Alphaville


Statt der zum Interview erwarteten drei Leute versammeln sich sieben ums Mikro. plus Hund. „Als die ersten Verhandlungen mit Plattenfirmen liefen, waren die immer ziemlich verwirrt, weil wir gesagt haben: „Bevor wir etwas entscheiden, müssen wir erst einmal mit Nelson sprechen.“ Nelson, das sind sie alle: Marian, Frank und Bernhard, die drei Jungs von Alphavilla, Ariane, Julia und Stefanie, die eine eigene Gruppe – Girl Next Door – haben, und Ulli, der Techniker.

Eigentlich sollten noch mehr Leute, auch aus den Bereichen Kunst und Fotografie, dazu gehören, aber damit gab es Probleme: „Viele sind wieder abgehauen, als sie gemerkt haben, daß wir ernst machen, Studium und Beruf hinschmeißen und ein echtes existentielles Risiko eingehen. „

Vor drei Jahren fingen sie in Berlin an, als späte Nachzügler der 77er Bewegung – von Musik keinen blassen Schimmer, aber viel Mut und Selbstvertrauen. Mittlerweile wohnen sie in Münster, weil sie in Berlin keine Möglichkeit fanden, unter einem Dach zu wohnen und zu arbeiten. Das Haus, in dem Nslson sich jetzt breitgemacht hat, gehört Arianes Oma, die eifrig Autogrammkarten verteilt, seit „Big In Japan“ big in Germany ist.

Wer die Band für Retorten-Kinder eines cleveren Produzenten hält und glaubt, der Überraschungshit aus der Provinz sei ein am Reißbrett entworfenes Kunstprodukt, sieht sich getäuscht. Die im Kellerstudio mit bescheidenen Mitteln eingespielte Ur-Aufnahme klingt fast genauso wie das Endprodukt; allenfalls der Sound ist besser. Auch weitere Kostproben neuer Stücke beweisen, daß hier Leute am Werk sind, die ein außergewöhnliches Talent für Ohrwürmer besitzen.

Obwohl sie sich vorbehaltlos der Popmusik verschrieben haben, hat ihre Idee noch eine zweite Ebene darum auch der Name Alphaville:

„In den 50ern gab es diese Lemmy Caution-Filme mit Eddie Constantine, so eine Art James Bond-Vorläufer. Dann hat sich Jean-Luc Godard die Rechte besorgt, hat mit demselben trivialen Stoff und denselben Schauspielern gearbeitet, und es entstand plötzlich etwas ganz anderes, eben ‚Alphaville‘. Du siehst Paris, die Metro, den Eiffelturm und trotzdem: Es ist Alphaville! Von dieser Idee waren wir begeistert; wir versuchen, auf unsere Musik umgemünzt, dasselbe: Mit den trivialen Mitteln der Popmusik eine neue Qualität zu schaffen.“

Und wer nicht nur auf die wohlklingende Melodie, sondern auch auf den Text von „Big In Japan“ achtet, versteht, was sie damit meinen: Zwei Leute aus dem Prostituierten-Milieu, die am Ende ihrer Liebe stehen – die Jagd nach Drogen hat sie besiegt.

Ein zynisches Lied im Pop-Mäntelchen also? „Nein“, sagt Marian, „Zynismus steht uns nicht zu. Eher ein romantisches Stück. Dichter aus der Romantik könnten sich im heutigen Berlin durchaus wohlfühlen.“