„Wie die erste Fahrstunde


Reinhold Heil, Keyboarder (Splitt) und Produzent (Cosa Rosa), beschreibt aus der Sicht eines Betroffenen, wie das Sampeln seine Arbeit verändert.

Wie bei jeder technischen Neuerung, so existieren auch beim Thema Sampling diverse Mißverständnisse. Denn Laien, die’s nun mal nicht selber praktizieren, überschätzen gerne die Möglichkeiten des Samplens — oder sie unterschätzen sie.

Die Überschätzung sieht etwa folgendermaßen aus: Mit einem Riesen-Sampler sowie einer prächtigen Auswahl an Compact Discs mit den gerade angesagten Sounds erzielt man automatisch den affengeilen Sound, das ultimative Klangergebnis. Falsch.

Die Unterschätzung besteht in dem Glauben, Samplen würde sich schnell totlaufen, weil die Leute verfremdetes Gläserklirren und Hundegebell als musikalische Sound-Beilage bald satt haben werden. Auch falsch.

Was derzeit die Branche querbeet mit dem Sampler macht, ist nicht mehr als die erste Fahrstunde. Man hört vielen Produktionen an. daß das Experimentier-Stadium noch längst nicht verlassen wurde. Andererseits hört man einigen wegweisenden Produktionen schon an, daß man gar nichts hört — weil der Sampler von seinem Zen-Meister bereits so dressiert wurde, daß die Ohren den Unterschied zwischen dem Original und der gesampelten Imitation nicht merken.

Über Stilfragen zu diskutieren, ist derzeit sicher verfrüht. Ein neuer Zusammenhang existiert aber schon dann, wenn bei einer herkömmlichen Rock-Produktion wie „Walk Like An Egyptian“ von den Bangles am Anfang des Stücks ein völlig undefinierbares Geräusch auftaucht; es klingt, als ob eine kaputte Röhrenglocke verfremdet worden wäre. Was immer es auch ist — es ist auf jeden Fall ein Sampling mit der Wirkung: klingt interessant.

Für den Einsatz der Sampler sprechen ja schon allein seine Presets, die schon vorhandenen Eingaben, die du als Instant-Sound sozusagen jederzeit abrufen kannst. Du mußt nicht um jeden Preis alle Töne dieser Welt selber aufnehmen. Das funktioniert in einigen Fällen nämlich auch gar nicht. Die Überlegung, ich will das geile Phil Collins-Schlagzeug in meinem Computer haben, also sample ich es von einer seiner Platten in CD-Qualität herunter, ist trügerisch. Es geht nämlich nur dann, wenn ich einen einzeln im Raum stehenden Ton habe. Sonst nehme ich unweigerlich auch alle anderen mit auf, weil ich den gewünschten Ton nicht herausfiltern kann. Denn der Computer ist in dieser Beziehung dumm; er kann nicht mal zwischen Baß und Baß-Drum unterscheiden. Deshalb hat dann auch jeder die Snare-Drum von Stewart Copeland von Police aus „Every Breath You Take“ in seinem Emulator — die typische, sehr eigene Copeland-Snare. Denn die kann man bequem samplen, weil sie als Auftakt mutterseelenallein vor der Nummer steht. Auf wie vielen Platten die mittlerweile gelandet ist, kann man gar nicht mehr zählen.

Ein richtig gutes Sample anzufertigen, ist eine Kunst für sich. Am besten bekommt es wohl nur ein routinierter Toningenieur hin. Amateure sind aufgeschmissen oder behelfen sich mit Improvisiertem. Einen richtig geilen Flügel zum Beispiel? Wie kriegst du den hin? Genaugenommen mußt du nämlich jeden der über 80 Klaviertöne einzeln mindestens zweimal aufnehmen — laut und leise. Und dann brauchst du einen Sampler, der so was miteinander verbindet.

Ein ganz anderes Problem ist die Copyright-Frage. Denn die im Studio (oder live) auf Band festgehaltene Performance eines Schlagzeugers ist eine kreative Leistung. Was sie wert ist. erkennt man leicht daran, daß andere Leute sie durch Samplen für ihre Musik benutzen wollen. Nur: Was technisch möglich ist, muß ja nicht unbedingt auch erlaubt sein. Und wenn es nicht technisch verhindert werden kann, müssen sich die Musiker selbst drum kümmern.

Juristisch gesehen, gibt es natürlich einen Unterschied zwischen den Ein-Ton-Performances von Drummern und der Performance, die ein ganzes Stück ausmacht. Ich kann ja nicht mit einem einzigen Saxophon-Ton alle Ausdrucksmöglichkeiten des Instruments einfangen. Die vielen verschiedenen Ausdrucksmöglichkeiten, die ein Musiker während des Zeitraums einer Millisekunde zur Verfügung hat. bekommst du in einen Sampler gar nicht rein. Der hält immer nur ein Klangsegment des wunderbaren Natur-Instrumentes fest.

In einer Hit-orientierten Nummer mag dieses Manko gar nicht so schlimm sein. Ein Comic-Strip ist ja auch kein Rembrandt. Wer Musik karikiert, nur einzelne Aspekte herausnimmt, die besonders auffällig sind, der arbeitet vorwiegend mit diesen Bruchstücken. Etwas ganz anderes ist es da schon, wenn etwa David Sanborn bei mir im Studio einen langen Saxophon-Part spielt. Wenn ich das nun anschließend komplett, phrasenweise oder in Licks als Sample auswerte, dann bin ich zwar nicht besonders originell, sondern kupfer eine persönliche Leistung ab.

Nun gut. Viele Leute kaufen sich so ein Gerät und glauben: Jetzt haben sie’s mehr oder weniger gepackt. Jetzt haben sie den Jordan durchschritten auf dem Weg in das Gelobte Land der Charts. Das ist natürlich Quatsch. Jede Art von Technologie inflationiert sich sofort. Entweder du bist innovativ bei der Herstellung von Musik oder nicht. Und wenn nicht, dann hast du schlechte Karten in der Hand — selbst mit einem Fairlight.

Auf der anderen Seite bieten selbst nicht so teure Geräte eigentlich jedem die Chance. Du kannst — auch zu Hause im kleinen Rahmen—richtig gute Demos machen und hast damit die Chance, von einer Plattenfirmaangenommen zu werden — ein Stück Demokratisierung.

Aussterben werden allerdings die. Schlagzeuger mit dem Bleifuß, die minutenlang exakt wie eine Maschine spielen. Um die aber ist es nicht schade. Dann lieber gleich die Maschine.

Was übrig bleibt, sind Leute, die eine Performance abliefern können, etwas sehr eigenes. Schlagzeuger zum Beispiel, die programmieren, was stupide ist — und die kleinen, schnuckeügen Feinheiten selber drüberspielen. Gefragt sind mehr denn je Leute, die kreativ sind.