Tim Curry- Scharf genug?
Die Verkörperung des zum Fürchten schönen Ober-Transi Frank’n’furter in der „Rocky Horror Picture Show“ machte Tim Curry zur dekadenten Kultfigur. Als seriöser Schauspieler schlüpfte er dann in die Rolle des Will Shakespeare, und nun präsentierte er sich nach der Veröffentlichung seiner zweiten LP, „Fearless“, dem deutschen Publikum als Rocksänger. Auch wenn das Thema seiner Managerin Migräneanfälle bescherte — den „Rokky Horror“-Film kann man beim besten Willen nicht ausklammern, wenn man Tim Curry zum erstenmal trifft! Rocky ist tot“, schallte es laut und vernehmlich durch den ,,Sinkkasten“ in Frankfurt. Der Rufer blieb anonym im Dunkeln, der Mann auf der Bühne im Spot freute sich sichtbar, war er doch gekommen, um sich als Sängei vorzustellen: Tim Curry. Und dann war da noch der Nachwuchsmoderator vom hiesigen Radio, der tags darauf bedauerte, nicht habe kommen zu können, und allen Ernstes fragte: ,,Hat er Shakespeare auf der Bühne rezitiert?“ Den hatte Tim Curry zuhause gelassen. Und auch die Frank’n’Furter-Maskerade aus dem Rocky Horror-Spektakel war nun auf einigen wenigen T-Shirts im Auditorium zu sehen.Curry, in schlichtem schwarzem Trägerhemd, ausgeblichenen schwarzen Jeans und abgewetzten Cowboystiefeln, setzte ganz und gar auf seine charismatische Ausstrahlung und seine rockige Botschaft: ,Me, I do the only thing that still makes sense to me I do the rock,,.‘ (,,I Do The Rock, Fearless“, 1979) Sänger? Schauspieler? Keine Frage für lim Curry. Die dritte Platte wird vorbereitet, ein neuer Film, Curry als Discjockey in einer Stigwood-Produktion, (au weia! Die «ed.yentsteht. Curry: „Wenn ich Sänger bin, bin ich Sänger, wenn ich Schauspieler bin, Schauspieler“, ärgert er sichüber Frager, die ihn festnageln wollen. Zu einem Zeitpunkt, da Curry, der Schauspieler, alle nur erdenklichen Rollen, die man sich als Vertreter dieser Zunft nur wünschen kann, angeboten bekommt, lehnt er sogar den „Hamlet“ ab („So etwas tut man nicht“), und gibt sich stattdessen Wunschträumen hin, die „man schon als Kind träumt, wenn man mit einer Haarbürste in der Hand ooh-ooh-ooh singt“. Curry, der Rocksänger, stieg auf die Bühne. Tim: „Frage mich bitte nicht, warum!“, verweist er auf eine Entscheidung ohne tieferen Hintergrund. „Du kannst mit 50 nicht mehr als Rocksänger auf die Bühne gehen, aber ich kann schauspielern, bis ich 90 bin. Ich kann dann mit einem Stock in der Hand aus die Bühne gehen und den König Lear spielen.Oder was auch immer. Würde ich heute nicht singen, ich würde mir mit 45 Vorwürfe machen, mir sagen: Du Arschloch, warum hast Du es damals nicht getan?“ Endlich einmal singen zu dürfen, das war vor mehr als fünf Jahren auch die Motivation für den Mimen Curry, die Rolle des Transvestiten Frank’n’furter in der „Rocky Horror Picture Show“ zu übernehmen. Eine Paraderolle [ik einen echten Charakterdarsteller. Aber Curry mußte sich auch vom Publikum gefallen lassen, daß seine Person mit der Rolle in den Köpfen des Kinopublikums verschmolz. Kann man also die Entscheidung, Rocksänger zu werden und direkt vors Publikum zu treten, auch als Flucht nach vorne interpretieren? Um dem Rocky-Klischee zu entkommen? „Das war ein reines Desaster. Niemand wollte ihn damals sehen. Und außerdem: Ich habe gleich danach die RoDe des größten Poeten, der je gelebt hat, übernommen: Shakespeare. Ich kann mir kaum etwas Besseres vorstellen, um sich vom Rocky-Klischee zu entfernen.“ Zu spätem Ruhm kam der Film hierzulande erst innerhalb der vergangenen eineinhalb Jahre. Fan-Clubs wurden gegründet. Filmbesuche bekanntlich zum Happening erhoben, die Person des Frank’n“fürte r zur Kulturfigur gekürt. Und Tim Curry war eingeholt. Von seinem zweiten Ich. Einem Schauspieler mag man glauben, wenn er betont:“Der Shakespeare war eine Rolle, der Tzara auch“. Nur:,,Den Frank’n’furter kann man nichtspielen ; ein Frank’n’furter muß man sein!“ Wittert der fanatische Fan bereits Verrat. ,,Das langweiit mich“ reagiert Curry mit eindeutiger Handbewegung und begleitet die mit entsprechender, durchaus nicht gesellschaftsfähiger Lautmalerei. „Würden die das auch sagen, wenn ich Macbeth spielte?“ Und die message der „Rocky Horror Picture Show“ kann nicht heißen: seid schwul, seid bi…Tim:,.Das einzig Sinnvolle, was man herauslesen kann, ist: Don’t dream it, be St: “ ,,Ich will nicht einfach auf die Bühne herausgehen mit den Worten: Yeah, yeah, yeah have a good time, rock out, rock out… Und bezahlt mir genügend Geld in die Kassen, damit ich mir ein großes Haus auf dem Lande kaufen kann. Weißt Du, dann ist Filmen wirklich einfacher, wenn es dir nur darum geht. Da machst du in drei Wochen dreimal so viel Geld“, betont Curry. Und: ,,Ich bin bereit, mich den Gesetzen des Rockbiz zu unterwerfen.“ Schließlich ist er Personenkult nicht gewohnt. Das englische Theater kennt ihn nicht. Und das wünscht er sich auch für die Rockszene. Seine Lieder betrachtet Curry als kleine Theaterstücke, kleine Filme, Szenen, die seine Meinung wiedergeben: seine persönlichen, kleinen Drehbücher. Material anderer hat er schließlich jahrelang wiedergekäut, interpretiert. Und selbst seine erste Langspielplatte. „Read My Lips“, besteht nur aus Coverversionen. John Lennon, Roy Wood, Bacharach, Berlin. Auf „Fearless“ finden sich darum bis auf Joni Mitchells „Cold Blue Steel And Sweet Fire“ nur noch Originale von Tim und seinen Musikern, die er eher deklamiert, denn singt, ihre Inhalte parodiert, ironisiert. Satire gehört zu seinem Handwerk. Sein Gesang erklärt sich, kennt man seine Favoriten: Brecht und Kurt Weill, das Berliner Ensemble und vor allem Lotte Lenya, der er Pionierarbeit auf dem Gebiet des Sprechgesangs bescheinigt. Und diese Liebe teilt Tim Curry mit Größen der Rockmusik, wie Bryan Ferry, David Bowie und interessanten Newcomer wie dem ex-,,Hair“-Darsteller Peter Straker. allesamt Performer mit starker Persönlichkeit. Tim Curry gehört zu ihnen. Auch ohne Strapse und Schminke. Detlef Kinsler