Genesis


Gigantisch. Mit diesem Wort wäre jede Genesis-Konzertkritik erledigt, würde einer solchen Veranstaltung nicht schon seit eh und je ein merkwürdiger Charme anhaften. Ist die Materialschlacht noch so optisch dominant, der Protz bleibt sympathisch und wird nicht seiner selbst willen angeboten.

Wahrscheinlich ist das aber auch das Verdienst des kleinen dicklichen Herren mit der höheren Stirn, der einst eher zufällig hinter seinen Trommelfellen hervorkam, um Sänger zu werden. Und dies bravourös meisterte, indem er so tat, als sei dies die natürlichste Sache der Welt. Da steht er also, Phil Collins, mit seiner vertraut nasalen, samtweichen Stimme und singt gleich zu Beginn von der „Mama“ im High-Tech-Raumschiff-Bühnendesign. Natürlich in CD-HiFi-Tonqualität und bestrahlt von einer noch nie dagewesenen Lichtbatterie. 230 Scheinwerfer, gesteuert von ebensovielen Computereinheiten, zaubern die wahnsinnigsten Illuminations-Tricks in die Dunkelheit. Das Lichtermeer wird noch plausibler, wenn man weiß, daß der Sänger samt seinen zwei Musikerkollegen Tony Banks (Keyboards) und Mike Rutherford (Gitarre) neben weiteren 26 Firmen auch die Lichtausstatter-Company „Varilite“ besitzt und leitet. (Die gleichnamigen Scheinwerfersysteme wurden dafür berühmt, gebündelte Lichtfinger zu hunderten parallel und in alle Richtungen schwenkbar möglich zu machen.) Zweieinhalb Stunden schöpfen Genesis aus 15 Jahren Repertoire. Von „Dance On A Volcano“ über „Abacab“ (Phil an den Fellen!) bis hin zu Auszügen aus dem letzten Millionen-Seiler INVISIBLE TOUCH. wobei „Throwing It All Away“ und — überraschenderweise —– „The Brazilian“ sich als wahre Live-Reißer entpuppten. Die aktuelle Single „Land Of Confusion“ blieb ohne jenem genialen „Spittinglmage“-Puppentheater des Videos fast erwartungsgemäß zurück.

Ein ellenlanges Trommelsolo bestätigt dann den Ex-Weather Report Schlagzeuger Chester Thompson als mittlerweile voll akzeptiertes Mitglied, genauso wie Gitarrist Daryl Stuermer, der. ebenso schon ein ganzes Jahrzehnt dabei, oft genug aus dem Schatten des ohnehin recht verhalten agierenden Mike Rutherfords heraustreten darf.

Was auch der Band noch offene Münder des Staunens bereitet, ist die Zusammensetzung des Publikums. Nicht wenige Youngsters zählen da gerade soviel Lenze, wie das legendäre 1974er Album THE LAMB LIES DOWN ON BROADWAY. Außerdem 50% weiblich. Phil Collins, der Knuddelbär mit Sex-Appeal?

Die Jugend ist auch der Grund dafür, daß älteres, komplizierteres Material vergleichsweise höflich beklatscht wird, während die 60000 im definitiv häßlichsten Baseball-Stadion des Kontinents die viereinhalb Minuten-Gassenhauer wie „Illegal Alien“ oder „Follow You, Follow Me“ mit wahren Begeisterungsorkanen aufnehmen.

Die 11. Nordamerika-Tournee der Band gerät zum bislang größten Triumphzug. Doch auch das ausverkaufteste Stadium könnte kaum die

immensen Kosten decken. Aber keine Sorge, ein freundlicher Bier-Riese namens Michelob greift dem Unternehmen sponsormäßig unter die Arme und darf dafür die Band in seiner Werbung als Freunde des Gerstensaftes präsentieren.

Eigentlich ein guter Deal, wenn man dafür eine Show der Extraklasse präsentiert bekommt, die ihre 22 Dollar und 30 Cents mehr als nur wert ist.