West, Mae No. 469-5391
Als Ägyptens Staatschef Sadat kürzlich die Vereinigten Staaten besuchte, wurde zu dem Bankett, das Präsident Ford dem hohen Gast zu Ehren gab, auch eine gewisse Miss West eingeladen. Sadat war von seiner nicht mehr ganz jungen Tischdame —- eben jener Miss West —- sehr angetan. Miss West maß diesem gesellschaftlichen Ereignis — von Journalisten befragt — eine recht eigenwillige Bedeutung bei: "Ich finde es zauberhaft, daß ein so berühmter Politiker extra in die Staaten kommt, um mit mir zu dinieren." — Wer Mae West kennt, weiß, daß es sich bei dieser Bemerkung nicht um ein ironisches Statement oder schlicht um Selbstüberschätzung handelt, sondern um die stets ehrlich geäusserte Meinung der Dame.
Andererseits spricht die Tatsache, daß man im Weißen Haus nicht versäumt, Miss West von Zeit zu Zeit eine Einladung zu schicken, für sich. Keineswegs gehört die (alte??) Dame zu den Vergessenen. Das mag der Grund dafür sein, daß sich die Nostalgiewelle ihrer nicht bemächtigen konnte. Eine erbittertere Gegnerin der rückwärts gewandten Sehnsüchte als Mae West gibt es denn wohl auch kaum. Sie legt größten Wert auf die Feststellung, noch immer aktuell zu sein. Noch immer erhält sie ,,’ne Menge Verehrerbriefe“, und unter diesen „Loveletters“ befindet sich „noch manches ernstgemeinte Heiratsangebot“, wie sie stolz verkündete. Gerne protzt Miss West auch mit Juwelen, die ihr angeblich unlängst von Liebhabern zu Füßen gelegt wurden. Die „public relations“ ihres Fan-Clubs besorgt ein Fünfzehnjähriger. Und den „boy scouts“, den amerikanischen Pfadfindern, von denen sie kürzlich zu einer Autogrammstunde gebeten worden war, sagte sie: „Kommt mich doch mal besuchen, wenn ihr einundzwanzig seid.“ – Variation des Satzes, mit dem sie berühmt geworden ist: „Come up and see me sometünes.“ Das meint sie ernst, und jedermann in Hollywood kennt die Adresse des Apartments, das sie seit 1932 ständig bewohnt: 570 N. Rossmore Avenue, Los Angeles, Calif. 90 004. Und auf die Frage, wie man sie am besten erreiche, meint sie: „No problem, I’m in the phone-book, West, Mae, No. 469-5391.“ Die Nummer stimmt, doch als wir kürzlich versuchten, sie anzurufen, war sie gerade „on the beach“ in Malibu. Erholung tat auch bitter nötig, denn gerade lag ein mehrwöchiges Engagement in Las Vegas hinter ihr. Über Arbeitsmangel hat der Show-Star nicht zu klagen: Filmangebote verstopfen ihren Briefkasten, und für eine einzige Schau kassiert sie noch immer sechsstellige Beiträge. Viel Zeit, ihr Vermögen, das zu den größten der USA zählt, auszugeben, bleibt ihr demnach kaum. Die Stunden des Müßiggangs indessen vertreibt sie sich (soweit man ihr glauben darf) aufs Angenehmste: Sie widmet sich der Liebe, oder um es mit West’scher Klarheit zu sagen: dem Sex.
Hommage an ein Sexidol
Es mag ein wenig ungalant sein, in einer Ehrung gleich zu Anfang das Alter einer Dame preiszugeben: Miss West begeht, wenn nichts dazwischenkommt, ihren 84sten Geburtstag. Und da sie nicht raucht, ausschließlich Mineralwasser trinkt und sich mit Reformkost ernährt, bleibt zu hoffen, daß sich dieser Artikel bis zur Veröffentlichung nicht in einen Nachruf verwandelt hat. Es soll ein Rückblick sein, aber beileibe kein nostalgischer. Zum Tempel der rührseligen Erinnerungen hat Miss West keinen Zutritt. Man hat noch keinen Platz im Pantheon der Anmutig-Verklärten für sie gefunden. Auch fehlt die Rubrik, unter der sie einzuordnen wäre: „Komische Alte“, ist unpassend, „naiver Vamp“ geht erst recht nicht. Sie selber bekämpft am heftigsten jeden Versuch, sie ins Museum abzuschieben. Und wenn schon Denkmal, dann ist sie ihr eigenes: Vom Zahn der Zeit kaum angefressen, ist sie noch immer die „Freiheitsstatue der Lust“, „The Statue of Libiodo“, zu der sie die Amerikaner im Weltwirtschaftskrisenjahr 1929 kürten.
Für die sexuelle Freizügigkeit, die Amerikanern (und auch uns) heute selbstverständlich erscheint, ist Mae West ins Feld gezogen. Sie hat den Puritanern kräftig auf die Füße getreten und für die Freiheiten, die sie sich nahm, ist sie sogar ins Gefängnis gegangen. Von Anfang an hat sie die Männer beherrscht und sich niemals etwas vorschreiben lassen. Auf die Frage, „ob sie für die Emanzipation auf die Barrikaden gehen würde, sagte sie: „Nein, da würde ich meine Männer hinschicken.“ Geheiratet hat sie nur einmal, und das war, wie sie dem englischen Popsänger Eggelbert Humperdinck erzählte, „ihr größter Fehler“. Sie möchte viele Männer glücklich machen. Das „Wie, wo und wie oft“ zu entscheiden, behält sie sich allerdings selber vor. Mit einem Jazz-Saxophonisten trieb sie es angeblich 26mal innerhalb von 14 Stunden, einem Filmpartner, der ihr in „The Heat’s On“ sagen mußte: „Ich will dein Sklave sein“, beschied sie kühl: „Warum nicht, das läßt sich doch machen.“ Wer ist diese Frau, die ihren eigenen Mythos mittels lancierter Zeitungsmeldungen so geschickt verwaltet, die von sich selber sagt: „Ich breche alle Rekorde!“ und sich für die „größte Leinwandpersönlichkeit seit Valentino“ hält?
Eine Allegorie der Anmaßendheit und der Prunksucht? Eine Katze, die das Mausen nicht läßt? Obszöne Greisin, Zerrbild der Jugend? Quergeburt eines verlotterten „American Dream??? Das und vieles, vieles mehr!! Die Cineasten, die Marlene Dietrich, Greta Garbo, Jean Harlow, Clark Gable und Rita Hayworth, Humphrey Bogart und Ingrid Bergman in endlosen Retrospektiven huldigen, rümpfen indigniert die Nase, wenn der Name „Mae West“ fällt. Warum wohl? Zu augenfällig sprengt ihre noch immer propere Figur (die immer wieder mir einem wohlgerundeten Stundenglas verglichen wurde) den formalen Rahmen jenes „Hollywoods von Gestern“. Im duftigen Reigen der Schwindsüchtig-Schönen, der hühnerbrüstigen Grazien in Crepe de Chine, tanzt sie gewaltig aus der Reihe. Wo andere schnulzige Dialoge flüstern, ist Mae sarkastisch. Sie kennt keine leisen Gesten, nur pompöse Auftritte. Andeutungen macht sie nicht, höchstens „schmutzige“. Sie ist keine Verheißung, sondern ein reelles Angebot, Mögen andere sich in „wahrer“ Liebe verzehren, Miss West greift ungeniert zu. In „Diamond Lil“ (1933), ein Film, in dem sie eine Saloon-Besitzerin im Wilden Westen spielte, machte sie klar, worum’s ihr ging: Ein Cowboy betritt den Saloon und legt sich mit ein paar andern Jungs an. „Diamond Lil“ schnappt ihn sich: „Hey, do You wanna do the action? You know, I do the action here.“ Einen Satz wie diesen, der etwa aussagt: „Hey, was hier läuft, bestimme ich“, kann man kaum ins Deutsche synchronisieren. Noch weniger geht das mit dem lauernd-aggressiven Tonfall, bei dem sich die Amerikaner vor Schadenfreude auf die Schenkel klatschen. Mae West’s Sprache mit aufgeworfenen Kirschlippen, zwischen perlweißen Jacketkronen, kaum bewegten Zahnreihen hervorgeknurrt, ist unnachahmlich. Die Sätze ihrer stets selbstgeschriebenen Dialoge (hierin gleicht sie Charlie Chaplin, einer der wenigen Schauspieler, die sie als ebenbürtig anerkennt) sind Kleinodien amerikanischen Slangs, wo er am farbigsten und treffendsten ist. Das mag der Grund dafür sein, daß ihre Filme in Deutschland nicht mehr im (Paramount-) Verleih sind. Es wäre schön, wenn das Deutsche Fernsehen sein schwaches Programm wieder einmal mit einem Mae-West-Film aufpeppen würde. Möglichst im Original mit Untertiteln.
Die Karriere eines Supervamps
Mae West wurde am 17. August 1893 in Brooklyn, New York, als Tochter eines Mietstallbesitzers, Preisboxers und Privatdetektivs englisch-irischer Abstammung und einer bayerischen Putzmacherin geboren. Von der Mutter mag sie den Sinn für extravagante Roben und Hüte, vom Vater den Zug zum Verwegenen, auch wohl Aggressiven geerbt haben. Das Händchen fürs Geschäftliche, den Sinn für die „Schönheit“ von Diamanten und Goldbarren, von Dollarbündeln und Aktienpaketen mag auf die wohlgelungene Synthese britischer Broker-Mentalität und deutscher Sparsamkeit zurückzufuhren sein. Wo hingegen der Zug zum Musischen herkommt, ist ebenso unbegreiflich wie die Tatsache, daß (um einen amerikanischen Journalisten zu zitieren) gerade „Mae West Mae West sein kann, ohne albern zu wirken“. Fest steht hingegen, wann die Karriere dieses einzigartigen Stars begann: 1905 gewann sie den ersten Preis in einem Steptanz-Wettbewerb des „Brooklyn Theater“. Als Kind wurde sie in das Schauspieler-Ensemble aufgenommen und lernte so das Gewerbe von der Pike auf. In melodramatischen Stücken spielte sie vor allem unartige kleine Mädchen. Mit dreizehn war sie als „Klein Neil, die Marquise“ zu sehen. Bereits als Fünfzehnjährige machte sie einen Varietebesitzer, Frank Wallace, auf sich aufmerksam, dessen fahrender Truppe sie beitritt, und den sie zwei Jahre später heiratet. Schon früh also ist sie ein Teil der bunten Jahrmarktswelt, jener „demi-monde“ der „starken Männer und schönen Frauen“, der „Abnormitäten“ und „Weltsensationen“.
Wer sich von den star-besetzten Schönheiten vorm Samtvorhang in die Varietebude hineinlocken läßt, darf sich nicht wundern, wenn ihm drinnen vor einem gröhlenden Publikum die Hosen runtergezogen werden! „Haftansprüche ausgeschlossen“ – diese Rummelplatzparole gilt im Besonderen auch für Miss West… 1911 betritt sie zum ersten Mal am Broadway „die Bretter, die die Welt bedeuten“. Sie erhält gute Kritiken für ihre Leistung in den Musicals „A la Broadway“ und „Hello, Paris“. 1915 schrieb sie ihren ersten Song „The Cave Girl“, den sie ihrem Publikum im strammsitzenden Leopardenfellkostüm vortrug. In „Vera Violetta“ und der „Lustigen Witwe“ wurden ihr bereits tragende Rollen zugetraut. Sie erfüllte alle Erwartungen und begann, selbst in die Regie miteinzugreifen. So führte sie — improvisiert — in dem Musical „Sometime“ Schüttelbewegungen in ihren Tanzpart ein und machte damit den „Shimmey“ bekannt, sie bekam die Hauptrolle in der Revue „Demi-Tasse“ und schrieb schließlich ihr erstes Bühnenstück, das sie „Das Mädchen, das der Flotte folgte“ nannte.
Drei Tage vor der Uraufführung am 26. April 1926 änderte sie jedoch spontan den Titel und wählte hierzu „ein Wort, welches bis dato nur in medizinischen Fachbüchern gestanden hatte“ (Mae West), nämlich „Sex“. Sie selber spielte die Hauptrolle in dem mit zweideutigen Bemerkungen und eindeutigen Bewegungen gespickten Machwerk und wanderte dafür prompt für eine Woche hinter „schwedische Gardinen“, wo sie sich, vom Staatsanwalt angehalten, „Gedanken über ihre jugendgefährdende Wirkung“ machen sollte. Im Triumphzug in ihr Theater zurückgekehrt, nahm Miss West einige unbedeutende Korrekturen an ihrem Musical vor, das daraufhin mehrere Monate lang der Kassenschlager New Yorks wurde. Bereits kurze Zeit später schlug sie vor einem Probepublikum in der Provinz zum zweiten Mal ins Gesicht der Prüderie. Ihr Nachfolger zu „Sex“ trug den Namen „Drag“. Hatte sie in ihrem Erstling eine Hafennutte gespielt und mit dem Thema „Schwere Jungs und leichte Mädchen“ schon ein recht anstößiges Sujet auf die Bühne gebracht, so mußte die Glorofizierung der Personengruppe, die sie nunmehr den zahlreich erschienenen Zuschauern präsentierte, rundweg entsetzen: „The Drag“ nämlich war nichts anderes als eine Transvestiten- und Homosexuellen-Schau. Vom Oberbürgermeister entsandte Ratsherren baten sie vergeblich, ihr neuestes Machwerk nicht nach New York zu bringen. Die Stadt sei „auf so etwas nicht vorbereitet“, und es werde „Aufstände geben“.
Miss West ließ ihr Stück trotzdem aufführen und machte sich in der nachfolgenden Pressekampagne für die Rechte der unterdrückten sexuellen Minderheiten stark. Für sie waren Homosexuelle „Menschen mit weiblicher Seele in einem männlichen Körper“, und demzufolge informierte sie Polizei und Tugendwächter, daß sie, wo sie „Schwule angriffen, in Wirklichkeit Frauen attackierten“. Auch für die schwarze Minderheit Amerikas engagierte sie sich. Sie brachte als erste eine Jazzband auf die Bühne und filmte später mit Duke Ellington und Louis Armstrong.
Femme Fatale
Miss Wests Tourneen wurden in ganz Amerika Riesenerfolge. Und wo die zickigen Frauenverbände die Sittlichkeit, ja geradezu die „öffentliche Sicherheit gefährdet sahen und so nachdrücklich vor dem Besuch der Veranstaltungen warnten, wie sie dreißig Jahre später gegen den „unkeuschen“ Rock’n’Roll wetterten, zog es vor allem die Männer, denen sich die Frauen aus falsch verstandener „Religiosität“ im Bett verweigerten, in immer größeren Scharen in die Theater. Und als „der Nation berüchtigste Skandalnudel“ 1932 ihre erste Filmrolle in „Night After Night“ übernahm, war auch das abgelegenste Provinznest vor dem „Einbruch der Sexualmoral“ (Wilhelm Reich) nicht mehr sicher. Knapp vierzigjährig, hatte sie eigentlich den günstigsten Zeitpunkt für den Beginn einer Leinwandkarriere schon lange überschritten. Aber trotz des gewiß nicht erholsamen Tourneelebens, das hinter ihr lag, wirkte Mae West um mindestens zwanzig Jahre jünger als sie war. Die Femme Fatale Mae West hatte gut daran getan, mit einer Filmlaufbahn so lange zu warten, bis die Bilder auch das Sprechen gelernt hatten. In Filmen wie „She Done Him Wrong“ (1933), „I’m No Angel“ (1933), „Belle Of The Nineties“ (1934) zeigte sie sich dem Kinopublikum als „femme fatale“ und „männermordendes Biest“. Sie war der krasse Gegensatz zu Greta Garbo, die – geschlechtsloses Etwas von komplizierten Seelenblähungen gemartert, von den Männern höchstens als eine Art profane Mariengestalt vergöttert, aber wohl kaum im wörtlichen Sinne „begriffen“ werden konnte. Mae konnte auch ihre stärkste Konkurrentin, Marlene Dietrich, bald ausstechen: Der blonde „blaue Engel“ wurde der amerikanischen Öffentlichkeit vor dem Hintergrund der Ereignisse in Hitler-Deutschland immer unheimlicher. Im Gegensatz zur „Dietrich“ verkörperte Mae West für die vom Patriotismus angeheizten Männer der Mittel- und Unterschicht einen uramerikanischen Mythos. Für die Soldaten des zweiten Weltkriegs (die eine Schwimmweste nach ihr benannten), für die Farmer und Lastwagenfahrer, kurz für die männliche Hälfte der „schweigende Mehrheit“, die man getrost „proletarisch“ nennen kann, war Mae West so etwas wie eine Wiedergeburt der berühmten Saloonmädchen des Wilden Westens, jener Mädchen wie „Tiger-Lilli“ oder „Shooting Annie“, die – den stets nachrückenden Siedlerfrauen und damit dem Puritanismus um 500 Meilen voraus – das einsame Leben der Cowboys erträglich machten. Wie diese, von den Matronen verdammt, ließ auch Mae West nie „etwas anbrennen“. Den Männern wurde ganz schön heiß, wenn Miss West ihren Hüftschwung zeigte und dabei die Finger ihrer rechten Hand vom Dekollete an abwärts wandern ließ. Meldete ihre Zofe in einem Film, in dem sie wie meistens sich selber, also eine Schauspielerin spielte, „daß draußen zehn Herren auf sie warteten“, sagte sie „Schick bitte einen fort, ich fühle mich heute nicht so…“.
Weitere Filme, in denen „la West“ kaum variiert immer wieder die Rolle des sexbesessenen Revuestars spielte, waren „Klondike Annie“ (1936), „Everyday Is A Holiday“ (1937), und „My Little Chickadee“ (1938, mit W.C.Fields). 1943 drehte sie ihren für lange Zeit letzten Film „The Heat’s On“. Von der Hearst-Presse (den Zeitungen eben jenes Randolph Hearst, dessen Tochter von Guerillas entführt, umgedreht wurde, Banken ausraubte, und kürzlich aufs Scheinheiligste in den Schoß der Familie zurückgeholt wurde) diffamiert, von der Zensur (die man eigens für Miss West eingeführt hatte) bedroht, trennte sich die Filmfirma Paramount von ihrem Topstar. In der Folgezeit machte Mae viele Fernsehshows, ging mit einem Stück, das sich mit dem amourösen Leben der Zarin Katharina der Großen beschäftigte, noch einmal auf Tournee. (1944 – 45).
Selbstbeweihräucherung
Für annähernd zwei Jahrzehnte wurde es dann stiller um den Star. Das Nachkriegsamerika hatte neue Idole: Marilyn Monroe und Jane Mansfield. Miss West hingegen blieb skeptisch: „Ich sehe keinen neuen Star, der es mir gleichtun könnte“, erzählte sie mit schöner Regelmäßigkeit, jedem der es wissen wollte. In ihrem Apartment, das ganz in Weiß und Gold gehalten ist, vollgestellt mit Statuen und Ölgemälden, die sie in ihrer Glanzzeit darstellen, huldigt sie seither dem grenzenlosen Kult der Selbstbeweihräucherung. Sie schreibt autobiographische Bücher („Godness Has Nothing To Do With It“, „Sextett“) und nahm auch Schallplatten auf. Auf „The Naked Ape“ (Polydor, 1967) interpretierte sie Lieder von Lennon/McCartney und Bob Dylan. In dem Streifen „Myra Breckenridge“ war sie noch einmal zusammen mit Raquel Welch zu sehen. Sie konnte es sich nicht verkneifen, der um runde vierzig Jahre jüngeren Konkurrentin öffentlich nachzusagen, sie hätte „einen Plastik-Busen“.
Diese etwas unerfreulichen Tatsachen schmälern jedoch gewiß nicht Mae Wests Bedeutung für unser Jahrhundert, in dem Kriege als moralisch vertretbar, wo nicht gar als notwendig, bezeichnet wurden, und „die natürlichste Sache der Welt“ (Mae West) lange Zeit für „schmutzig“ galt. Und in ihrem Heimatland, den USA, war und ist eine „Vorreiterin der Ehrlichkeit“ bitternötig. Erst kürzlich verschwanden dort die Paragraphen, die dem Staat erlaubten, in den Schlafzimmern seiner Bürger herumzuschnüffeln. Und jemand, der beim Pinkeln an eine Hauswand erwischt wird, muß noch immer damit rechnen, wegen „indecent exposure“ – öffentliche Zurschaustellung, ins Gefängnis zu kommen. Mae West war immer eine Feindin der Heuchelei. Sie war (und ist?) ihrer Zeit stets um Lichtjahre voraus…