Grandmaster flash
Flash was here! Doch bis zur letzten Minute stand die Tour der New Yorker Rap-, Scratch- und Break-Artisten auf des Messers Schneide: Die Gruppe nämlich hatte sich von ihrem bisherigen Frontmann getrennt - der wiederum zog vors Gericht und wollte die Tournee mit allen Mitteln verhindern. Vergebens. Trotz Pannen, Panik und Prozessen ging die Tour mit riesiger Resonanz über die bundesdeutschen Bühnen. ME/Sounds fuhr einige Tage mit.
„Da! Sieh‘ dir das hier mal an!“ Melle Mel mustert mich ein wenig argwöhnisch und wirft mir einen Packen Zeitschriften auf den Tisch, als sich unser Bus durch den Feierabendverkehr der Mannheimer Innenstadt wühlt. Es geht, zum wiederholten Male, um das Thema, das allen Beteiligten seit Beginn dieser Tournee auf den Magen schlägt. Um das Ausscheiden von Grandmaster Flash nämlich, jenes Mannes, dessen Name im Grunde genommen schwerer wiegt als sein Mitwirken.
„Jeder Presse- und Rundfunk-Mensch bittet, zu Flash vorgelassen zu werden“, meint Martin, der britische Tourmanager, mit einem Anflug von Resignation. „Und wenn die Leute seine Abwesenheit erst mal festgestellt haben, fallen Worte wie Täuschung oder Publikumsbetrug.“
Im Publikum dürfte die Quote derer, die überhaupt registrierten, daß sie „getäuscht“ worden waren, allerdings verschwindend gering gewesen sein. Martin: „Gestern, bei unserer ausverkauften Show in Fürth, fiel einem GI einem einzigen auf, daß Flash nicht mehr dabei ist!“
Melle Mel hat guten Grund, rot zu sehen. „Ich kann mir nicht so recht den Grund erklären“, entfährt es ihm nachmittags bei einem Interview, „aber irgendwer scheint hier verbreitet zu haben, daß Flash den Rap sozusagen erfunden hat. Break Dancing und Graffiti wohl gleich noch mit dazu… Zum letzten Mal: Flash war kein Rapper, auch kein Songwriter oder sonst irgendwas, sondern DJ! Der beste von allen. Aber eben nicht mehr.“
Ich bewundere die Geduld, die er aufbringt, das zu erklären, was schon tausendmal vorher erklärt worden ist, sage ich ihm auf der Rückfahrt zum Hotel. Melle Mel lächelt etwas gequält. Einige Leute haben die message anscheinend bis heute nicht verstanden.
Ein paar Tage mit Grandmaster Flash & The Furious Five (den Namen tragen sie anläßlich dieser Tour zum letzten Mal) zu verbringen, ist eine Erfahrung für sich. Das Gefühl, auf einer richtigen Tournee dabeizusein, hatte ich eigentlich nie, schließlich sind Grandmaster & The Furious Five (wie sie sich zukünftig zu rufen gedenken) auch alles andere als eine richtige Band.
„Tommy“, sagt Melle Mel und deutet auf den blassen, hageren Tommy Gun mit seiner Hahnenkamm-Frisur, „ist erst kürzlich zu uns gestoßen. Warum?
Er sieht gut aus, versteht sich zu bewegen und ist außerdem ein enger Freund von uns. Also hab ich ihm vorgeschlagen, einfach mitzumachen.“
Einfach mitzumachen das faßt in etwa zusammen, worauf es Melle Mel, seinem Bruder, Cowboy, Mr. Ness, E.Z. Mike. Tommy Gun, Dynamite und Kamikaze bei diesem Trip ankommt. Wenn alle acht zusammen sind, wirken sie wie eine Gang eingeschworener Schulfreunde bei ihrem ersten Auswärts-Auftritt. Sich gegenseitig niederschreiend, vor Lachen biegend, Witze reißend und dabei die Hände abklatschend ganz gleich, wo sie sich aufhalten, sie führen sich eigentlich immer auf wie auf der Bühne oder in der Bar.
„Noch einen Tag, und dann hab ich’s hinter mir“, stöhnt Klaus, der Betreuer der deutsehen Konzertagentur, als nach dem Mannheimer Auftritt eine rettungslose Uneinigkeit darüber herrscht, ob der Bus zuerst die nächste Disco, Burger King oder das Hotel anfahren soll. „In ein paar Wochen bin ich mit den Thompson Twins unterwegs“, sagt er leise vor sich hin. „Das wird die reinste Erholungsreise. Jede Tour ist das.“
Melle Mel war in seiner Heimat New York immer in einer Gang. Früher gehörte er zusammen mit Kurtis Blow zur Bronx-Division der Peacemakers, nicht als sogenannter Warlord, wie er sagt, sondern als Mitläufer. Inzwischen sind noch diverse Abzeichen und Symbole hinzugekommen. Weiß der Teufel, aus welchem Sex/Sado-Macho-Shop Melle Mel und sein Mob ihre Zacken und Nieten-starrenden Lederwesten, Gürtel und Armmanschetten beziehen, aber das Zeug ist nicht nur unbequem, sondern auch gefährlich, wie sie versichern.
Sie tragen es den ganzen Tag. Und wenn Fotosessions, Auftritte oder Autogrammstunden bevorstehen, schnallen sie sich noch zusätzlich Handschellen, Lederpeitschen und Schlagketten an. Ein bißchen Village People, etwas Vaudeville und mehr Silber als „Mad Max“.
Mr. Ness – die meisten nennen ihn Scorpio – schießt dabei den Vogel ab: Mal trägt er rotes, mal grünes, mal weißes Leder, über den Kopf hat er eine riesige Schirmmütze gestülpt, unterder seine Rick James-Zöpfe hervorquellen; sein Gesicht verschwindet fast völlig hinter einer viel zu großen Fliegerbrille und bei jedem Schritt, den er tut, rasseln die Ketten, daß man glaubt, den Leibhaftigen hinter sich zu haben.
Scorpio ist so ganz der Typ, dem man zutraut, selbst in seinem Holiday Inn-Zimmernurbei doppelt verriegelter Tür zu schlafen; und er ist von allen auch derjenige, der es am schnellsten auf einen Fight ankommen läßt. Als er durch die Sportabteilung eines Mannheimer Kaufhauses stolziert und bei der Begutachtung der Ski-Anzüge ermahnt wird, nicht jedes einzelne Stück aus dem Schrank zu ziehen, dreht er sich zu mir um und knurrt: „Sag dem Verkäufer, er soll die Finger von meiner Jacke nehmen. Ich vertrag so was nicht… „
„Es steckt eine ganze Philosophie hinter dem, was wir anziehen“, sagt Meile Mel. „Silber beschützt dich, wendet Unheil von dir ab. Unser Dress und unser Auftreten ist letztlich Selbstschutz. Wenn ich beispielsweise in New York die 42. Straße hinunterlaufe, wird mir kaum etwas passieren. Obwohl viele wissen, wer ich bin, daß ich ’ne Menge Geld gemacht habe.“
Soundchecks sind bei den Furious Five hauptsächlich die Aufgabe von E.Z. Mike. In Frankfurt übt er mit seinen Plattenspielern an einer Collage, die aus Sequenzen von Herbie Hancocks „Rockit“, „Let The Music Play“ und Barbara Masons „Another Man“ gecuttet wird und dann in das gesprochene Intro von „It’s Nasty“ überleitet. Cowboy sieht ihm dabei über die Schulter und honoriert jeden gelungenen Schnitt mit einem zufriedenen Kopfnikken. Melle Mel breakt derweil auf der Bühne, zieht die Beine zum Körper und dreht sich, auf dem Rücken liegend, um die eigene Achse.
Kein Mensch breakt übrigens mehr so wie vor drei Jahren. Break Dance ist freier geworden, die Figuren sind weniger festgelegt und schließen Elemente des „Webo“ und anderer puertoricanischer Tänze mit ein.
„E.Z. Mike hat ne Menge dazugelernt“, sagt Melle Mel auf dem Weg in die Garderoben. „Früher stand er ja bloß neben Flash, um ihm die Platten anzureichen. Heute tut er genau dasselbe, was Flash früher getan hat. Mehr verlangt auch niemand. „
Getrennt haben sich Flash, Raheem und Kid Creole, Melles anderer Bruder, vom Rest der Band eigentlich schon im vergangenen Herbst. Vor allem, weil sie auf den Platten kaum zur Geltung kamen; vermutlich ein nicht ganz unbegründeter Vorwurf.
„Es ging allein um den Namen“, meint Meile Mel verbittert. „Flash ist deswegen im vergangenen August vor Gericht gegangen und hat gewonnen… seinen Namen gewonnen; Flash. Aber Grandmaster Flash & The Furious Five, das waren wir alle zusammen. Und diesen Namen laß ich mir von keinem Richter der Welt nehmen!
Flash hat sich seit Prozeßbeginn geweigert, noch irgend etwas zu tun. Heute schuldet er seiner Plattenfirma Sugarhill 300000 Dollar. Du brauchst schon eine Monster-Platte, eine Michael Jackson-Platte, um das wieder zurückzuzahlen. Ich wäre ja noch immer bereit, für ihn zusammenzulegen… aber er will nicht zurück.“
Melle Mel ist ein sehniger, gleichzeitig aber auch fast zierlicher Typ, stelle ich fest, als er sich nach der Show in Frankfurt aus einem Panzer aus Leder und Metall schält. Er lacht viel, ist herzlich und entgegenkommend, aber es geht etwas von ihm aus, daß einen spüren läßt, wer hier das letzte Wort hat. Die Art und Weise, wie die anderen mit ihm oder über ihn reden, bestätigt das.
Melle Mel ist die Stimme auf fünf der besten Black Music-Singles, die ich in den letzten zwei Jahren gehört habe: „The Message“, „Survival“, „New York, New York“, „White Lines“ und „Jesse“. Es ist eine scharfe, stählerne Stimme, eine Stimme, die von Hohn und Verachtung geprägt ist, die nicht kommentiert, sondern kommandiert. Man höre etwa die ersten Zeilen von seiner jüngsten Nummer „Jesse“, gewidmet dem farbigen Präsidentschafts-Kandidaten Jesse Jackson:
„Hypocrites and Uncle Toms just talking trash, let s talk about Jesse, liberty and justice all a thing ofthe past, let’s talk about Jesse…“
Jesse Jackson einen Song zu widmen, war einmal mehr die Idee von Sugarhill-Labelchefin Sylvia Robinson. „Es ist ein gefährliches Statement“, sagt Melle Mel, als wir uns nach dem letzten Konzert in der Hotelbar treffen, „aber das waren unsere vorangegangenen Singles auch. Jede Platte war ein Glücksspiel… Aber vor Jesse‘ hatten die Leute regelrecht Angst. Bei den Radio-Stationen haben sie uns gesagt: ‚Wenn wir das spielen, bevorteilen wir Jackson.‘ Der einzige, der die Platte hätte herausreißen können, wäre Jackson selbst gewesen. Wenn er sie für seine Wahlkampagne benutzt hätte, dafür war sie schließlich auch gedacht. Aber was soll ich sagen… wir haben nie von ihm gehört.“
Du meinst, es wäre kluger gewesen, die Platte nicht so sehr an seiner Person aufzuhängen?
„Auf jeden Fall. Es ging mir auch gar nicht so sehr um seine Person. Ich meine… warum müssen alle amerikanischen Präsidenten alt, gebrechlich und paranoid sein? Warum nicht Michael Jackson? Wenn es auch jemand kann, der früher in B-Filmen aufgetreten ist, dem sie heute Puder ins Gesicht schmieren und ihn aus einem Drehbuch ablesen lassen? Wenn ein Wahnsinniger die Armee kontrolliert und ein Schauspieler das ganze Land…“
Als Rapper ist Melle Mel mit kaum einem anderen zu vergleichen. Er protzt nicht mit seinem neuen Wagen, mit seinen acht Stunden Schönheitsschlaf oder damit, das alle „fly girls“ hinter ihm her sind – er rappt, sicher, aber eben nicht so…
„Ich sehe mich eher als Poet denn als Rapper“, meint er etwas nachdenklich. „Was mich zum Schreiben motiviert, ist in erster Linie meine Wut. Duke Bootee (eigentlich Ed Fletcher, der ehemalige Percussionist der Sugarhill-Hausband, der große Teile von ,The Message‘ und ,New York, New York‘ schrieb) hatte einen anderen Stil, weniger aggressiv. Ich greife an, ich bin gewalttätiger. Gewalttätig mit einem Bleistift. Aber der Stift kann mächtiger sein als das Schwert.“
Ist es wahr, daß ihr „The Message“ glattweg abgelehnt habt, als Sylvia Robinson euch den Song zum erstenmal vorgeschlagen hat?
„Mehr oder weniger, ja. Ich war eigentlich der einzige, der bereit war, es auf einen Versuch ankommen zu lassen. Flash wollte mit diesem Thema überhaupt nichts zu tun haben.“
Ich hatte schon vor einem halben Jahr den Eindruck, daß er sich von diesem harschen Stoff am liebsten distanzieren würde…
„Wenn er das tut, Mann… dann ist er verloren. Sein Name ist ein Synonym dafür.“
Wir haben verdammt viel über Flash geredet, Melle…
„Das ist wahr“, kommt es ein wenig bedrückt zurück. „Aber bei dem Wind, der hier um ihn gemacht wird, mußte ich das einfach mal loswerden. Kurz vor dieser Tournee haben wir noch zusammengesessen und er hat gesagt: ‚Macht euch ’ne schöne Zeit in Europa, Brüder und… rock the house …!’und als wir uns umdrehten, ist er uns in den Rücken gefallen und hat versucht, die Tour zu verhindern…“