Daryl Hall & John Oates


Als die ersten hohen Wellen des Philly-Sound gegen europäische Küsten schwappten, und Namen wie The Three Degrees, Billy Paul, MFSB oder O’Jays fast über Nacht in aller Ohren waren, hatten sich John Oates und sein Freund Daryl Hall bereits aus Philadelphia verdrückt. Nach New York. Was da an neuem, weichgespültem Sound aus allen Juke-Boxen und Radio-Empfängern ihrer Heimatstadt säuselte, konnte sie beim besten Willen nicht zurücklocken.

Kein Wunder, denn die musikalische Tradition Philadelphias reicht viel weiter zurück. Zum Beispiel bis zu Chubby Checker, der in einer Diskothek 1962 den Twist offiziell aus der Taufe hob, oder bis zu der legendären Cameo-Parkway-Firma, bei der unter anderem auch Phil Spector seine ersten Streiche aus dem Sack ließ. Und Daryl Hall betont immer wieder, daß Philadelphia neben Detroit, dem einstigen Sitz des mächtigen Tamla Motown Konzerns, die einzige Stadt ist, in der Weiße das wahre Feeling der schwarzen Musik wirklich spühren und studieren können.

Daryl hat sehr intensiv studiert, man merkt es an seinen Platten. Er hat den Rhythm’n‘ Blues ebenso gefressen wie die Stones oder die Average White Band. Seine ersten Songs schrieb er meist für andere, einen sogar für Chubby Checker. Er lungerte außerdem lange genug in den Studios von Philadelphia herum, um Kenny Gamble, Leon Huff oder Thom Bell, vor ihrem späteren Aufstieg zu Königen des kommerziellen „Sound Of Philadelphia“ gut kennenzulernen.

Während Daryl durch die Studios schlich, arbeitete John als Journalist. Trotz seines Backgounds, der Folkmusik, raufte er sich mit dem R & B-Freak Daryl zusammen. Gulliver hieß ihre erste gemeinsame Gruppe. Schwierigkeiten gab es am laufenden Band, da die einzelnen Musiker ihre Ego-Probleme nicht unter Kontrolle hatten. Nach einer einzigen LP für Elektra löste sich die Gruppe dann auch auf.

Ödes Philadelphia

Nach diesem Reinfall ging John für vier Monate nach Europa. In dieser Zeit etablierte sich Daryl als gefragter Studio-Musiker. Viel später, als beide die unerfreuliche Zeit mit Gulliver verdaut hatten, arbeiteten sie wieder als Folk-Duo. Bis Ende 1970 spielten sie in Philadelphias Folkclubs und Cafes, dann ödete diese Stadt sie an. Eine musikalische Stumpfsinns-Phase lag in der Luft. So reisten sie nach New York — kurz bevor Gamble und Huff, gefolgt von einigen anderen geschäftstüchtigen Produzenten, den berüchtigten Philly-Sound in Umlauf brachten.

Hier den Anschluß verpaßt zu haben, tat den beiden nicht unbedingt leid. In New York war genug los. Diese monströse Stadt lieferte ihnen genügend Anregungen für die ausgefallene Thematik ihrer Songs. Mit Hilfe von Arif Mardin, einem Soul-Produzenten erster Güte, nahmen sie die LP „Whole Oates“ und „Abandoned Luncheonette“ auf. Beide waren gelungen, der Verkauf jedoch nicht der Rede wert.

Sound – Experimente

In Todd Rundgren fanden sie schließlich einen Producer, der den richtigen Nerv für ihre eigenwilligen Soundvorstellungen besaß. Selbst ein begeisterter Sound-Tüftler, konnte er die Ideen der beiden optimal im Studio verwirklichen. So entstand „War Babies“, ein kompliziertes und gleichermaßen komplexes Produkt, das jedoch auch keine nennenswerten Umsatzzahlen verbuchte. Nur die Single-Auskoppelung „She’s Gone“ tauchte Ende 1976 noch einmal unter den ersten zehn der US-Charts auf.

Durchdachtes Image

Bevor sie jetzt wieder die Plattenfirma wechselten, hatten sich Daryl Hall und John Oates ein cool kalkuliertes Image zugelegt. Sex-betont wie Bowie zu seinen besten Zeiten, kühl und feminin, präsentierten sie sich bei ihrem neuen Anlauf mit der LP „Daryl Hall & John Oates“. Das brachte schon einiges mehr an Popularität und gute Kritiken. Schließlich war dieses Album auch ein Meisterwerk des „blauäugigen R & B“. (Oder sollte es nur das Akt-Foto in der Hülle gewesen sein, das den plötzlichen Populartätszuwachs bewirkte?) Die beiden bezeichneten sich jedenfalls als entschiedene Hype-Gegner. Das Nachfolge-Album „Bigger Than Both Of Us“ plazierte sich wiederum erfolgreich in den Charts. Und vor kurzem wurden beide LPs sogar vergoldet.

Die schwarzen Einflüsse sind bei Hall & Oates zwar noch immer zu erkennen, trotzdem haben sie sich wieder in Richtung Klangexperimente und Stil-Verrücktheiten abgesetzt. Nachdem sie im vergangenen Jahr bereits mit ihrer Gruppe“ in einem „Musikladen – Special“ vorgestellt wurden (ganz normal, ohne Lidschatten und so), wollen Hall & Oates Anfang „77 eventuell einige Konzerte in der Bundesrepublik geben.