heraus entstehen zu lassen. Die Band hat durchaus das Potential, um auch vor dem kritischen Ohr eines Jazzers zu bestehen. Gegen den Begriff „New Age“ wehren sich die Musiker hingegen aufs Heftigste. Wohlwissend, daß der Begriff inzwischen negativ besetzt ist, daß er nicht introvertierte musikalische Freiheit, sondern Reformhaus-Kult und Sojaschnitzel bedeutet. Nun gut, man muß David Sylvian in keine Schublade stecken. Fest aber steht: Er hat sowohl die Intensität als auch Eingängigkeit dem Purismus der Freiheit und Ästhetik geopfert. Und das fordert Zuhörer, die nicht nur bereit sind, sich in seine Musik zu versenken, sondern auch seine fast anachronistische Liebe zu reiner Schönheit und flächiger Breite zu teilen. Manch einem schlafen dabei nicht nur die Füße ein.