High Noon für Hillbillies
Die lasche Country-Lala aus Nashvüle bekommt Konkurrenz. Mit Steve Earle, Dwight Yoakam und Randy Travis meldet sich eine neue Generation zu Wort, die Rebellion und Tradition lässig miteinander verbindet Jörg Feyer sprach mit ihnen.
Country-Platten? Steve Earle guckt mich leicht verdutzt an. als ich ihn nach seinen letztiährigen Vinyl-Favoriten befrage. „Jahrelang konnte man in Nashville keine Couniry-Piauen kaufen, weil es nichts gab, was ich als ‚Country‘ einstufen würde — absolut nichts!“
Dwight Yoakam schlägt in dieselbe Kerbe. „Pure Honky Tonk-Music“, weiß der 30jährige Bergmannssohn aus Kentucky, „hatte aufgehört zu existieren in Nashville. Coun-Iry-Music im ursprünglichen Sinn wurde nur noch in Kalifornien gespielt, von Merk Haggard, Bück Owens, Gram Parsons oder Emmylou Harris.“
Und auch Randy Travis stimmt in das Klagelied ein. „Traditionelle Country-Music war eine Zeit lang fast völlig von der Bildfläche verschwunden. Wenn es nicht immer noch Leute wie George Jones oder Merk Haggard gegeben hätte, wäre sie völlig weg gewesen.“
Das stolze Triumvirat beschreibt natürlich die mißliche Lage der Hillbilly-Zunft vor seiner Stunde, die im letzten Jahr schlug, als sich die Erstlingswerke des Trios monatelang auf Top-Positionen der Country-Charts behaupten konnten und sogar die Pop-Charts knackten.
Jahrelang hatte die satte, selbstzufriedene Nashville-Industrie ihre Dollars mit seichtem Pop-Crossover-Schlock (verkörpert etwa von Gruppen wie Alabama) verdient, bis sich Interpreten wie Ricky Skaggs, George Strait, The Judds, Reba McEntire oder The Whites wieder auf die reiche Tradition der Country-Music besannen. Der ursprüngliche, bodenständige Sound dieser „New Traditionahsts“. die aus Bluegrass-, Western Swing-, Honky Tonk-, sogar Blues- und Gospel-Quellen schöpfen, entwickelte auch die nötige kommerzielle Durchschlagskraft.
Dwight Yoakam. der mit seinem rauhen Honky Tonk-Material in Nashville abblitzte, fand sein erstes Publikum in den Punk- und Rock-Clubs von Los Angeles, wo er zusammen mit Gruppen wie Los Lobos, Lone Justice oder den Blasters auftrat. Yoakams chic-herbe Hillbilly-Pose, die inzwischen auch in Nashville einigermaßen hoffähig geworden ist, rief kürzlich sogar schon Hollywood auf den Plan. Ein Filmangebot von „Platoon“-Regisseur Oliver Stone möchte Yoakam allerdings noch überdenken, weil die offerierte Rolle vielleicht doch „ein bißchen zu negativ“ ausfallen könnte.
Als rebellischen Bösewicht vermag man sich Randy Travis dagegen kaum vorzustellen, ganz im Gegenteil: Der 27jährige Import aus North Carolina, gesegnet mit einer Partie Stimmbändern, die selbst das Absingen von Stromrechnungen noch interessant gestalten könnten, ist schnell zum Darling des NashvilJe-Establishments aufgestiegen, das seine klassische, an Größen der alten Schule orientierte Darbietung mit Auszeichnungen überhäufte.
Steve Earle. 32, aus San Antonio/ Texas, krebst immerhin schon seit rund 13 Jahren in Nashville herum und verdiente dort seine nicht gerade üppig belegten Brötchen als Begleitmusiker und Songschreiber. Als Zwitter zwischen Country und Rock möchte er die ohnehin fragwürdige Genre-Grenzen durchlässiger machen und bescheinigt seinem Idol Bruce Springsteen, „ein ganz guter Hillbilly-Sänger“ zu sein — zumindest auf Nebraska, Earles Lieblings-Album.
Der Nashville-Industrie fiel es nicht sonderlich schwer, sich mit der neuen Hillbilly-Generation anzufreunden, denn nur diese frischen Interpreten konnten ein junges Publikum wieder für die Country-Music zurückgewinnen — eine Klientel, die noch stets zur Stelle war, wenn der Country-Puls nah an den Wurzeln, „nur einen Atemzug vom Rock n Roll entfernt“ (so die Zeitung „USA Today“), schlug.
Und was fangen wir damit an? Hier, wo Country-Music immer noch bestenfalls als akustisches Exotikum. schlimmstenfalls als sentimentale Ausgeburt reaktionären Hinterwäldlertums gehandelt wird? Nun. ich gebe zu bedenken: Geliebt, gelitten und gesoffen — nicht zwingend, aber doch meist in dieser Reihenfolge — wird schließlich nicht nur in Texas oder Tennessee. Und wenn ich. um Tiefe und Ausdauer meiner Gefühle zu beschwören, die Wahl hätte zwischen germanischem Gesülze a la „Ich Liebe Dich“ oder Randy Travis‘ „Forever And Ever, Amen“ — klarer Fall, was meine Herzens“ dame zu hören bekäme.