Omar Rodríguez-López über das Kochen
Wir haben uns eben in der Küche nebenan getroffen. Es wird gekocht. Was gibt es denn?
Gute Frage, wir wissen es noch nicht. Es geht uns hier im Studio darum, zusammen zu leben – Fußball zu spielen und Filme zu schauen. Aber das Wichtigste ist unsere Ernährung. Also sprichwörtlich: Die Nahrung, die wir zu uns nehmen. Davon sind wir regelrecht besessen.
Vegane Ernährung?
Nein, nein, einfach nur nährstoffreich und nicht genetisch modifiziert. Das ist hier vielleicht nicht so leicht zu verstehen, weil das hier in Europa noch kein so großes Problem ist. Teuflische Saatgutkonzerne wie Monsanto dominieren Europa noch nicht. Noch nicht! Aber Nordamerika, Südamerika, Indien wir sagen immer: Hier ist das Essen noch nicht kontaminiert. Wir müssen die USA verlassen, um wenigstens gut essen zu können.
Was ist daran so wichtig?
Gut essen ist wesentlich dafür, überhaupt Mensch sein zu können. Was du isst, wirkt sich auf die Chemikalien in deinem Kopf aus, und dein Kopf bestimmt, wer du bist. Es geht dabei auch um die Ideen, denen damit überhaupt erst erlaubt wird, in deinem Kopf zu entstehen. Wir hätten gerne, dass die Leute verstehen, dass die Musik nur das Ergebnis dessen ist, wie wir sind.
Liest du Kochbücher?
Ja, aber das ist langweilig.
Warum?
Es kommt darauf an, die Sachen selbst rauszufinden. Der Prozess ist wichtig, nicht das Ergebnis. Und natürlich darf nichts so lange gekocht werden, bis alle Nährstoffe weg sind. Es ist wie mit dem Gitarrespielen. Ich würde mich niemals einen Musiker nennen, weil ich, anders als andere Leute, von der Theorie keine Ahnung habe. Es ist so, als würde ich mich Chefk och nennen, nur weil ich gerne koche. Verstehst du? Ob die Leute mich einen „Gitarrengott“ nennen oder ein „Stück Scheiße“, das kommt auf dasselbe hinaus. Es ist beides egal. Es kommt nur darauf an, was ich als Person mache und ob ich es bewusst mache. So ist das mit dem Kochen auch.
Das klingt sehr politisch.
Ist es auch! Essen ist politisch, Ernährung ist politisch! Wobei wir noch nicht mal darüber gesprochen haben, wer alles nichts zu essen hat. Es genügt schon, sich dort umzuschauen, wo Überfluss herrscht. Es ist ein Überfluss an Schädlichem, Fett, Zucker. Ich selbst kann mich einfach schlechter konzentrieren, wenn ich Junk esse. Ich bin 36 Jahre alt und fühle mich besser denn je. Ich habe überhaupt erst jetzt das Gefühl, in meinem Körper anzukommen. Ich kann besser denken, länger wach bleiben und komme morgens besser aus dem Bett, ich bin optimistischer. Drogensucht ist für mich eine reale Bedrohung. Ich muss mir bei allem, was ich mache, enge Grenzen setzen. So ist es auch in Beziehungen, in Freundschaften – und beim Kochen.
Wirkt sich das, was du kochst, auf deine Musik aus?
In gewisser Weise schon, ja. Die eigentlich allerwichtigste Band für mich war immer Pink Floyd, und bei The Mars Volta haben wir immer viel von ihnen geklaut. Gerade die langen, psychedelischen Sachen, ATOM HEART MOTHER und so. Neuerdings entdecke ich aber erst richtig THE PIPER AT THE GATES OF DAWN mit seinen komplexen, aber unglaublich komprimierten und kurzen, konzisen Pop-Stücken. Da ist nichts zu viel, es ist wie Kochen mit Rohkost. Du hörst oder schmeckst alle Bestandteile und wunderst dich trotzdem über das Ergebnis. Mit Bosnian Rainbows versuchen wir einen ähnlichen Ansatz, natürlich, und vielleicht liegt das wirklich daran, dass wir alle zusammen kochen.
Im Deutschen gibt es ein Sprichwort: „Viele Köche verderben den Brei“ …
Es kommt darauf an, wie gut sich die Köche verstehen. Bosnian Rainbows ist die erste Band, in der ich nicht der Diktator, der Chefkoch bin, sondern Teil eines familiären Kollektivs. Jeder wirft, um im Bild zu bleiben, etwas in den Kochtopf. Und ich war selten so stolz auf ein Ergebnis.
Kochen, das ist doch das Gegenteil von Rock’n’Roll.
Kommt darauf an, was du darunter verstehst. Immer wieder fragen mich Leute: „Wenn du spielst, sieht es so aus, als wärst du völlig in der Musik verloren! Ist das so?“ Ich meine, was denn sonst? Was soll ich denn sonst sein? Der Moment ist das, was passiert. Auch in der Küche. Es geht immer darum, ob du in dem Moment lebst und das richtig machst, was du gerade machst.
Es gibt im Deutschen auch das Wort „Küchenstudio“ …
Das passt gut, bei uns sind Küche und Studio eigentlich gleichwertige Orte. Im Moment sind wir in einer Phase, in der alles total einfach sein soll. Also essen wir nur Brokkoli mit Knoblauch und Kokosmilch. Es ist eine Reaktion darauf, dass eigentlich alles „mehr“ sein muss heute. Das ist wie mit diesem Internet-Filmdienst Netflix. Alles Filme, also schaut jeder nur zehn Minuten hier, zehn Minuten da hinein, und am Ende schaut er keinen Film mehr richtig. Es ist mehr, aber am Ende ist es weniger. Ich kenne Leute, die haben auf ihrem iPad 150 Bücher. Wie viele davon lesen sie wohl zu Ende? Ich habe zwei Bücher mit nach Deutschland gebracht und zwei Platten. Und ich koche Brokkoli mit Öl und Knoblauch.
Klingt wie Straight Edge.
Es geht vor allem darum, auf die wichtigen Dinge zu achten, also auf deinen Körper und deine Seele. Es ist nicht so, dass wir gegen das Trinken wären. Es ist auch okay, wenn jemand eine Droge nehmen will. Die Sache ist die: „consumption without consciousness“(Konsum ohne Bewusstsein) ist das Problem. Den meisten Leuten ist nicht bewusst, wenn sie eine Allergie gegen Marihuana haben. Die meisten Leute wissen nicht einmal, dass auch Zucker eine Droge ist, mit Nebeneffekten und Entzugserscheinungen und allem Drum und Dran. Es geht darum, eine bewusste Entscheidung zu fällen. Wenn ich weiß, dass mir durch Heroin die Zähne ausfallen, ich mich in ein Skelett verwandele und von allem getrennt werde, was gut ist im Leben – und ich es trotzdem nehmen möchte. Gut. Das ist dann eine bewusste Entscheidung.
Bewusstseinserweiterung durch Bewusstseinsschärfung?
Genau. Wir existieren nur in unserem Bewusstsein, also lasst es uns rein halten. So wie es die Japaner machen. In Japan gibt es in der U-Bahn keine Schilder, auf denen steht, dass man kein Essen mitbringen soll. Aber sie sind sich dessen bewusst, also bringen sie kein Essen mit. Sie wissen, dass sie diesen Ort teilen müssen und dass er von Steuergeldern finanziert wird, also sind sie in einem guten Zustand, verstehst du? Die U-Bahn. Und die Leute. Die Gefahr, bewusstlos durchs Leben zu laufen, ist nichts Neues, darüber wurde in der Geschichte schon oft diskutiert – zum Beispiel von Ludwig Wittgenstein. Sind wir überhaupt wach? Können wir Begriffe wie „bewusst“ oder „bewusstlos“ überhaupt verwenden? Sind wir bereit, in dieser Liga zu spielen? Das ist es, worum es mir geht: Ich will versuchen, aufzuwachen.
CD im ME S.5, Albumkritik ME 07/13
Omar Alfredo Rodríguez-López kam 1975 in Bayamón, Puerto Rico zur Welt und wuchs in El Paso, Texas auf. Mit zwölf Jahren begann er, Bass zu lernen, stieg aber auf Gitarre um, weil er „mehr Saiten benötigte“. 1996 stieß er zur Post-Hardcore-Band seines Jugendfreunds Cedric Bixler-Zavala, At The Drive-In. Nach dem Ende der Gruppe 2001 gründeten die beiden The Mars Volta. 2012 beschloss Rodríguez-López, sich auf seine neue Band Bosnian Rainbows zu konzentrieren. Bis heute hat er 26 Solo-Alben und viele weitere mit anderen Projekten aufgenommen.