Underground – Blues ?!?


Schon mehrfach habe ich mein Missfallen darüber geäußert, dass es in der Pop-Musik Bezeichnungen wie Rock-Blues, Underground-Blues, Psychodelic-Rock etc. gibt. Diese Stil-Bezeichnungen stammen meist von übertüchtigen Experten oder von gewitzten Kaufleuten, die mit einem neuen Titel oder Interpreten dem Käufer solche Schlagwörter unterjubeln. So gibt es wenigstens etwas über den Interpreten oder die Platte zu berichten. Denn eigenartigerweise begnügt sich niemand damit, zu sagen: Hier ist ein neuer Interpret mit einer Schallplatte. Wir halten beide für gut. Hoffentlich gefallen sie Euch auch; denn wir wollen viel Geld mit ihnen verdienen, damit wir noch besser leben können und weiterhin gute Platten produzieren.

Von Musikanten selber stammen die meisten Stil-Bezeichnungen nicht. Die unterteilen höchstens in den großen Bereich der Klassischen Musik und in Folklore, Blues, Country & Western, Jazz, Rock und Leichte Musik (Easy Listening), die sich aus Bestandteilen der anderen Richtungen zusammensetzt.

All diese werden noch in konventionell (herkömmlich) und progressiv (fortschrittlich) unterteilt. Sie sind die Grundlagen, auf denen die heutige Pop-Musik beruht. Eine Jazz-Nummer ist allerdings nicht genau so wie die Andere, weil auf der Grundlage des Jazz viele Ausdruckmöglichkeiten vorhanden sind. Der große Nachteil aller anderen Bezeichnungen ist, dass sie zu Mode-Begriffen werden. So kommen sehr oft hervorragende Musikanten ganz einfach aus der Mode oder gar nicht erst zum Zuge. Viele Leute hören z.B. keinen Jazz, weil er nicht modern ist. Sie sind derartig ins Musik-Konsumieren eingespannt, dass sie sich nicht die Zeit nehmen, zu einem eigenen Geschmack zu gelangen. Sie lassen sich ihren Geschmack als Mode diktieren. Nicht jede gute Musik-Aufführung (Platte, Konzert etc.) verwendet die momentan üblichen Ausdrucksmittel; jedoch bleibt sie trotzdem eine Gute. So, wie etwa Schiller ein guter Dichter war, obwohl seine Leute für heutige Begriffe etwas geschwollen reden. Ihre Redeweise ist Schillers Ausdrucksmittel. Dadurch, dass jemand schon ein paar Jahre tot ist oder nicht mehr der letzte Schrei, ist das, was er zu sagen hatte nicht auch tot, wenn er es gut gesagt hat. Und wenn es genug Leute gibt, die nicht einem krankhaften Vorwärts-Trieb zum Opfer fallen.

Der langen Rede kurzer Sinn ist Ben E. King. Bis vor 2 Jahren hatte man noch keinen Namen für die Musik, die er und andere schon einige Zeit machten. Dann nannte man sie SOUL, und die große Welle stürzte auf uns ein. Wie jede Mode flaute auch der Soul-Craze wieder ab, „Bubble Gum, Psycho…, Blues etc.“ kamen. Leider war es einigen Interpreten des sogen. Soul nicht gelungen, so populär zu werden, wie sie es verdient hätten. Ben E. King ist derjenige, um den es mir dabei am meisten leid tut. Nicht nur, weil er einer der freundlichsten und gütigsten Menschen ist, die ich kennengelernt habe, sondern auch weil er für mich einer der besten Sänger ist, die ich gehört und gesehen habe.

Zum Glück kann ich feststellen, dass ich hier keinem unentdeckten Talent die Steigbügel halte; denn er singt schon ziemlich lange und hatte schon einige große – wenn auch nicht weltweite – Erfolge. In den USA und England gehört er zu den anerkannt Großen. Zuerst machte er als Hauptsänger der Drifters von sich Reden; und zwar auch als Autor von großen Drifter-Hits wie „There goes my baby“. Dann verließ er die Gruppe und hatte mit „Stand by me“, „Spanish Harlem“, „Don’t play that song“ als Solo-Sänger mords Hits. Danach ist ihm leider kein Single-Hit mehr gelungen. Aber ich verspreche Euch, wenn Ihr seine LPs anhört, werdet Ihr mit mir einer Meinung sein: Ben E. King ist einer der Besten. Wenn gefühlvolles Singen ein Hauptmerkmal des Soul ist, dann ist Ben E. King ein Ober-Souler. Aber auch wenn Soul „out“ ist, höchstens noch zum Tanzen gut, wenn keiner genau hinhört -, Ben E. King sollte nicht „out“ sein. In dem Moment, in dem Ihr Euch auf Euren eigenen Geschmack besinnt und nicht Eure Pflicht als Musik-Verbraucher erfüllt, ist Ben E. King wieder „in“.

Denn Ben E. King ist kein Soul-Schwitzer, sondern ein hervorragender Gesangsinterpret (wenn ich mal so sagen darf). Zur Zeit sind noch folgende LPs von ihm bei uns im Handel: Ben E. Kings Greatest Hits (33-165), Don’t Play That Song (33-142), Ben E. King Sings For Soulful Lovers (33-137), Spanish Harlem (33-133) und What Is Soul (engl. Nr. 587 072) alle bei Atlantic bzw. Atco. Aber beeilt Euch, es kann schnell passieren, dass sie aus dem Handel gezogen werden, weil Ben E. King nicht mehr modern zu sein scheint.