Wirtschaftswunder
Wer sagts denn! Im Schatten des Limburger Doms geschehen noch Zeichen und Wunder. Harald inHülsen sprach mit einem.
Wer sagts denn! im Schatten des Limburger Doms geschehen noch Zeichen und Wunder. Harald inHülsen sprach mit einem. Viel zu tun gehabt!“ – “ Weil wir mehr als drei Klänge machen!“ Statements von zwei Wirtschaftswundern zur Tatsache, daß die Limburger Gruppe nicht in „Dreiklangdimensionen“ auftauchte (diesem Neue-Deutsche-Welle-Jahrmarkt in der ARD mit Palais Schaumburg, DA.F. und so, zur Kaffeezeit). Das/The Wirtschaftswunder findet (heute) in einer mitteldeutschen Kleinstadt statt. Von Frankfurt aus fährt man mit einem Nahverkehrszug über viele Nieder-Orte (die Namen beginnen alle mit Nieder, wie Niedernhausen, Niederselters) nach Limburg an der Lahn, wo The Wirtschaftswunder lebt und produziert. Schon in Niedernhausen gibt es erste Hinweise auf ein Wunder: Beim Zwischenaufenthalt im dortigen Bahnhofsklo kann man in der Herrenabteilung direkt neben dem Klodeckel lesen: “ Willst du mit mir wichsen? Dann schreibe deine Telefonnummer hier neben. Ich schaue morgen wieder nach.“ Und, dadrüber steht’s geschrieben: ,Se Wirtschaftswunder beste Punk Gruup von Welt.“ Ohne Wunder geht nichts. Wir brauchen die Wirtschaft. Am Limburger Bahnhof holen mich die vier Wirtschaftswunder ab: Angelo Galizia (Sänger), Tom Dokoupil (Gitarre), Jürgen Beuth (Schlagzeug) und Mark Pfurtscheller (Keyboards). Bis auf Jürgen sind alle frisch rasiert. Wo gehen wir hin? In eine Eisdiele („Somm er ist wieder da. papi ich möchte ein eis. oh wie lecker!“ „Eis ). Doch nix lecker. Die erste Eisdiele ist voll, die zweite zu laut. Schließlich landet man im ‚Schwarzen Herzog‘, einem gutbürgerlichen Eßlokal. Drei Wirtschaftswunder bestellen sich Zwiebelsuppe und Schweineschnitzel. Das Gespräch kann beginnen. Angelo, der Italiener mit dem expressiven Fluß-Gesang, lebt seit elf Jahren in Limburg: „Neue Deutsche Welle, das ist für mich schon längst vorbei!“ Mark, der Musik (Klavier) in Wiesbaden studiert: .Mit der Neuen Deutschen Welle, all den Alt-Hockern, die einfach deutsche Texte draufknallen und einen Synthi dazu und sich dann Neue Deutsche Welle nennen, ohne irgendwelche neueMusikstrukturen einzubringen, das ist wie mit dem Rock ’n ‚Roll: die Neger haben ihn erfunden und die Weißen haben ihn ausgebeutet! Jürgen, der Unrasierte: „Das ist doch Käse! Wülste Parallelen ziehen und sagen, du hast die New Wave erfunden und die Alt-Rocker beuten dich aus?“ Mark: .Nee, aber daß andere damit berühmt werden als die, die was weiß ich …“ Jürgen: „Du nicht, he?“ Mark: „Das hat doch mit mir überhaupt nichts zu tun! Idiot! Wülste das Schnitzel in die FresEi I s fliegt kein Schnitzel durch das kleinstädtiI sehe Eßlokal. Schon am Bahnhof hatte mir Jürgen erzählt, daß es innerhalb der Gruppe gegensätzliche Argumente gibt, die beim Entstehen ihrer Songs im Studio aufeinanderprallen. Kontraste, die aber Bewegung und Spannung erzeugen, in ihrer Musik. Gegensätzliches, das letztlich diszipliniert zu einer Technik des freien Fließens verarbeitet wird. Mark: „Es gibt schon die Trennung, daß einer die Stücke allein macht. Mal sind Gesang, Musik oder Text von einem, mal ist alles von einem. Die Texte sind überwiegend von Angelo, zu 50 Prozent, die Ideen. Wegen seiner Grammatik machen wir das dann alle zusammen.“ Angelo spricht eine eigenwillige Sprach-Montage zwischen italienisch-deutsch und freiem Wortgebrauch. Tom: „Die Gruppe sorgt für die Umsetzung in eine ganz bestimmte Struktur, die ja für uns schon geprägt ist. Die Texte sollen ja schon eine bestimmte Form haben!“ Mark: „Der Großteil der Texte ist aber von Angelo.“ Tom: „Ja, aber trotzdem haben die Texte eine bestimmte Form.“ Mark: „Das geht doch aber meistens von ihm aus. Und der Rest ist dann von allen. Tom: „Seine Ideen werden aber doch schon in eine bestimmte Form gebracht.“ Mark: „Das ist doch immer so! Wenn einer von uns ein fertiges Stück stehen hat, dann sagt er doch nicht: so und so geht es. Das Stück wird von uns dann eingearbeitet, unter Umständen auch auf den Kopf gestellt. Gemeinschaftsproduktion. Deswegen schlüsseln wir das auf den Platten auch nicht auf. Es kann schon mal sein, daß einer insgesamt weniger beteiligt ist, doch um Streitigkeiten, wessen Stükke nun auf die Platte kommen, zu vermeiden, teilen wir erst gar nicht auf, wer die Musik und wer nun den Text gemacht hat.“ Das erste Vinylprodukt der Gruppe, eine EP mit den Stücken „Allein“/ „Politsong7″Und so ist es“, erschien auf dem Düsseldorfer Ata Tak-Label. Das in rosa und grün gemalte Cover (die vier beim Zähneputzen) wurde auch in der bürgerlichen Kunstzeitschrift ART abgedruckt. Dann kam die Single „Kommissar“ auf demZick-Zack Label, wo auch SALMO-BRAY, ihre erste LP, herauskam. Mit ZickZack hatte hatte die Band nie einen Vertrag unterzeichnet, das Verhältnis beruhte auf mündlicher Absprache. „Wir wollten mit Hüsberg/ZickZack immer einen Vertrag machen, der hat aber nie einen gemacht.“ Jürgen. THE WIRTSCHAFTSWUN-DER, die zweite LP, war dann der Gang des Wunders zur Industrie. Zu Polydor. Mark: “ Wir sind eigentlich immer dahin gegangen, wo das beste Angebot war. Warum soll m an nicht dahin gehen, wo m an am besten vertreten wird? Wir ändern ja dadurch nicht unsere Musik. Wir erreichen nur mehr Leute damit, was für uns positiv ist. Nicht im kommerziellen Sinn, daß wir mehr verdienen, sondern daß die Platte durch den Polydor-Vertrieb in jedem Laden drinsteht, für die Leute.“ Tom: „Auch die Produktionskosten spielen da mit rein. Wir mußten jetzt 14 Tage ins Studio, das hat 20.000 Mark gekostet. Das kann kein unabhängiges Label bezahlen. So wird die Qualität natürlich immer gedrückt, weil ein Label die Pro-* duktion einfach nicht bezahlen kann.“ Die Grundtracks zum zweiten Album wurden auf 8-Spur im Limburger Tonstudio von Tom Dokoupil hergestellt und dann in Köln auf 24-Spur überspielt und weiterentwickelt (die Schlagzeug-, Flügel- und Pauken-Teile entstanden hier). Angelo: „Ich bin begeistert von unserer neuen Platte. Weil die klingt total musikalisch.“ Mark: „Die erste LP ist auf der Experimentalebene, die zweite auf der musikalischen. Die Verarbeitung starker Gegensätze in den Stücken und von den Stücken zueinander passiert auf SALMOBRA Y in einer ziemlich ser’wilden und experimentellen Form. Auf der neuen Platte geschieht das mehr auf einer melodiösen Ebene. Das, was du damals mit Krach und Geräuschen gemacht hast, wird hier mit verschiedenen Stileinflüssen gemacht. Wir haben da ein chanson-ähnliches Stück, und ein jazziges, das mehr Femsehmusik ist („Madame X“). Alles mehr musikalische Zitate, wo das erste Album mehr auf elektronische Experimente, auf schrägen Gitarren- -und Synthi-Sound hinauslief.“ Tom, Mark und Jürgen kennen sich schon lange. Mit 16 spielten sie zusammen in einer Schülerband alle Stilrichtungen durch, die es gab. The Wirtschaftswunder, die ex-Schülerband, gibt es seit zweieinhalb Jahren. UUnd was macht Angelo so? „Ich mache nix, nur Musik. Lebenskünstler. Ich habe angenehm gelebt, früher. High-Life gemacht. Immer Geld ausgegeben. So Dancing und so. Immer Frau und so. Ein bißchen Gangster gemacht, Autos geklaut.“ „Ein kleiner Mann/Geht durch die Straße/Er hat viele Freunde/ Alle küssen seine Hand/ Mit einem Tuch/Wischt er seine Lippen/Der große Mafioso. “ „Das war’s schon. Am Tage habe ich gearbeitet und am Schluß bin ich nach Haus, hob‘ mich angezogen und bin raus.. So Frauen anmachen. Das war’s schon. Immer geguckt, so Connection gecheckt. Was neu zumachen. Für mich war immer was Neues. Einmal habe ich so Restaurantarbeiten gemacht, da hob‘ ich aufgehört, bin weggelaufen nach Spanien. Oder wieder zurück nach Italien. Jetzt mache ich Musik. Habe ich gesucht, was ich wollte. Für mich ist eine Wunder, das was jetzt passiert. Die Platte und so. Weil klein habe ich auch gesungen in ein paar Tanzkapellen. Privatleben hob‘ ich nix vor eben. Irgendwann ein bißchen Deutsch lernen, aber ich denke schon viel Deutsch. Es macht mir Spaß, dieMusikzu machen. Nicht viel Geld verdienen, wegen Musik. Das ist meine Job habe ich immer im Kleinen von geträumt daß ich auf die Bühne steigen will.“ Anfang des Jahres traten The Wirtschaftswunder zusammen mit der Kölner Künstlergruppe „Mühlheimer Freiheit“ (das sind die Neuen-Wilden-Maler) in „Bio’s Bahnhof auf. Toms Bruder, Jiri Georg Dokoupil, ist ein Neuer-Wilder-Maler in dieser Gruppe. Tom: “ Unsere Verbindung zur Mühlheimer Gruppe ist eine ganz lose. Es ist ein Informationsaustausch. “ Mark:, Wir wollten ursprünglich mit verschiedenen Kameraeinstellungen arbeiten. Mit Großaufnahmen vom Ohr, Auge, Gesicht. Das haben die Kameraleute bei einer Live-Sendung aber nicht geschafft. Die sind eingespielt auf einen Musikstil und haben eben ihre drei Totalen. Vor lauter technischen Möglichkeiten, die sie kennen und haben, fehlt es ihnen an Gefühl für etwas Gutes!“ BI ereits im Herbst 1981 War ein Auftritt in dieser ‚Fernsehsendung geplant. Durch einen Verkehrsunfall. (auf dem Weg zu einem Konzert überschlug sich ihr Auto) wurden die Vier aber für ein halbes Jahr außer Gefecht gesetzt. Der Sänger mußte zwei Monate ins Krankenhaus. Tom: „Das war schwierig für uns. In diesem halben Jahr ist der ganze kommerzielle Aufstieg von den Gruppen wie Ideal und DA.F. passiert, während uns die Hände durch den Unfall gebunden waren. Wir müssen das alles jetzt praktisch nachholen!“ Mark: „Wir überholen jetzt wieder!“ The Wirtschaftswunder beherrschen in ihrer Musik die Technik des freien Fließens, des Drippings. Sie lenken die Töne, die sie mit den konventionellen Instrumenten erzeugen, in eine verwirrende/geheimnisvolle Form (und da liegt vielleicht auch eine Verbindung zu den Neuen Wilden Malern). Spannung/Bewegung wird hörbar/sichtbar. Tom: „Unser drittes Album kann wieder wilder und experimenteller werden. Vielleicht ganz freie Formen. Die Schnitzel sind aufgegessen. Völlegefühl. Tom läßt sich vom Kellner eine Quittung über den Gesamtbetrag geben, obwohl jeder seine Sache selbst bezahlt hat. Man fängt an, sich um die Steuern zu sorgen. Wir steigen ein in das neue Auto, das sich Tom gekauft hat, und fahren zum Tonstudio, um Fotos zu machen. Das Studio steht draußen im Grünen, einsam an einem See. Die Sonne scheint. Sie holen ihre Trompeten und Saxophone raus und improvisieren im freien Fall. Bei so viel Natur klingt es nach einem Jäger-Bläser-Chor. „Mach dir das Leben so schön/ Lasse die Sorgen vergehen/ Mach dir das Leben so schön/ Und dann hast du mehr davon.“ Wir alle brauchen die Wunder…