Judy Mowatt – Offen und selbstbewußt


BLACK WOMAN ist das Glaubensbekenntnis einer gefestigten Frau, die bei ihrer nüchternen Abrechnung mit der Vergangenheit darauf verzichtet, die Wunden des endlosen Daseinskampfes erneut aufzureißen. Militante Songs ersetzt sie durch Appelle an Humanität und Nächstenliebe.

Das Taxi schlängelt sich mühsam die gewundene, von kopfgroßen Schlaglöchern und Furchen übersäte Straße hinauf. Vor der atemberaubenden Kulisse der Blue Mountains liegt Judy Mowatts Haus, umgeben vom üppigen Grün der tropischen Fauna. Wellington Drive, Uptown-Kingston. Der Garten von Eden inmitten trügerischer Ruhe, denn nur die hochaufragenden Kokospalmen verdecken die Sicht auf Sodom und Gomorra, der mörderischen Realität der Inselmetropole. Schon von Weitem verraten schrilles Kinder-Geplärre und Musik die Anwesenheit der Großfamilie. Judys jüngste Tochter beäugt den zögernden Fremden neugierig und geleitet ihn dann ins Wohnzimmer.

In ein buntes, bis zum Boden hinabreichendes Gewand gehüllt, das durch die Farbzusammenstellung auffällige Ähnlichkeit zur Tracht der Goldküstenstämme aufweist, wirkt Judy Mowatt wie ein schillernder Paradiesvogel in ihren betont schlichten, aber geschmackvoll eingerichteten Räumen. Sie überrascht mich durch ihr ungemein beherrschtes Auftreten, durch Selbstbewußtsein, das nie in Überheblichkeit umschlägt, mit ihrer entwaffnenden Offenheit. Charakterzüge, auf die schon ihre ersten Worte und Gesten schließen lassen. Keine Spur von Unterwürfigkeit und Mauerblümchendasein, daß man einer Rasta Sister so gern attestiert. Wenn sie auch anfänglich schwer zu überzeugen ist, daß es im folgenden reasoning keine Fragen nach Bobs Gesundheitszustand hageln wird.

„Godbless you“, atmet sie erleichtert auf. „Du kommst also, um mit mir über meine Arbeit zu sprechen, über BLACK WOMAN.“ Freudige Überraschung, als sie erfährt, daß die Platte mittlerweile auch auf dem Kontinent veröffentlicht wurde. (Vergl. ME 3/81). „Ich hätte es nicht für möglich gehalten“, erwidert sie ungläubig. „Es hat so viele Probleme mit dem Vertrieb gegeben. BLACK WOMAN wurde bereits im Frühsomme 79 eingespielt und ist Ende desselben Jahres in Jamaika auf Ashandan erschienen. Ich möchte keine Namen nennen“ – Judys Gesicht verfinstert sich – „aber bereits während der Aufnahmesession hatte ich die feste Zusage einer rennomierten Plattenfirma… ein Deal, der sich nie materialisierte.“

BLACK WOMAN ist das Glaubensbekenntnis einer seelisch und moralisch gefestigten Frau, eine nüchterne Abrechnung mit der Vergangenheit. Judy Mowatt verzichtet darauf, die Wunden des endlosen Daseinskampfes erneut aufzureißen. Militante Songs ersetzt sie durch Apelle an Humanität und Nächstenliebe, bedient sich oftmals simpler Parabeln, um ihren Gefühlen Ausdruck zu verleihen. In ihren Songs klingt verhaltener Optimismus durch, sie sieht einen Silberstreif am Horizont und die Existenz im Exil in ihrem Endstadium. Und all das vermag sie mit der Besessenheit eines Baptisten-Predigers zu vermitteln.

BLACK WOMAN ist aber auch die klar definierte Standortbestimmung einer Basta Sister, einer afrikanischen, oder afrikanisierten Frau, die die Suche nach der eigenen kulturellen Identität abgeschlossen hat: „Black woman…when you’re fiqhtinq stand up for the right thing/and not that which is wrong/but like Mary and Joseph overcame us evil devices/so free yourself up now/and help me to sing my song for you …“ (Black Woman)

„Meine Aufgabe, im Dienste Gottes, ist es, der Frau eine Stimme zu geben. Wir müssen uns darauf besinnen, daß wir das Rückgrat der Rasta-Familie sind. Gesellschaftlich haben wir Rechte und Pflichten zu erfüllen, die denen des Mannes durchaus ebenbürtig sind Es gilt, mit dem Vorurteil aufzuräumen, daß die Frau lediglich eine untergeordnete Stellung im sozialen Gefüge der brotherhood einnimmt. Wir haben das Ende eines langen Weges erreicht und viele sind auf der Strecke geblieben. Die Erinnerung an die eigene Kultur und Geschichte ist imperialistischem brainwashing zum Opfer gefallen … Viele Brüder und Schwestern sind sich schon gar nicht mehr bewußt, daß sie einst eine andere Sprache hatten, die in der brutalen Tretmühle des Kolonialismus ausradiert wurde. Sie sind nicht einmal in der Lage zu realisieren, daß diese winzige Insel nicht unsere wahre Heimat ist. Gott hat mir die Gabe vermittelt, all diese Dinge beim Namen zu nennen, er hat mich zum Fürsprecher der Entrechteten und Unterdrückten auserkoren. Und nicht jeder ist dazu prädestiniert dieser Verantwortung gerecht zu werden. Das sagt uns schon die heilige Schrift: „Many are called but few are chosen …“

„Many are deceivers/who protect that they are true believers/many preach oh lord/and say they are victims/but there ain’t much to find. . .(„Many Are Called“)

„Es gibt momentan außer den I-Threes und Lights of Love nur wenige Rasta-Sisters, die sich im Showbusiness durchsetzen können“, erklärt Judy. „Aber viele junge, talentierte Sängerinnen und auch Schriftstellerinnen warten auf ihre Chance, und ich wage zu prophezeien, daß wir in naher Zukunft noch viel von ihnen hören werden.“

Schon im vergangenen Jahr erwachte im Zuge des Lovers Rock-Booms das Interesse an weiblichen Interpreten. Barbara Jones und Susan Cadogan gelang ein überzeugendes Comeback, die 13jährige Nadine Sutherland konnte sich unter den Fittichen von Tuff Gong-Mastermind Tommy Cowan auch international etablieren und J.C. Lodge führt nun schon seit Wochen die RJR-Charts an. Aber gelänge denn all diesen Sängerinnen der Durchbruch auch ohne die von ihnen förmlich erwartete Liebe und Weltschmerz-Heuchelei? „Nun, G oft hat uns alle in seiner unendlichen Güte erschaffen, und es ist nicht meine Aufgabe, einen love song als solchen zu kritisieren“, gibt sich Judy diplomatisch. „Aber die Welt ist voller Betrug, Haß, Krieg und lebensfeindlicher Vernichtungsmechanismen … wie kann man sich also diesem einen Thema bis zum Erbrechen widmen? Andererseits“, schüttelt sie resigniert den Kopf, „ist es heute für eine junges Mädchen wahnsinnig schwer, ohne die Hilfe eines finanziell potenten Produzenten groß herauszukommen. Und diese Produzenten sind ausnahmslos Männer, die sich nicht für deine Glaubensbekenntnisse interessieren, sondern lediglich für leicht verdientes Geld. Und das ist noch nicht einmal alles. Viele dieser Ausbeuter geben sich mit ihrer Produzentenrolle nicht einmal zufrieden… Dann gibt es wirklich nur noch zwei Möglichkeiten: Entweder du ordnest dich unter, verkaufst deine Identität und läßt dich möglicherweise gar zum Sexobjekt degradieren, oder du gibst auf.“ Judy bricht aufgeregt ab, holt erst einmal Luft. „I am chosen to talk“, stellt sie dann entschlossen fest. „Und mir ist es dabei vollkommen egal, ob ich auch nur einen Cent an meiner Arbeit verdiene!“

Judy weiß wovon sie redet, denn sie hat solch bittere Erfahrungen bereits hinter sich. Im Frühjahr ’66, zur Rocksteady-Ära, schloß sich die damals gerade 15jährige Ex-Tänzerin dem Mädchentrio The Gaylettes an. Federal-Produzent Henry Buckley entdeckte „das zierliche, ungewöhnlich schüchterne Kind“ (Originalton Judy Mowatt) beim Singen einer Dusty-Springfield-Nummer im heimischen Badezimmer. Die Gaylattes konnten einige Singles-Erfolge verbuchen, brachen jedoch Ende 69 schließlich auseinander. Judy unterschrieb sogleich in grenzenloser Naivität und ohne das Einverständnis ihrer Eltern abzuwarten, einen Solisten-Vertrag, mit katastrophalen Konditionen, und kettete sich damit für drei Jahre an Jamaikas bedeutendste Company. Die erste gemeinsame Produktion erwies sich auch prompt als kommerzieller Reinfall und Federal zeigte keinerlei Interesse an einem zweiten Versuch. Judy mußte schließlich gar ihren Namen in Juliane ändern und mit der Hilfe von Treasure Isle-Besitzerin Sonia Pottinger gelang ihr dann nach zweijähriger Zwangspause mit „I Shall Sing“ ein erfolgreiches Comeback.

Zu dieser Zeit begann sie auch erstmals, eigene Songs zu schreiben, inspiriert von ihrem damaligen Lebensgefährten, dem jamaikanischen Fußballnationalspieler Alan Cole. Ihr erstes Album, MELLOW MOOD, eine klug selektierte Kollektion größtenteils selbstgeschriebener Lieder, markierte dann das vorübergehende Ende ihrer Solo-Aktivitäten. „Noch bevor die Platte veröffentlicht wurde, lud Marcia Griffiths mich und Rita (Marley) ein, sie für ein Radio-Broadcast zu begleiten. Wir waren damals stolz darauf, mit Marcia zusammenarbeiten zu dürfen, denn sie hatte uns, bedingt durch ihre langjährige Partnerschaft mit Coxone und Bob Andy, eine gehörige Portion Businesserfahrung voraus und galt als Jamaikas Top-Sängerin. Sie war es auch, die uns mit Bob zusammenbrachte, der gerade mit der Einspielung von Jah Live“ beschäftigt war. Marley bot uns daraufhin spontan an, die Lücke zu füllen, die der Weggang von Peter (Tosh) und Bunny (Wailer) hinterlassen hatte“ Das war doch unmittelbar nach Selassi’s.. Richtig, als uns die Medien den Tod seiner Imperial Majesty weismachen wollten“, fällt sie mir entschieden ms Wort. Eine derartige Reaktion ist symptomatisch für Judys konsequentes Aufgehen in der Rasta-Religion. Und für die ist die äthiopische Heils-Figur Haile Selassi bekanntlich noch längst nicht gestorben.

Judys Bibelfestigkeit degeneriert aber nie zu entrücktem Eskapismus. Sie dekoriert ihre Reden zwar mit Vorliebe mit dem apokalyptischen Vokabular des alten Testaments, flüchtet sich jedoch nie in Zitate, sondern verwendet diese Referenzen lediglich, um ihre eigenen Thesen zu unterstreichen. Und in dem festen Vertrauen an die Prophezeiungen Jah’s, ist auch die Quelle ihrer inneren Ausgeglichenheit zu suchen. Sie hat die Eindrücke aus sechs Jahren Tourneeleben mit den Wailers, die sie rund um die Welt führten, ihrer Philosophie einverleibt. Und selbst wenn sie in Erinnerungen an den letztjährigen Afrika-Besuch schwelgt, ist sie in der Lage, ihre Impressionen nüchtern und abgeklärt auszuwerten. „Gabon war die erste Station unserer Reise und ich muß gestehen, daß nicht alle Zuhörer unsere Botschaft auf Anhieb nach vollziehen konnten. Viele von ihnen sind Moslems, glauben also an Allah… Aber trotzdem“, und jetzt gehen die Emotionen wirklich mit ihr durch, „es gibt nur einen Gott, ganz gleich, wieviele Namen man sich für ihn ausdenkt. Und das haben alle Menschen in Afrika begriffen! Wir sind die verlorenen Söhne des schwarzen Kontinents, die Träger des Doktrins und wir teilen mit ihnen die Gewißheit, daß Äthiopien der Brotkorb der Erde ist.“ Judy schaut mich prüfend an ehe sie noch hinzusetzt: „Trotz der wirtschaftlichen Schwierigkeiten und gesellschaftspolitischen Spannungen gibt es für uns keinerlei Alternativen. Unsere Zukunft liegt weder in Europa noch in China! Und glaube mir: they can’t wait for us to come home…“