Ich bin Prince
Mitte der 50er war LITTLE RICHARD sogar noch schlimmer als Prince. Der Mann war ein Skandal: laut, schrill, aufgedonnert, bisexuell. Und er war für drei Jahre King Of Rock: "Tutti Frutti", "Lucille", "Good Golly Miss Molly"... 1957 klappte er den Klavierdeckel zu, wurde Priester und ein neuer Mensch: Little Richard raucht nicht mehr, trinkt nicht mehr, nimmt keine Drogen mehr und schläft nicht mehr mit Jungs. Aber er singt wieder. Und nimmt den Mund so voll wie eh und je.
„Montag nachmittag, 5. Dezember 1932. Er war der größte Junge, den ich je zur Welt gebracht hatte, bei seiner Geburt schon zehn Pfund. Ein kräftiger, ein feiner Junge. Wir wollten, ihn Ricardo Wayne nennen, aber auf seiner Geburtsurkunde hat man das irgendwie vermasselt. Sie schrieben Richard Wayne — und ich hatte irgendwie nicht den Mumm, die Sache klarzustellen. Jetzt heißt er halt nach meinem Vater Richard. “ Leva Mae Penniman
Ich weiß nicht, ob er den Rock ’n‘ Roll erfunden hat. Aber eins ist sicher: Er war mit dabei, als dieser Bastard zur Welt kam —- diese Musik, die auf hohen Hacken daherkam, die schmutzig war, gefährlich. Fun —- und schwarz. Und das in einer Zeit —- den 50ern —, wo Amerika sauber, zugeschnürt und weiß war. Doris Day mit weißen Schühchen, weißchen Kleidchem, weißer Handtasche in einer komplett weißen Küche.
Damals waren schwarze Jungs allenfalls Zugschaffner oder Pförtner. Sie kannten den ihnen zugewiesenen Platz. Es war undenkbar, daß sie schrille Anzüge trugen. Es war noch undenkbarer, daß sie Geschlechtsteile hatten. Und es war schier undenkbar, daß sie mit diesen Dingern in dem grellen Anzug aufreizend rumwaccklten und —- o Gott -— das vor weißen Madchen! Oder Jungs!
Little Richard stammte aus Macon, Georgia, wo Schwarze hinten im Bus sitzen mußten, wo sie in anderen Hotels schliefen als die Weißen, wo sie in anderen Toiletten pinkelten als die Weißen … Und Little Richard kannte seinen Platz nicht. Außerdem war er bisexuell. Er bekam nicht nur ihre Mädchen, diese netten weißen Girls, die zitterten und sich um ihn rissen. Er bekam auch ihre pfirsichhäutigen, allamerikanischen Muttersöhnchen. Richard war durch und durch schlecht. Und er war brilliant.
Er stammte aus einer strengen, sehr großen Familie. Als sein Vater erschossen wurde, war seine Mutter gerade wieder einmal schwanger. Er zerschlug Marmeladengläser, spielte Doktor mit den kleinen Mädchen und Mama mit den kleinen Jungs. Sex und Singen brachten ihm ältere Damen bei — und eine davon sprach den Fluch aus, daß er im Alter von 21 sterben würde.
Das alles machte ihn nur noch wilder. Er spielte Klavier in der Kirche, fettete sein Haar zu einem riesigen Pompadour-Monument, ondulierte sich Wellen dazu, trug Eyeliner auf und krönte das Ganze mit einem ungeheuren Schnäuzer. In Texas wurde er festgenommen, weil er die Haare zu lang trug. Weiße Mädels warfen ihm in Baltimore ihre Slips zu. Ihre Väter nannten es abschätzig „Nigger Music“. Teufelszeug —- worauf sie Pat Bonne und Bill Halcy einweißten und viel Geld damit verdienten. Richard feierte derweil weiterhin Orgien.
Und dann -— mit der Steuer im Nacken und entrüsteten Christenmenschen auf den Fersen —- fand Richard wieder zu Gott zurück. Es war in Australien, als ihn eine Himmelserscheinung, ein „Great Ball Of Fire“ vor Unheil bewahren sollte. Ein Flugzeug, das er vor seiner Bekehrung eigentlich hatte nehmen wollen, stürzte ab. Ein Ereignis, das seine Handlungsweise in den letzten 20 Jahren bestimmen sollte, seinen Weg aus der Gosse (Drogen, Sex, Whisky und jede Menge Masturbation) zu den Sternen (Bibelverkäufer und Gospelalben). Den Schwanz in der einen Hand, das Alte Testament in der anderen …
Der Little Richard, den man heute antrifft, hat endlich sein Gleichgewicht gefunden. Er nennt’s „Message Sound Rocks'“, eine freudig-fröhliche, ausgelassene-übermütigc Rock-Musik, deren Texte jedoch — obwohl laut Richard offen für anderweitige Interpretation — von Gott, Religion und Apokalypse handeln. Richards erstes Rock-Album seit 1976 heißt OPERATOR – und das ist auch der Grund, warum er hier sitzt. In einer Suite des Londoner Mayfair Hotels. Zwei schwarze Bodyguards an der Tür. Ein Masseur, der sich um des Sängers Bein kümmert.
Die böse Verletzung zog sich Richard in Palm Springs unweit seiner Wohnung bei einem Autounfall zu. „Ich habe 36 Stahlnägel und eine Metallplatte im Bein. Die Schmerzen hören überhaupt nicht auf…“ Trotzdem nimmt er keine Schmerzmittel, nur Vitamine. Keine Drogen mehr für diesen Mann.
„Und hier“, er zeigt auf eine kleine Narbe am Mund, „hatte ich einen Riß in der Zunge, sie mußten es nähen und erst jetzt, ganz langsam, kommt das Gefühl wieder zurück. Aber Gott meint es gut mit mir: Ich war in einem guten Hospital in Los Angeles, einem der besten jüdischen Krankenhäuser überhaupt. „
Richard — ehemals Prediger in der „Seventh Day Adventist‘-Kirche — ist mittlerweile Hebräer, nicht Jude! Obwohl es da anscheinend Unterschiede gibt, müssen wir unser Interview vor Sonnenuntergang Freitag nacht beenden. Wegen Sabbath.
„Durch diesen Unfall habe ich erkannt, wer wirklich zu meinen Freunden gehört, wer mich liebt“, lacht er und zählt jeden auf: von Bob Dylan („mein Bruder“, Michael Jackson („er stellte mir zwei Bäume ins Zimmer“), Elizabeth Taylor über Bruce Springsteen („lies my buddy-buddy-buddy-buddy“) bis hin zu Prince. „Nun ja, das bin ja eigentlich ich“, grinst er.
Weiß Prince das auch? „Nein“, schreit Richard. „Er würde sterben. Michael würde es schon eher geben oder David Bowie, eigentlich jeder in der Branche. Aber (seine Stimme wird zu einem beziehungsreichen Flüstern) es ist ein Wunder, daß ich noch am Leben bin. O mein Gott, warum gerade ich?“ Mit theatralischem Klageton gen Himmel verwandelt er sich wieder in die Rolle des Rock ’n Roll-Jesus.
In Interviews und Porträts wird Richard gewöhnlich als hingebungsvoller Selbstvergötterer dargestellt. Während unseres Interviews macht die Selbstbeweihräucherung nur sporadische Aufwartungen —- ansonsten kriegt der liebe Gott top billing. Richard schrieb ja gern und oft über sexuelle Liebe. Inzwischen hat sich das geändert: Es geht um die Liebe zu Gott.
Gibt es, so frage ich mal frech, eine Verbindung zwischen sexueller und spiritueller Liebe?
„Nun, wir alle stehen auf Sex, oder etwa nicht?“
Er grabscht nach meinem Knie wie der liebe Onkel. „Hin und wieder“, lacht er, „treffen wir halt auf einen lieben Menschen. Daran ist ja nichts auszusetzen. Sex gehört zu Mann und Frau wie … Die Bienen tun es, die Vögel tun es. Ich glaube, letztlich ist Sex eine Frage des guten Geschmacks: Ob man es nämlich richtig treibt, zur richtigen Zeit, mit der richtigen Person, mit dem, der für dich bestimmt ist.
Es wird darüber soviel geredet: Sex soll schmutzig sein, Sex soll gut sein. Natürlich ist Sex gut. Jeder weiß das! Mir hat’s auf jeden Fall immer gutgetan! Egal, wie ich es getrieben habe, immer toll, hat mir Spaß gemacht, selbst wenn ich mich nur mit mir selbst beschäftigte.
Viele Leute versuchen sich ja keusch wie Engel zu benehmen, so, als würden sie in den Himmel auffahren, aber — glaub mir — sie fliegen nirgends hin! Eines Tages werden sie aufwachen mit dem Gefühl: , Verdammt, ich hätte es doch gern getrieben!‘.
Ich frage ihn nach Songs wie „Destruction“ und „Big House Reunion“, wo er viel Lärm macht um das bevorstehende Ende der Welt und das Treffen mit dem großen Meister im Himmel. Und als ich das Stichwort Apokalypse fallen lassen, fragt er: „Apokalypse — um meinst du??“
Seine Vision im Jahre 1957, jenes Erlebnis, das aus dem Rock „n“ Roller einen Prediger machte.
„Meinst du das, wo ich den Sputnik gesehen habe? Nun, ich bin aus einer sehr religiösen Familie. Ich würde keinen Sekten beitreten, denn einige Leute sind schon ein bißchen seltsam und engstirnig, aber ich respektiere alle Religionen Meine Leute waren sehr streng: Sie hielten die 10 Gebote ein, ehrten den Sabbath, aßen nur bestimmte Sachen, kein Fleisch, kein Blut — so wuchs ich auf. Und als mir ’57 diese Sache passierte, hatte ich wirklich Angst…!“ Richard war an Bord eines Jets zwischen zwei Tourneeterminen.
„Ich weiß nicht wieso. Aber ich hatte das deutliche Gefühl, wenn ich die ganze Sache nicht sein lasse, daß wir dann mit dem Sputnik zusammenstoßen.“
Das Gefühl muß wirklich überdeutlich gewesen sein: Richard ließ ab von der Musik und ging wieder zur Schule. Er studierte Theologie, Mathematik und Ökonomie.
Aber Richard sollte nicht für immer in der Versenkung entschwunden sein. Er kam zurück — und einige Deppen schwenkten immer noch Plakate bei seinen Konzerten und wünschten den Mann zum Teufel.
„Als ich mit Rock ’n Roll anfing, gab es ihn noch nicht. A Is kleiner Junge sah ich nichts als Hühner, Kühe, Enten, Gänse und Meerschweinchen — und die konnten alle nicht singen.“ Er lacht. „Aber als ich dann , Wop-bop-a-loop-bop-a-lop-bam-boom’sang, fing alles an. Anfangs wollten sie meine Musik nicht im Radio spielen. A her als ich dann als erster Schwarzer im weißen Radio gespielt wurde, fingen ihre Weiber an zu kreischen. Ihre Männer wollten nicht, daß dieser schwarze Kerl eine solche Wirkung auf weiße Mädels hat. Denn die drehten ganz schön ab und wollten mich und ich wollte sie und wir alle schrien vor Vergnügen.
Die Tanzschuppen waren damals eine Domäne der Schwarzen. Die Whities standen oben auf dem Balkon und wurden .Zuschauer‘ genannt. Ist es nicht traurig, wenn man sogenannt wird?? Aber die Weißen verließen den Balkon und kamen runter, um mit den Schwarzen zu tanzen. Wir fingen an mit dem, was man heute Integration nennt. Bei, Tutti Frutti‘ wurde jeder boom-bam! Dabei durften Schwarze zu jener Zeit nicht in die weißen Hotels rein. Nach meinen Shows mußte ich im Auto nächtigen — und das war nicht mal mein eigenes. Ich hatte nicht mal ein paar Rollschuhe. * Hat er diese Situation nicht gehaßt? Oder hat man das einfach als gottgegeben akzeptiert, wenn man als Schwarzer in den 50ern aufwuchs?
„Das war unser Leben. Ich war daran gewöhnt. Schon als kleiner Junge hatte ich weiße Freunde. Die Mütter riefen ihre Sprößlinge zwar immer rein, um ihnen zu verbieten, mit mir zu spielen, aber wir liebten uns. Eigentlich waren es in der Hauptsache die Alten, die die Vorurteile aufrecht erhielten.
Stell dir nur mal vor: In meiner Heimatstadt gab ’s einen einzigen Cadillac — und der gehörte dem Beerdigungsunternehmen. Man mußte also sterben, bevor man einen Cadillac fahren durfte!“ Er lacht.
“ Nun, so war das damals. Ich kam zu meinen Auftritten in eine Stadt — und schon ging das Gerede von wegen ,Nigger music‘ los. Und all die Prediger und Stadtverteter sagten: „Singt nicht diese Nigger music vor unseren Kindern!“ Da muß man durch. Es machte mich nur stärker, besser.
Selbst heute noch — oder heute wieder — gibt es Moralapostel, die Rock ’n‘ Roll als Teufelszeug bezeichnen. Nimm nur dieses PMRC-Movement, diese von den Senatorenfrauen initiierte Bewegung, wo Warnkleber auf Alben geklebt werden.
Einige dieser Leute sollten selbst zensiert werden. Diese alten Knochen! Nur weil sie selbst nicht mehr tanzen können, sollen auch die anderen stillsitzen. Je älter die werden, um so größer ihr Haß auf alles, was jung ist. Schrecklich! Selbst in der Bibel steht geschrieben, daß David tanzte, vor Gott tanzte. Das kann man in den Psalmen nachlesen. „
Er bewundert Tina Turner und die jungen Leute und nahezu alles — außer Alkohol und Drogen. „Ich war drogensüchtig. Ich habe soviel Kokain die Nase hochgejagt — das Ding war groß genug, um einen Dieselzug darin zu parken! Wenn es eins gab, was ich lieber hatte als Drogen, dann waren es .mehr Drogen‘. Aber um mich herum starben alle Freunde weg: Einer wurde mit einem Metzgermesser aufgeschlitzt, einer stab an einer Herzattacke und als schließlich auch mein Bruder Tony umkam, fühlte ich mich gez “ wigen, mein L eben zu ändern. Ich nehme seit neun Jahren schon keine Drogen mehr. Ich trinke nicht, rauche nicht, weder Whisky, noch Bier noch Wein — nicht mal bei der Kommunion!“
Und damit verschwindet der große Mann in schwarzem Leder und roter Seide, um sich auf den Sabbath vorzubereiten.