Iggy Pop – Flirt mit dem Genuss
Hier spricht/ schreibt der Präsident! Harald in Hülsen, ehemals Vorsitzender (!) des deutschen Iggy-PopFanclubs (!!), ist dem Idol seiner zarten Jugend über Jahr hin treu geblieben. Kein Wunder, daß ihm "The Ig" auf seiner letzten Deutschland-Tournee überraschende Enthüllungen machte. Sie haben das Wort, Herr Präsident...
Ja! Ich glaube, ich bin gerade heute ein stolzer Amerikaner!“ Iggy Pop, 1981
Iggy sitzt in seinem Sessel. Mit fehlendem Vorderzahn („den hab‘ ich mir selbst gezogen“) haut er sich auf den nackten Bauch und grinst: „Ich will ’ne richtige Wampe kriegen und alt werden.“ Seine rechte Schulter und der Oberarm sind bedeckt mit frischen roten Narben, die er mit einem nassen Lappen kühlt. Letzte Nacht ist er in seinem Hotelzimmer von einer Frau mit einer säureartigen Flüssigkeit angegriffen worden. Heute Nacht ist seine Zimmertür verriegelt. Iggy murmelt was von einem Attentat und zelebriert die Narben/den Schmerz.
Nach einer längeren Phase, in der er über das/sein Altwerden und Sterben geredet hat (und in der mein Bandgerät ausgeschaltet war), will er seine Erklärungen nun unbedingt nocheinmal auf Band sprechen: “ kay. Wir haben gerade über das Sterben gesprochen und ich habe Harald erklärt, daß ich jetzt 34 Jahre alt bin, und daß die durchschnittliche Lebenserwartung in Amerika bei 68 liegt. Ich bin mir also bewußt daß die Hälfte meines Lebens rum ist. Und ich versuche mir bewußt zu werden, wie ich meine Zeit verbringe und worin zum Teulel der Wert der Dinge liegt, die ich tue. Früher, als ich meine beste Musik gemacht habe, wurde ich eigentlich nur durch meinen persönlichen Geschmack motiviert. Das war wie: ‚Ich mache alles, was ich will, keine Kompromisse!‘ Das ist schwer zu erklären „… (Er hat Schwierigkeiten, klaren Ausdruck in sei-
ne Überlegungen/Gedanken zu bekommen) Ich habe was verloren, vor langer Zeit.
Früher, ja! Da war ich ein Kreuzfahrer in Sachen Aufrichtigkeit. In den letzten vier, fünf Jahren habe ich ’ne Menge von meiner Aufrichtigkeit verloren, und die muß ich jetzt zurückgewinnen! Das war’s.“
Gebrochene Träume. Vergnügen suchen. Desillusion. What can I do about YOUR! dreams, Schwester Midnight! Erzähl mir ’ne Story, zeig mir die Rechnung, that they can make me pay, ahaha. Nie wieder Neue Werte…
Jeder kann alt werden. Man muß nur lange genug leben.“ Groucho Marx.
Andy Warhol in seinem Buch „POPism, THE WARHOL ’60s“ über die New Yorker Pop Art-Maler der frühen 60er: „Die Pop Künstler machten Bilder, die jeder beim Gang über den Broadway in Sekundenschnelle wiedererkennen konnte – Comics, Picknick-Tische, Männerhosen, bekannte Persönlichkeiten, Duschvorhänge, Kühlschränke, Cola Flaschen -…“
Iggy Pop versucht seit längerem einen Song rauszubringen, der bei den Kids auf der Straße zu einem Hit wird, der auch aus dem billigsten Radiorecorder in voller Wucht rüberkommt. Er schreibt/ probiert seine Stücke meistens auf der eigenen Telecaster und dieser kleinen/roten/tragbaren und schäbigen Verstärkerbox (Marke Kaufhaus). Er hat den Anspruch, daß diese Hit-Single auch ein Statement für die Kids auf dem Asphalt haben muß: „Nur wenn sie den Leuten was geben kann, wenn sie eine Aussage hat, kommt sie bei den Kids auch an.“
Bisher ist es Iggy nicht gelungen, diese Vorstellung auch bei einer Plattenfirma durchzubringen. Ende’79, das vorletzte Album SOLDIER mit der Single Joco Mosquito“ waren gerade erschienen, erzählt er mir in London, daß der Song „Knocking ‚Em Down In The City“ (von SOLDIER) eine viel bessere Single gewesen wäre. Das Stück hat (s)ein Statement: zur Arbeitslosigkeit. Geeignet für die Straße. Mit einer klaren/aggressiven Aufforderung: Zerschlag die Situation, wenn du sie nicht ändern kannst! Nichts fürs Business …
Und PARTY, den netten Titel seiner derzeitigen LP, kann doch nun wirklich Jedermann leicht behalten. Und auch was damit anfangen? Die Rock-Musik auf PARTY ist schnell zu erfassen. Ich sah, wie Hausfrauen, alte Männer, Büromenschen, Verkäuferinnen, Besoffene und Nüchterne zum Party-Rhythmus klopften, mit dem Fuß wippten. IG! sag mir, was der Hit von PARTY wird/ist? Für die Kids auf der Straße.
Iggy: „Du meinst ’nen Hit für’n Verstand, im Kopf? Ich würde sagen zwei Songs. Du mußt aber unterscheiden zwischen einem europäischen Kid auf der Straße und einem amerikanischen. Denn wenn du dieses Album, was ich jetzt gemacht habe, rausbringst“ (Anm: Party ist zu diesem Zeitpunkt in Nordamerika noch nicht erschienen, IG verhandelt noch mit den Plattenfirmen), „dann verstehen meine amerikanischen Jungens dort drüben gleich, was gemeint ist. Die sagen -(IG imitiert mit hispanischem Akzent die zappelnden Americanos, die diese tonschmetternden Chrompakete auf ihren Schultern durch die Straßen schleppen, um aufzufallen): Yeah! Sis is steppin‘ music! Sis ain’t no of sis bullshit, sis is about gettin’down! And häw a few drinks and wow wow wah!‘ Aber für’n Europäer würde ich sagen: „Eggs On Plate“, ein Song über die Öde meines Apartement-Zimmers, mit anderen Worten, die Trostlosigkeit meiner Hotel-Suite, und „Pumping For Jill“, ein sehr guter Song mit einem schönen Gefühl!“
IG wendet sich an die beiden Mädchen, die ihm aus Berlin (wo er letzte Nacht gespielt hat) nachgereist sind und nun auf seinem Hotelbett warten: „Auf diesem neuen Album, war da ein Song, den ihr wenigstens mögt?“ Sebine antwortet: „Ich weiß den Titel nicht.“ IG: „Aber erinnerst du dich nicht an irgendein Wort, oder an den Rhythmus ? Irgend ein Hinweis?“ Sabine schweigt. IG: „Nichts? Du erinnerst dich nicht?“Er fängt nun an, auf seinen Knien den Rhythmus zu klopfen (man merkt, daß er früher‘ mal ein wirklich guter Drummer gewesen sein muß!) und mit tiefer/heiserer Stimme den überzeugendsten/besten Rock-Titel, den er in der Nach-NEW-VALUES-Phase veröffentlicht hat, zu singen:
„Thank Godness, ba-ba-da-dadum, Oh Lord, I got eggs on my plate! Got ‚em, damn right, I got – Four walls, I live in here, I live! in here! Now this big Jew man uptown he told me one day, he said: hey boy you look at that house on the hill, that costs a hundred thousanddollars, you could be up there – you know that. I’ll put you in the hit parade; everybody will know YOUR name. Ah, so who does my name belong to then? And what have I got? Four walls!“ Ende.
IG: „Ich schätze den Song wirklich! ‚Eggs On Plate‘ – das ist der Hit für mich! Die Single! Wenn ich nicht das letzte Jahr von diesem ganzen Haufen Arschlöchern und Ratten umgeben gewesen wäre, ich meine die Leute meiner Plattenfirma in England und Amerika – nicht die Europäer, die waren wunderbar zu mir – und meinem ehemaligen Manager… “ (Er spielt auf die Entscheidung an, das einfältige/echt schwachsinnige Stück „BangBang“ – das er aber schließlich geschrieben hat von der PARTY-LP als Single rauszubringen, zuerst in England, dann auch im Übernahmeverfahren bei uns – und nicht das brillante „Eggs“! Denn/und „Eggs“ beschreibt auch, was IG nun erzählt:)
„Die Plattenfirmen in Amerika und England und dieser Manager, den ich hatte, die versuchten dauernd, aus mir ’nen anständigen Typen zu machen und sorgten sich laufend um mein Image – FUCK EM! Ich spüle gerade diesen Hauten von motherfuckin‘ Blutsaugern blitzschnell ins Klo runter, und dann können sie meinen Arsch lecken! Und dann kann ich daran denken, bessere Musik zu machen… „Eggs On Plate“, das ist’s! Ein heißes Geschoß! So, wie’s im Studio entstanden ist; wir hatten eine Spur mit dem Rhythmus. Ich warf die Bandmaschine an, sagte ‚ok, here I go!‘ und das ganze Ding ist aus dem Stegreif komponiert, gerade weg vom Herz zum Kopf zum Mund und raus! Alles auf einmal. Und es haute hin, so viele und lange Wörter gleichzeitig zu bilden und zusammenzustellen. Das war magic touch. Ich hab’s einfach rausgerotzt.“
Hier, im Zimmer, rührt er in einem Wasserglas, gurgelt und rotzt das Gemisch in den Papierkorb. Dies wiederholt er mehrmals im Verlauf des Gesprächs. Seine ramponierten Stimmbänder stammen von den Wortschlachten, die er zuvor mit den „scheiß-englischen Journalisten, alles Arschlöcher“ geführt hat: „Ich kann jeden Abend stundenlang gleich stark singen aber Interviews mit dummen Arschlöchern ruinieren meine Stimme! Und guck dir doch an, was die Engländer heute machen: sie versuchen, von den deutschen Beiträgen zur Neuen Musik, die Ideen und Stil haben, zu klauen. Wie Steve Strange das ist doch Schrott! Spiel Spandau Ballet – die haben einfach keine Ideen! Heute versinkt die Musik immer mehr in Selbstgefälligkeit. Entweder heißt es: Sieh doch, wie toll ich aussehen kann, wie sexy ich klingen kann – oder: Sieh doch, wie neu ich sein kann, ich zeige dir schon, wie’s gemacht wird! Nimm zB. Enos Musik; es tut mir leid aber seit TAKING TIGER MOUNTAIN hat seine Musik zunehmend an Reiz verloren. Und je mehr er mit den Talking Heads arbeitet, desto weniger Charme liegt noch in ihrer Musik. Der Weg, den er jetzt geht, ist ziemlich snobistisch. „
Eno ist auch Engländer. Und von Iggys Einschätzung der englischen Spiel-Romantiker ‚mal abgesehen (ich sehe es ähnlich), sind seine -Trips zu sehen/verstehen in Verbindung mit persönlichen Erfahrungen/Schwierigkeiten. Vor allem aber zu sehen in Beziehung zu Herrn Pops wildem Eintreten für amerikanischen Traditionalismus. Trampeln für Wild-West.
Seit Ende 1979 macht Iggy Pop Propaganda für den reaktionären Ronnie Reagan: „Ich war schon für Reagan, ehe er gewonnen hat! Ich hob für ihn ’nen Wahlfeldzug gemacht, bei jeder Show sagte ich meinen Fans: ‚Hört zu, ihr wißt, daß bald gewählt wird, und ich meine, wir sollten uns ’nen Gefallen tun, indem wir für Mr. Reagan stimmen! Jetzt zu unserem nächsten Song. Und’so hab ich ihn in meiner eigenen, bescheidenen Art unterstützt, doch hob ich ihm davon nichts erzählt. Ich weiß nicht, ob er über diese Unterstützung glücklich wäre.“
Ja und ob! Wenn old Daddy dann noch erfährt, daß du auch ‚mal so alt werden willst wie er, und daß du ’nen Song hast mit dem Titel „Happy Man“…
IG: „Ich habe eine kleine Wohnung unten in Houston/Texas, weil ich da ein erstaunliches Klima fürs Leben, für Freiheiten und für freie Wirtschaft finde. Ja! Ich glaube, ich bin gerade heute ein stolzer Amerikaner. Wir haben noch viele gute Sachen zu bieten, nur haben wir unser Land in den letzten 30 Jahren ruiniert, aber heute können wir einen neuen Anfang machen. Und außerdem, weißt du Harald, ich bin wirklich viel zufriedener, wenn ich mit New Yorker Musikern arbeite, wir haben den selben Slang …“
Momentan hat er um sich die halbe ex-Patti Smith Group versammelt: Ivan Kral, Gitarre + Keyboards, Richard Sohl (heute mit langen Haaren und Bart!), Keyboards. Und: Mike Page, Baß; Doug Bowne, Drums; Rob Dupree, Gitarre.
IG wird melancholisch: „Ich habe mich jetzt auf dieser Welt so lange rumgetrieben, daß ich … Gut!
Auf der einen Seite habe ich diese Neugier auf andere Gesellschaftsformen, aber mit der Zeit wird’s dann langweilig, weil du den Amerikaner eigentlich überall en tdecksHA Isoh abe ich mir schließlich gedacht, dann gehst du doch gleich da hin, wo ’ne Menge Amerikaner auf einem Haufen sind.“
Iggy lebte abwechselnd in New Orleans, Houston, meistens aber in New York. Gerade ist er wieder auf der Suche nach einer neuen Stadt. Will er nun mit PARTY ein neues/jüngeres Publikum erreichen?
„Das stimmt nur halb. Ich habe mir immer mein Publikum ausgesucht, bewußt. Dabei spielt der Musik-Stil keine Rolle für mich – solange er losgeht!“
Qualität, so sagt er, liege für ihn heute in der Fähigkeit, mit mehr Leuten zu kommunizieren; er will seine Musik im Radio hören können. Im Underground zu sein, mache zwar manchmal Spaß, doch sei’s für ihn letzten Endes Masturbation, weil „ich der ganzen Welt was mitzuteilen habe.“ IG: „Ich war ‚mal tief, sehr tief im Underground, sehr schockierend und rebellisch, doch niemand hat’s gehört. Aber nimm zB. die Byrds, die waren ultrakommerziell, und viele Leute hörten aber durch sie zum ersten Mal den bedeutenden Text eines Dylan-Songs wie ‚Chimes Of Freedom‘, alles über die einsamen Verlierer in der Welt.“
RockundRollparty – wo ist der Wein? Ich lebe vom Hundefutter – und das schmeckt. Früh morgens verlassen wir die Hotel-Kabine. Iggy fragt, wo man in dieser Stadt noch was billig essen kann. Das Hotel-Essen ist zu teuer, für ihn. Der Tourveranstalter spendiert eine Runde Bier, an der Bar. Man landet dort, wo die Taxifahrer der Nachtschicht essen, wo das kalte Fett im Hals klebt.
Und im Bus, mit dem sich die Band über den europäischen Asphalt schleppt, spielt der schottische Fahrer ein Tape mit einem schottischen Monty Python. Und die POP-Augen glänzen …
Sein Konzert hat gezeigt, daß er heute nicht die Blut-Rhapsodie (Stooges) von gestern auf die Bühne karrt unter dem Schatten einer selbstparodierenden Dum-Dum-Boy Etiquette. Noch nicht wahrgemacht hat er seine Drohung, ein Album mit Haiti-Percussion/-Rhythmen herauszubringen. Die Platte „Hier Ist Iggy“ mit den drei zwingendsten Stücken, die er in den letzten Jahren geschrieben hat („Hassles“, „Sacred Cow“ und „Winter Of My Discontent“), soll – hoffentlich auch noch kommen.
Wo ein Dollar ist, da ist auch ein möglicher J.R. – heißt die Devise der langweiligen DALLAS-TV-Serie. Für Iggy Pop muß es heißen: wo kein Dollar ist, da ist ein möglicher I.P.! Denn er ist einfach zu emotional (er macht immer das, was er fühlt) und zu undiszipliniert, um im Rock-Geschäft Erfolg/Geld zu haben/zu verdienen; er kann kein J-R.Ewing sein. Trotz seines ständigen Flirts mit dem Genuß, der Suche nach Vergnügen, dem Zelebrieren der zeitlosen amerikanischen Fantasie: reich werden, noch reicher werden – und viel/sehr viel Sex haben.
Wo Träume sind – da gibt’s auch Splitter. So geht es ihm schlecht, im Kopf, und finanziell. Seine Platten verkaufen sich kaum (für die Plattenindustrie ist LP. auch nicht der Mann, für den man viel/’intensive Promotion-Arbeit betreibt, und LP. ist zu undiszipliniert, um seine Ideen durchzusetzen!). Und mit der Produktion von PARTY ist er auch unzufrieden. Mit der ‚frohen‘ Party-Musik scheint er sich eher selbst Mut zu machen. Oder: take care of me…