Nena – Was Nun?


Alle Schotten dicht! Nach einjährigem Höhenflug hat sich Deutschlands Liebling rar gemacht. Denn was als Erfolgs-Märchen begann, drohte fast schon als Alptraum zu enden. Übertriebene Medien-Präsenz, ein strapazierter Star, zum Schluß auch negative Stimmen im Jubelchor ihrer Verehrer. Nena braucht dringend Zeit zum Nachdenken. Die anderen Beteiligten auch?

Der Rummel um meine Person geht mir halt doch ziemlich auf den Keks. Es ist in Deutschland furchtbar blöde; Sobald man Erfolg hat, werden die Leute total mißtrauisch“

Nicht einmal sechs Monate ist es her, seit Nena im ME/Sounds-Interview die Erfahrungen ihrer Blitz-Karriere zusammenfaßte. In der Tat: Kaum war das Fräulein-Wunder aus Hagen zur neuen Pop-Königin gekrönt, da sägte man auch schon wieder an ihrem Thron.

Deutschland und seine Stars ein Kapitel für sich. Meist ein trauriges. Marlene Dietrich gilt selbst heute noch vielen als Nestbeschmutzenn, weil sie sich in Goebbels Kunst-Walhalla nicht als Aphrodite verheizen lassen wollte; Udo Lindenberg, anfänglich als Retter der deutschen Rockmusik bejubelt, wurde zum „Lindenzwerg“ degradiert, Nina Hagen, als freche DDR-Punkette hofiert, überstand den Medien-Overkill nicht und flüchtete in die Staaten. Und nun Nena?

Einige Schlagzeilen der letzten Monate lassen jedenfalls vermuten, daß so mancher Neider den „shooting star“ des Jahres auf den harten Boden der Realität zurückholen möchte. Manager Jim Rakete – nach ähnlichen Erfahrungen mit Nina Hagen ein gebranntes Kind – zog seinen Schützling aus der Schußlinie und stieg voll auf die Publicity-Bremse. Bis zum Ende des Jahres und dem Erscheinen der neuen LP wurden alle PR-Aktivitäten auf Eis gelegt.

„Overexposure“ nennt man mit dem englischen Fachausdruck dieses Phänomen: Übergroße Präsenz eines Stars in den Medien führt dazu, daß der sogenannte „backlash“ einsetzt, d.h. das Pendel zur anderen Seite ausschlägt: Der eben noch hochgejubelte Star wird nun nach allen Regeln der Kunst niedergemacht.

Nena scheint ein geradezu klassisches Beispiel für diesen Medien-Mechanismus zu werden. Blenden wir einmal zurück …

Angefangen hatte es im August 1982 mit „Nur Geträumt“. Dauereinsätze auf den seichten Rundfunkwellen, dann die Explosion nach dem Auftritt im Bremer TV-Musikladen.

Drei Hits- „Nur Geträumt“, „99 Luftballons“, „Leuchtturm“ – innerhalb von 12 Monaten. Der LP-Erstling, wochenlang Nr. 1 der Charts, erhält Platin. Ihr Film-Debüt „Gib Gas Ich Will Spaß“ wird, trotz gegenteiliger Kritiker-Prognosen, zum Renner. Eine Deutschland-Tournee im Rahmen der Levi’s-Tour, der „Rock Pop In Concert-Auftritt neben internationalen Rock-Größen, bei Open-airs von GIs umjubelt. Lobeshymnen in den Musikzeitschriften, eine Flut von Personality-Stones, Titelbilder und Schlagzeilen – selbst das Nachrichten-Magazin „Der Spiegel“ steigt ein und attestiert ihr, daß sie „den Flachsinn der Neuen Deutschen Welle mit Schlager-Leben“ füllt. Nena hingeblättert in Farbe und auf Doppelseiten. Die Republik hat einen neuen Star und drückt ihn fest an ihren Busen.

Der Name Nena wird zum Begriff, wie ein Markenartikel, das Gesicht bekannt wie eine Packung Persil. „Was Nena singt, macht allen Spaß“ („Bild und Funk“), „Mit Show und Charme: Nena schafft alle“ („Pop-Rocky“), „Nena ist die Größte“ („Pop-Rocky“), „Sonnenschein aus Hagen“ („Musiker News“) oder „Fräulein Wunderbar‘ („Bunte“) lauten die Schlagzeilen. Wer den Schritt von den Musik-Gazetten in die Klatsch spalten der Regenbogenpresse schafft, darf als Star gelten.

Kein Zweifel. Nena Kerner steht ganz oben. Doch leicht ist das Leben dort nicht. Die Luft wird dünner, die Neider versammeln sich am Fuß des Berges, lauern auf jeden Fehltritt, stehen bereit wie Hagen in der Nibelungensage mit dem Speer in der Hand und warten auf ihre Chance.

Denn über Nacht schien sich das Blatt zu wenden. Ebenso schnell wie man Nena an die Brust gedrückt hatte, beginnt man sie fallenzulassen. Das Prachtkind scheint sich als hochnäsige Göre zu entpuppen.

„Nena schlägt Fotografen“ heißt die erste negative Schlagzeile.

„Fhppt Nena jetzt aus?“ fragt „Mädchen“ noch vorsichtig und besorgt. “ Warum die Rock-Lady wie eine Rakete hochging“ weiß „Frau im Spiegel“ Ende Mai schon genauer.

Schuld war ein Ereignis im Dortmunder Parkhotel. Nena saß mit Freund Rolf Brendel und ihrem Vater beim Essen, als der Fotograf Horst Schreiber auf den Auslöser drückte. Er kannte Nena noch aus ihrer Zeit in Hagen bei den Stripes, hatte sie damals schon fotografiert.

Diesmal stürzte sie wie eine „Furie“ auf Schreiber zu. Rolf versuchte, ihm die Kamera wegzunehmen, Manager Jim Rakete drehte ihm den Arm auf den Rücken – und Nena selbst kratzte ihm den Arm blutig. So die Darstellung von Horst Schreiber.

Aus dem Nena-Lager hieß es, Horst Schreiber hätte gefragt, ob er das Foto machen dürfe, einen Korb bekommen – trotzdem aber draufgehalten.

Egal wie – die Geschichte machte Schlagzeilen; fortan lagen Fotografen auf der Lauer, um sich mit ähnlichen Schnappschüssen zu übertreffen. In Wien umlagerten Fotografen den Swimmingpool des Hotels, in dem Nena übernachtete. Als sie aus dem Wasser kam, tropfnaß, die Haare angeklatscht flammten die Blitzlichter auf. Nena rastete erneut aus.

Sicher: Wer berühmt ist, muß es sich gefallen lassen, auf Schritt und Tritt beobachtet zu werden und beim Essen um Autogramme gebeten zu werden.

Aber auch ein Star hat ein Recht auf etwas Privatleben. Wenn plötzlich zwischen der Soße und den Kartoffeln ein Kugelschreiber und Zettel liegen, Fotografen obendrein noch mit schußbereiten Kameras rumlungern – wird jeder verstehen, daß da mal eine Sicherung durchbrennen kann. Oder muß sich ein Star immer so in der Hand haben, daß er in solchen Situationen noch sein Strahlerlächeln aufsetzt?

Typisch scheint nur zu sein, mit welcher Häme sich die deutschen Medien auf Nenas Wutanfälle stürzten und sie in saftigen Schlagzeilen auswalzten – so, als hätten sie da eine Schlange an ihrer Brust großgezogen, eine kleine, giftige Schlange.

Plötzlich auch wurde vom Krach hinter den Kulissen berichtet. Angeblich hatte Nena gemeinsam mit ihren Jungs Urlaub machen wollen, war dann aber allein nach Florida gedüst. Im „Kasernenhof-Ton kanzelt sie ihre Jungs ab“ hieß es da – und die Fans beschimpfte sie von der Bühne herab: „Klatscht doch mehr“, „Seid nicht so lahm“ oder „Seid ihr alle Schlaffis?“

Plötzlich wurde ihre rotzigfreche Art zum Bumerang. Sagte sie früher „Schnuckis“und „geil“, kam plötzlich aus ihrem Mund „Scheiße“und „das nervt“. Selbst ein Vertreter ihrer Plattenfirma wurde zitiert: „Nena braucht etwas Urlaub. Dann wird sie schon wieder auf den Teppich kommen. „

Und Wolfgang Riedel, Chef der Lokalausgabe Hagen bei der Westfälischen Rundschau, beschäftigte sich in einem langen Kommentar unter der Überschrift „99 Luftballons und Hagen ein Star hebt ab zum Höhenflug!“ am 9. Juli mit Nena und ihrem gebrochenen Verhältnis zu Hagen. „Aus Hagen kommen nur zwei tolle Bands – das sind Nena und Extrabreit“, so Original-Ton Nena – und: „Das mit der Hagener Szene wurde hochgespielt; man muß auch mal sehen, daß 90% davon wirklich Schrott sind.‘ Mal vorausgesetzt, die Zitate stimmen – darf sie nicht ihre Meinung sagen?

Jeden Tag trifft man Musiker, die sich nicht über Kollegen äußern mögen – aus eben diesem Grund, für arrogant gehalten zu werden. Oder sie ergehen sich wider ihre ehrliche Meinung in nichtssagenden Allgmeinplätzen. Nun macht Nena mal den Mund auf – und schon wirft man ihr vor, „außer Stimme nichts im Kopf zu haben.“

Was nun, Nena? Im Augenblick arbeitet sie in Berlin mit Reinhold und Manne von Spliff und ihren Jungs an der neuen LP. Im Dezember, spätestens im Januar soll sie fertig sein. Was im Studio los ist, erfährt niemand. Abgeschlossen und hinter dikken Mauern verbarrikadiert, dringt momentan kein Wort nach draußen. Keine Fotos, keine Interviews – mit nichts und niemand. Auch das wird ihr schon wieder als Arroganz ausgelegt.

Komisch ist nur, daß man Mick Jagger und seine Allüren lautstark beklatscht, Nena deswegen aber verteufelt. Irgendwas stimmt da doch nicht oder‘