Aus der Musikexpress-Ausgabe April 1975: Die Scorpions – ein stechender Sound!
Ein Name ist (vorerst noch) untrennbar mit den Scorpions verbunden: Michael Schenker! Jeder Fan der Gruppe weiß von seinem Ausstieg und dem Eintritt bei UFO. Klar, er ist heute nicht mehr bei ihnen, trotzdem ist er ein wichtiger Faktor der Popularität der Scorpions gewesen. Welchem deutschen Musiker (noch dazu Gitarristen) wurde auch schon angeboten, in einer, doch relativ bekannten englischen Profigruppe mitzumischen? Mir fällt da nur Klaus Voorman, der deutsche Renommier-Bassist ein, und das ist lange her. Kein Wunder also, wenn sich die deutsche Rockpresse auf diesen Export "made in Germany" stürzte. Und so geschah's, daß plötzlich der Name "Scorpions" in aller Munde war!
Die erste Zeit
Aber Michael ist nicht die ganze Band. Er gehörte ’65 nicht einmal zu den Gründungsmitgliedern. Aber sein älterer Bruder Rudolf gehörte dazu, und der ist inzwischen auch der einzig Überlebende aus den ersten Tagen. Damals gab’s noch keine Anzeichen eines bevorstehenden Deutsch-Rock-Booms. Obwohl die Rattles, die Lords und ein paar andere bei uns ganz gut abschnitten. Man spielte hier und dort, war noch Amateur und hatte dementsprechende Wunschvorstellungen. Aber die wurden mit der Zeit immer hochgesteckter und schließlich Anfang „72 fruchteten langanhaltende Plattenverhandlungen. Es war soweit! Die erste eigene LP kam auf den Markt. „Lonesome Crow“ hieß sie und erschien auf dem damals aktivsten Label für kommende Deutschrocker, dem Brain-Label. Rudolf Schenker spielte Sologitarre, Klaus Meine sang, am Bass stand Lothar Heimberg, und an der Schießbude schwitzte Wolfgang Dziony. Es schien ganz gut anzulaufen.
Michael und UFO
Möglichst viele Auftritte wurden durchgezogen und der Name „Scorpions“ fehlte auf keinem Festivalplakat. Die LP erschien einige Zeit später sogar als eine der ersten deutschen Produktionen in amerikanischen Importkatalogen. Ganz unspektakulär dagegen geht der Einstieg von Michael über die Bühne. Er spielt neben seinem Bruder die zweite Lead-Gitarre, komponiert einiges und damit hat es sich. Dank einem tüchtigen Manager tritt die Band häufig als Vorgruppe bei mittleren englischen Gruppen auf. Außer Chicken Shack sind da auch die UFO! Als sie eines schönen Abends im Sommer ’73 Schwierigkeiten mit ihrem Gitarristen bekommen, springt Michael kurz entschlossen für ihn ein. Die Zusammenarbeit klappt aber derart gut, daß man sich entschließt, gemeinsam weiterzumachen. Ein nicht geringer Verlust für die Scorpions, ,ein großer Gewinn für UFO und DIE Chance für Michael. Aber weitere Schwierigkeiten sollten folgen!
Neuer Start
Besonders mit den Drummern hatte man viel Pech. Während sich in Ulrich Roth ein ausgezeichneter Ersatz für Michael findet, geben sich die Schlagzeuger in kurzen Abständen die Sticks in die Hand. Bassist Lothar verzieht sich ebenfalls, und mit der geplanten zweiten LP läuft auch nichts wie geplant. Kurz, guter Rat ist teuer. Ober ein Jahr hängt man mehr oder weniger in der Luft. Aber zum Glück gibt es ja das Fernsehen … In Lindau am Bodensee gab es da ein Mini-Festival mit einigen deutschen Gruppen. Die Scorpions fehlten nicht! Neben den TV-Leuten schnitt auch ihr Verlagstyp ihren Auftritt mit einem Video-Gerät mit. Das sollte sich noch als großes Glück erweisen.
Mama Lion
Neben der UFO-Sache wedelte aber noch etwas einigen Staub auf, der letzten Endes wiederum der Popularität der Scorpions dient. Die amerikanische Sängerin Mama Lion zieht es nach Europa und wie es so kommt, lernt sie (durch Vermittlung des Managers) Rudolf Schenker und die Seinen kennen und schätzen. Das ist der Presse mal wieder eine Meldung wert! Tage zuvor trat „Mutter Löwin“ noch im Bremer „Musikladen“ auf und jetzt steht sie mit den Scorpions auf der Bühne. Aber es wird eine kurze Episode! An „Mutters“ Orgelvorliebe scheiden sich die Geister. Die Gruppe spielt ohne Tasten weiter, die Mama zieht alleine weiter.
Amerika
Inzwischen hatten in Hamburg einige wichtige Leute auf einer privaten Fete den Videostreifen von Lindau gesehen und waren voll drauf abgefahren. Zufällig waren das auch Leute, die bei RCA etwas zu melden hatten. Und siehe da, vor ein paar Wochen ziert die zweite Scorpions-LP meinen Schreibtisch. „Fly to the Rainbow“, erschienen bei RCA mit dem neuen Rhythmusgespann Francis Buchholz (Bass) und Jürgen Rosenthal (Schlagzeug). Rudolf Schenker hat seine Crew also wieder beisammen und die Post kann abgehen. Während noch heute begeisterte Anrufe aus den USA als Echo der ersten Platte kommen, kümmert sich die Band wenig, was in England angesagt sein könnte. Die neue Scheibe wird denn vorerst auch nur in den Staaten gehandelt werden. Mit einem Schulterzucken stellt Rudolf fest: „In England sind die Typen momentan sehr schlaff und die große Sparwelle rollt breiter denn je. Da sieht’s in Amerika schon ganz anders aus!“ Na klar, warum sollen deutsche Gruppen künftig nicht über Amerika den selbstzufriedenen Engländern zeigen was läuft!