Nina – Live in Oslo
1.) Es stimmt nicht, daß Norwegen nur Elche hat. Es gibt mindestens ebenso viele Fjorde und Rockfans! Außerdem sind die Wälder grün, voller Bäume (!!) und wunderschön. Der Flug nach Oslo führt über Wasser und Kopenhagen. Dort scheint die Sonne und mein Regenschirm ärgert sich, denn er kommt nicht zum Einsatz.
2.) Nina Hagen ist in Norwegen ein Star. Ich sehe kein Plakat, aber das Konzert soll längst ausverkauft sein.
3.) Das hätte ich nicht gedacht! 4.) Nina ist in Norwegen wirklich ein Star. Sie verkaufte bisher über 70.000 LP’s – prozentual zur Einwohnerschaft (etwa 4 Millionen) mehr als das Doppelte wie in Deutschland.
5.) Sieht Nina in ihrem bunten, leicht durchlöcherten Cat-Suit und den Knobelbechern nicht nur bezauberndaus, sie ist esauch. Wirgehen in ihre Suite, in der es auch genauso aussieht, wie man sich das bei der Hagen vorstellt: chaotische .Ordnung‘, Lumpen (pardon-Kleider!) und ein Video-Recorder.
Wir sprechen über die Hamburger Frühjahrs-Pleite und sie steht dazu: „Ich war froh, daß die Tour nicht stattfand. Ferdi (ihr Freund) ging es dreckig. Alle vier Stunden hing er an der Spritze. Und zwei Tage vor dem Start in Hamburg kam er endlich in die Klinik in England. Darüber weiß man viel zu wenig. Ich war in Gedanken bei ihm, nicht bei BABYLON. Was da passierte, war mir auch ziemlich egal. Es ging um meinen Freund. Wir haben ständig telefoniert. Er kämpfte um sein Leben. Keinen Menschen hat das interessiert; niemand hat das geschrieben. Aber jetzt ist er sauber. Nach zehn Tagen war er drüber weg. Über die Methode weiß man hier kaum was.“ Wir sehen uns per Video BABY-LON an. Nina kommentiert mit wachen Augen: „Das ist ein Dokument./Es war nicht ausgereift/Mir ging es beschissen; die Stimme war auch kaputt./Es war mir alles egal./-Die Leute verzeihen mir sowieso alles./Ich hab nur an Ferdi gedacht./Mein Kopf war einfach nicht bei der Tour./Und dann der nächste Tag! Wir haben sie alle verarschtf/Trotzdem: eine schöne Zeit./Es ist vergessen./Was zahlt das Alte!“ 6.) Ich fahre zum Chateau Neuf, dem Rock-Mekka der Norweger. Gut 1500 gehen in die Halle. Draußen stehen noch Hunderte, ich zwänge mich durch. Bei den Ramones gab es vor wenigen Tagen heftige Schlägereien. Nina ist tatsächlich ein Star. Der moderne Betonbau im Amphie-Theater-Stil ist total überfüllt. Von jedem Platz aus kann man gut sehen/hören. „Who Are You“, die Who kommen aus den Boxen. Die Fans sehen nicht anders aus als in Hamburg, Berlin, Amsterdam. Zwischen vierzehn und Mitte zwanzig. Vorn Punks und Skinheads. Sie lieben Nina.
7.) Nina schminkt sich aus einem eleganten, blauen Plastik-Reparaturkasten. Noch schwarz, noch rouge, sie ist ruhig.
8.) Das Konzert beginnt, 20.25 Uhr. Jubel. Echter Jubel. .Was gestern war ist uninteressant. Ick mache neue Songs. Wirst schon sehen…“ .
Nina singt englisch und deutsch. Titel, die ich nicht kenne, die hier im Chateau niemand kennen kann. Sie sind in New York entstanden. Der Sound geht, die Textverständlichkeit ist mäßig, aber es passiert was. Die Band geht gut zur Sache, geht los. Nina, jetzt im schwarzen Cat-Suit, Minimini-Kleidchen und den Knobelbechern, die aus Stalingrad oder Vietnam zu kommen scheinen. Eine geklaute Schwimmweste der SAS um den Hals – sie schwimmt sich frei: „Future Is Now“, „Sonetimes“, „Tai-Chi-Tarot“, „Jamaika Keggae“. Eine neue Hagen, aber erkenntlich. Viele Songs sind Reggae-betont, manche haben Längen. Für mich keine Höhepunkte. Aber immer wenn sie rezitativ arbeitet, wenn sie ihre umwerfenden Kolleraturen gezielt einsetzt, wenn die Band schnell und hart spielt, wird das Hagen-„Volksfest“ (= Nina) gut, bekommt Klasse. Auf beiden Seiten ist man voll konzentriert. Kaum gibt es die Möglichkeit zum ,Aha‘-Effekt, man muß entdecken, nicht wiedererkennen. Gibt es dann doch mal einen Song der alten LP’s, ist die Stimmung wirklich heiß! „Egon is ne schwule Sau“, an die Nummer glaubt Nina besonders, „Naturträne“, .Wenn ich ein Junge war“, eine neue Fassung von .Du hast den Farbfilm vergessen‘, .Heiß“, „LSD im Grunewald“, – das sind die deutschsprachigen Nummern.
9.) Zwölf Uhr nachts, wieder in Ninas Zimmer. Die Band ist da, der Manager. Julia, Ninas Freundin, die alle Videos macht und auch diesen Abend aufgezeichnet hat, legt die Kassette ein. Ein zweites Hagen-Konzert läuft ab. Gut für mich, denn jetzt verstehe ich die Texte, vieles, was am Anfang nicht einleuchtend, oder gut erschien, wird verständlich. Nina hat noch viel Naivität in sich. Das macht sie sympatisch. Ehrlich, kann man da meckern?
10.) Ich gehe mit gemischten Gefühlen schlafen. Die positiven, äie für Nina sprechen, überwiegen. Es hat sich gelohnt, die Fahrt nach Oslo.
11.) Nachsatz. Jetzt, wo der ME auf dem Markt ist, läuft die Tour schon einige Tage. Wie kommen die englischen Nummern an, was wird die Kritik sagen. Der STERN, der SPIEGEL – alle interessieren sich für sie. Ist das gut? Nina, paß auf, daß Du nicht von den Falschen falsch vermarktet wirst. Publicity in allen Ehren.
Dankmar Isleib der Verschlossenheit tun sich auf mit Hilfe der schwarzen Körper, die ja hier viel mehr zugange sind als in Deutschland. Mit Hilfe von schicksalsmäßigen Rastbegegnungen. Es ist immer ganz toll, wie im Urwald.
Ninas Schlußwort:
Und wer ins Konzert kommt und glaubt, daß das eben ein Rock-Konzert ist, und immer noch glaubt, daß ich ’ne Rock’n’Roll-Sängerin bin und sonst nichts, der hat es halt eben immer noch nicht begriffen.