Noch ist Leo Sayer ne ferngesteuerte Maske


Widerspruche fabriziert Leo Sayer am laufenden Meter. So abgedroschen wie der Spruch 'The Show Must Go On' klingt, so kontrovers singt Leo in seinem ersten Hit '... I won't let the show go on!' Sich eine Clownsmaske um Nase, Mund und Augen zu pinseln, ist zuguterletzt auch keine haarsträubend neue Erfindung. Und dann noch nicht einmal Interviews geben wollen...! Was bildet der sich eigent- lich ein? Dieser... dieser Leonardo Silverbird!! Umso erstaunlicher, dass ME- Redakteur Lutz Wauligmann trotzdem einen Narren an ihm gefressen hat und meint:

Noch lässt er sich von seinem Manager Adam Faith, einem ausrangierten Popstar der Sechziger Jahre, vorschreiben, wann und wo Interviews zu geben sind und noch schleppt er einen manchmal sehr ungemütlichen Body-Guard mit sich herum, der nichts Besseres zu tun hat als jedem Fotografen, der in Leo’s Anwesenheit auch nur seine Linsen putzt, unmissverständlich klar zu machen, dass es sich nicht empfiehlt, auf den Auslöser zu drücken. Peinliches Showbusiness Wurde hinter den Bremer ‚Musikladen‘-Kulissen und im holländischen Top Pop Fernsehstudio vorgeführt, als Leo Sayer, umringt von Journalisten und noch nicht einmal linsenputzenden Fotografen, „stillschweigend auf seinen Aufnahme-Termin wartete. Man konnte also nicht schlauer werden als man ohnehin schon war. In letzter Zeit hat Leo nur dem englischen Melody Maker‘ ein Exklusiv-Interview gegeben, selbst Boulevard-Blätter mit Millionen-Auflage wie der britische ‚Sunday Mirror‘ gingen leer aus. Und da Adam Faith während Leo’s TV-Tour durch Europa gerade in New York an einem eigenen Album bastelte, blieb nichts anderes übrig, als auf die Meldungen englischer Korrespondenten zurückzugreifen.

VOM KIRCHENCHOR ZUM BLUES

Mit The Show Must Go On‘ hat Leo auf Anhieb den Wahnsinns-Durchbruch geschafft. Die Clownsmaske, die anfangs nur als Versteck dienen sollte, falls mal ein Auftritt in die Binsen ging, entwickelte sich sehr schnell zu einem imageprägenden Erkennungszeichen. Obwohl Leo Sayer bei den Branchen-Insidern höchstens seit einem halben Jahr ein Begriff ist, behandelt man ihn schon heute wie einen aussergewöhnlich vielversprechenden Superstar. Gerard (Leo’s richtiger Vorname) Sayer wurde vor 25 Jahren als Sohn eines englischen Ingenieurs und einer irischen Mutter in ‚der Ortschaft Shoreham (Sussex) geboren. In seiner Jugendzeit schickten die Eltern ihn in den katholischen Kirchenchor. Als Solist trug er damals religiöse Lieder in der Schule vor. Da Kunst schon damals grosse Anziehungskraft auf ihn ausübte, ging er nach der Mittleren Reife auf die Akademie der Bildenden Künste mit dem festen Vorsatz Maler zu werden. Nach ein paar Semestern gab er jedoch dieses Studium auf und schloss sich einer ortsansässigen Blues-Band an, in der er Mundharmonika spielte.

STRASSENMUSIKER IN DER PORTOBELLO ROAD

In dieser Gruppe gab es jedoch noch keinen Sänger. So kam es, dass Gerard schliesslich auch diesen Part übernahm. Über ein paar Jobs im englischen Seebad Brighton gelangte er endlich auch nach London, wo er abends mit befreundeten Musikern in Clubs auftrat, während er über Tag als StrassenSänger in der Portobello Road Gegend herumgammelte. Dabei traf er auch auf den damals ebenfalls noch unbekannten Don Partridge. Gerard schrieb ein Buch mit dem Titel ‚The Avenue‘, das niemals gedruckt wurde, dessen Inhalt aber zusammengefasst in dem Song ‚The Dancer‘ wieder auftauchte, der auf dem Sayer-Album ‚Silverbird‘ erschienen ist. Drei Jahre lang lebte Gerard Sayer abwechselnd in Brighton und in London. Dann, im Mai 1970, gründete er mit einigen alten Freunden in Brighton eine Band namens Jeepster‘. Diese Gruppe verschwand jedoch genauso geräuschlos wieder von der Bildfläche wie sie entstanden war. Schliesslich entstand zusammen mit dem Gitarristen Max Chetwich die Formation ‚Patches‘.

SAYER-HIT: GIVING IT ALL AWAY

David Courtney, Ex-Drummer der Roulettes, mit dem Gerard inzwischen begonnen hatte Songs zu schreiben, schlug vor, ein Demo-Tonband an seinen Freund Adam Faith zu schicken, von dem bekannt war, dass er sich auf ein Comeback vorbereitete. Unter Adam’s Regie, brachte ‚Patches‘ eine Single unter dem Titel ‚Living in Amerika‘ heraus, von der ganze fünfzig Scheiben verkauft wurden. Nach dieser Pleite hatte Adam Faith keinen Bock mehr auf ‚Patches‘, er konzentrierte sich von jetzt ab einzig und allein noch auf Gerard. Mitte 1972 wurde dieser auf den Künstlernamen Leo umgetauft. Man beschloss, in Roger Daltrey’s privatem Studio einige Sayer/Courtney Kompositionen für die erste Leo Sayer Solo-LP aufzunehmen. Roger selbst steckte gerade in den Vorbereitungen zu seiner Solo-LP. Als er sich Leo’s Songs anhörte, war er auf der Stelle so begeistert, dass er sich sein ganzes Album vom inzwischen gut eingearbeiteten Team Sayer/Courtney komponieren liess. Der Smash-Hit ‚Giving It All Away‘ sorgte dafür, dass von jetzt ab Leo’s Name regelmässig in den englischen Pop-Blättern gedruckt wurde.

-hr3>USCHI VOM ‚MUSIK-LADEN‘: LEO WIRD EINER DER GRÖSSTEN…

Ende November 73 fiel der entgültige Startschuss für Leo Sayer’s Blitz-Karriere: Mit The Show Must Go On‘ trat der als Clown verkleidete Unbekannte in Englands populärster Rock-Fernsehsendung-, Häm ‚Old Grey Whistle Test‘ auf. Gleich darauf startet Leo mit einer schnell zusammengewürfelten Band im Vorprogramm von Roxy Music seine erste Europa-Tournee. Er war kaum wieder zuhause, als er erfreut feststellen konnte, dass seine Single wie verrückt die englischen Hitparaden heraufkletterte. Die inzwischen erschienene erste Sayer-LP (‚Silverbirtf) kletterte kurz darauf hinterher. Inzwischen haben beide Platten die Spitze der Charts erreicht. Während, Leo sich darauf vorbereitet Amerika zu erobern, meinte sogar Uschi Nerke vom ‚Musikladen‘: „Der (Leo) wird ungeheuer rauskommen, das wird einer der grössten Stars werden. Er hat Texte, die von Intelligenz zeugen, das ist also nicht nur für die kleinen Mädchen und die kleinen Jungs. Auch die musikalischen Arrangements, die lassen sich nicht vergleichen mit der Bumms-Musik von Slade. Die ganze Sache ist wirklich anspruchsvoller …“