Heidi Im Gold-Rush


Erst haben clevere Karriereschneider aus dem pummeligen Chormädchen Heidi Stern die strahlende Jennifer Rush gemacht, jetzt hofft ihr Erfolgs-Team auf den großen Sprung zurück in die Staaten. Jürgen Kalwa beobachtete die Startvorbereitungen.

Frankfurt ist nicht unbedingt das. was man in seinem Leben mal gesehen haben muß. Aus der Ferne wirkt die Skyline austauschbar amerikanisch. Mainhattan hat einen Amerika-Komplex, seitdem die Gls da sind; und hat die amerikanischste aller Plattenfirmen, die das amerikanischste Stückchen Kultur repräsentiert — Rockmusik. Bei der CBS wird corporaie identitx gelebt, da gilt das Team mehr als das Ego eines einzelnen. „Bei der CBS arbeilen noch viele Rock W Roller, die provokanter denken und beweglicher sind als viele ihrer Künstler“, sagt Manager Jim Rakete.

Und das ist auch der Grund, weshalb eine Geschichte über Jennifer Rush erst mal so wenig mit Jennifer Rush zu tun hat. Sie hat viel mehr mit Frankfurter Musikern zu tun. die es als Künstler nie geschafft haben, nun aber als Musikverleger. Manager, Produzenten. Songschreiber und Artist & Repertoire-Leute ein beachtliches Konzert anstimmen — in amerikanischer, professioneller Manier. Wenn man sie nicht kennen würde — Michael Stark, Bernd Hoffmann, Günther Mende, Candy DeRouge, eingefleischte CBS-Denker, Team-Menschen, musikalische Verwandte — dann würde man sie wahrscheinlich hinter der lebensgroßen Popkameradin Jennifer so schnell gar nicht ausmachen. „Manx lhanks to all mx friends at CBS“ steht lapidar auf dem Innencover.

Sicher, Jennifer hat eine ungewöhnliche, gut trainierte Stimme. Aber was noch viel wichtiger ist: Sie ist Amerikanerin und damit genau das, was man bei einer amerikanischen Plattenfirma in Deutschland wie einen Sahneklacks obendrauf braucht. Auch wenn man den Erfolg nicht auf dem Reißbrett entwickeln kann, spürt man doch: Die will in Amerika groß rauskommen, die hat das Zeug. Die ist auch in der Lage, bei einem ersten Test live im Demo-Studio des CBS-Kellers einen gewohnt skeptischen Talent-Scout platt zu singen.

Günther Mende. der in dem Team der Produzent wurde, erinnert sich an seine erste verhaltene Aussage: „Die Stimme ist eigentlich ganz okay.“ Michael Stark, der A&R-Mann der ersten Stunde, ^päter der Musik-Verleger, heute der Manager von Jennifer Rush, hat auch so verhaltene Erinnerungen: „Wer heute behauptet, er hätte gewußt, daß die Tante Erfolg haben würde, der lügt. „

Ist ja auch kein Wunder: Einen richtigen Smash, einen Erfolg, von dem der etwas später ins Team eingerückte Bernd Hoffmann sagt, daß man so was vielleicht erst nach Jahren wirklich begreift – sechs Millionen Alben in Europa, mit der Single“.Power Of Love“ in England „the best selling female artist of all times“ – diesen Erfolg hatte dieses Gespann vorher auch nicht einplanen können. Aber auch große Fotos sind nur Abzüge von kleinen Negativen. Wenn die Aufnahme stimmt, geht jedes Format.

Die Vergrößerungsphasen: Nach ersten Singles, nach Studioarbeit von einem halben Jahr, Fernsehauftritten mit Candy DeRouge (Keyboards), Günther Mende (Schlagzeug) und Bernd Hoffmann (Baß) als mimender Playback-Band hieß es noch: „Wenn die LP 5()-XX) verkauft, haben wir das Klassenziel erreicht.“ Doch „das Medium unserer Seele“ (Günther Mende) sprengte den Rahmen. Allein in Deutschland wurden von den beiden Rush-LPs zusammen 2,5 Millionen Stück verkauft.

Heidi Stern, die ihren Künstlernamen Jennifer Rush so schreibt, wie ihn der CBS-Grafiker entworfen hat, ein Mädchen aus New York, von ihrem Vater per Demo-Cassette in Frankfurt empfohlen, mit dem Flugzeug angereist, gewohnt, schnell zu denken und manchmal noch schneller zu sprechen, bereit, das Ganze nicht als Spaß, sondern als harte Arbeit zu betrachten, war denn unterschwellig für alle die Bewußtseins-Lokomotive. Kaugummikauend, mit zerrissenen Jeans, strähnigen Haaren, auf Anraten eines amerikanischen Produzenten schlanker gehungert, zahnkorrigiert und bereit, von nun an auf Stöckelschuhen zu gehen, war sie 1981 angetreten. Dazu die Stimme und eine unbändige Energie – das Negativ also. Das Labor in Frankfurt machte vorzügliche Abzüge in Posterformat.

Typisch für die Familie, wie sie ihr Team nennen, ist. daß sie auch heute noch, selbst nach dem Auseinanderleben der Eheleute Rush und Mende/DeRouge, von Freundschaft sprechen. Sie arbeiten jetzt in anderen Konstellationen zusammen, nach wie vor auf Handshake-Basis; und die Sektflaschen teilen sie sich auch immer noch. Motto der Jongleure mit Millionen Platten und Millionen Märkern: „Man muß sich trauen, zu vertrauen.“ Und man muß in der Lage sein, klare Entscheidungen zu treffen: „Für die dritte LP“, so Bernd Hoffmann, „war kein befriedigendes Ergebnis in Sicht. Das läßt einen mit der Axt den gordischen Knoten durchhauen.“ Scharf und schnell, zielstrebig halt, in aller Freundschaft.

Songwriter en masse werden animiert, 400 Demos angehört und gefiltert. Man stimmt sich mit den Schwesterfirmen ab und gibt Harald Faltermeyer den Zuschlag als Produzenten. Schließlich hat der schon mehrfach bewiesen, daß er den amerikanischen Musikgeschmack wie den Nagel genau auf den Kopf treffen kann.

Denn nach Amerika soll die Reise natürlich gehen. „Amerika?“ fragt Jennifer, nicht ungeübt in Sachen Understatement, „es reizt mich, wenn es klappt. Aber ich finde so ein Ziel völlig normal. Like every person 1 like to go as far as I can go. „

Und wenn’s denn Hollywood sein sollte – bittesehr! Ab Mai steht die neue LP HEART OVER MIND nun auch drüben im Laden.