Peter Fox über die deutsche Szene
Es wird nicht viel gewagt, sagt Peter Fox. Dabei muss man nicht mit dem Strom schwimmen, um Erfolgzu haben - wie Fox mit Seeed und dem Album Stadtaffe beweist.
Auf deinem Album gibt es den Satz „Ich bin die Abrissbirne für die deutsche Szene -gibt’s das überhaupt, eine „deutsche Szene“?
Ja. Ich meine damit einfach die deutsche Musikszene, die Musik-, TV- und Radiolandschaft – nicht eine Szene von Leuten, die stilistisch eine Einheit bildet oder sich aus einem Kern gebildet hat. Das ist einfach ein provokativer Satz, um mal kurz um sich zu hauen, (lacht) Warum braucht die Szene eine Abrissbirne?
Ich finde einfach, dass m Deutschland wenig geht. Dabei ist es mit knapp 90 Millionen Einwohnern ein großes Land. Auch wirtschaftlich gehört es zu den stärksten Ländern der Welt – es gibt öffentliche Musikschulen, und viele Kinder haben die Möglichkeit, im Keller des elterlichen Mehrfamilienhauses ein Instrument zu üben.
Es wird ja durchaus uiel Musik produziert.
Ja, aber fast alles versinkt in Mittelmäßigkeit. Und das reicht den meisten, aber mir halt nicht. Ich find’s scheiße. Das ist eine Einstellung, mit der ich mich unbeliebt mache, aber das ist mir egal. Es wird nicht viel gewagt. Und, ganz ehrlich, auch nicht viel gearbeitet.
Wie ist das in deinem Umfeld? In der Musikszene in Brooklyn wird zur Zeit viel von Berlin geschwärmt …
Naja, in Berlin passiert schon viel. Wegen der vergleichsweise niedrigen Lebenshaltungskosten sind dort viele Künstler zu Hause, einige machen auch coole Sachen. Und das ohne den Druck, alles immer gleich sofort kommerziell verwerten zu müssen – das Überleben ist ja auch so einigermaßen möglich. Und auch wenn ich das nicht so im Blickfeld habe, weil es nicht meine Szene ist – im Bereich Techno und Elektro ist die Stadt total weit vorne. Aber was populäre Musik angeht – ich spreche von Popmusik, also Musik, die vielleicht auch mehr Leute ansprechen könnte als nur deine 50 Freunde -, da geht nicht genug. Ich finde einfach, dass nicht genug gewollt wird.
Hast du genug gewollt? Auf der einen Seite hast du das Tabuthema Alter in „Haus am See“ so cleuer aufgegriffen, dass daraus ein Hit werden konnte-eine Meisterleistung. Auf der anderen Seite gibt es dann auch einen Song wie „Schüttet deinen Speck“…
Nur weil der Text jetzt nicht so anspruchsvoll ist? Siehst du, das ist auch wieder so deutsch – man muss sich auch mal lockermachen. Ich finde halt eine Platte mit zwölf Songs, die irgendwie Neurosen behandeln, ein bisschen ermüdend. Ich steh einfach auf Partysongs. Da hatten wir Bock, mal zu sehen, was man alles mit dem Wort „schütteln“ anstellen kann. Da lag die Herausforderung eher woanders.
Warum gibt es so wenig wirklich mnouatiue Popmusik in Deutschland? Fehlt es an der Förderung? Schweden hat uiel weniger Einwohner, produziert aber uergleichsweise uiel gute Musik.
Es ist kein finanzielles Problem. Natürlich liegt es auch an der Geschichte. Auch wenn es nervt, kann man nicht darüber hinwegsehen, dass durch die Nazizeit viel kulturelles Gut, fähige Leute und ein gewisses Selbstbewusstsein, was die Kultur anging, kaputt gemacht wurden. In den 20er-Jahren kam noch sehr viel gutes Zeug aus Deutschland oder Berlin. Die 50er- und 60er-Jahre waren dann unglaublich bieder und tot. Das ist in Schweden natürlich anders. Und die sind auch selbstbewusst enghschsprachig in die Welt gezogen. Sie hatten ABBA. Vielleicht liegt’s auch nur an ABBA? (lacht) Deutsche Acts haben es nicht leicht im Ausland. Ich krieg das immer wieder mit: Wenn eine deutsche Plattenfirma auf der Europakonferenz des Mutterkonzerns einen Act vorstellt, der durchaus Potenzial fürs Ausland hätte, trauen sie sich kaum, das zu sagen. Und die Engländer – Erfinder der Popmusik – machen auch gleich ,Pff…‘, das ist schon eingespielt. Vielleicht gibt es ja jetzt durch so was wie Tokio Hotel eine Chance für andere Bands oder für deutsche Plattenfirmen, sich mal mit bisschen breiterer Brust zu trauen, einen deutschen Act größer zu machen. Obwohl, Rammstein hatten es auch geschafft, allerdings mit einem so speziell deutschen Image, dass es nicht gerade viele andere Bands mitgezogen hat. Es ist traurig, außer Kraftwerk in den 70ern und vielleicht den Scorpions fallen einem sonst nicht viele deutsche Acts ein, die die Fahne hoch gehalten hätten – ein paar One-Hit-Wonder oder Dancetrash höchstens.
Immer wieder kommt das Argument, es ginge uns zu gut …
Es ist Quatsch, dass jeder große Künstler soziale Härte gespürt hat. Es geht doch um den Willen, sich auszudrücken und dafür kreative Vehikel zu erfinden. Es gäbe auch hier Grund genug, sich dafür anzustrengen – ist doch eigentlich wünschenswerter, als Künstler zu leben, anstatt Taxi zu fahren oder bei Opel am Fließband zu stehen.
Ist das so? Ist der Beruf Künstler nicht in der Generation der Eltern immernoch ein bisschen uerrufen?
Das ist doch den Kids egal. Das ist eher Grund, das extra zu machen.
Hattest du Unterstützung, als du Musik zu deinem Lebensmittelpunkt gemacht hast?
Schon, was das Fördern von musikalischen Talenten angeht. Aber Musiker als Beruf war für meine Eltern auch eher unrealistisch. Aber im Endeffekt ist das egal. Entweder man will das oder man will es nicht. Und ich glaub, das ist auch in allen Ländern der Welt so.
2001 hat Herbert Crönemeyer mime gesagt: „Unser Land wird uom Mainstream regiert. […] Aber ich glaube, dass sich das noch ändern wird. Im Zuge der Wiederuereinigung müssen wir erkennen, dass dieses Land eine eigene Identität besitzt.“ Trifft das im Bereich des Pop für dich zu, dass es eine eigene Identität gibt?
Schon. Leider bringt die größtenteils Sachen hervor, die nur einfach nicht gefallen. Die ganzen Rockbands mit den deutschen Texten – ich finde das musikalisch so schrecklich berechenbar und langweilig.
Klee, Juli, Silbermond…
Alle! (lacht) Alle. Die sind sehr nett, aber nicht mein Ding.
Ich denke bei Identität in der Popmusik eher an den Bereich, in dem in Deutschland tatsächlich eine eigene Geschichte geschrieben wurde: die Elektronik. Von Kraftwerk bis Boys Noize …
Aber wo erkennst du denn heute das Erbe von Kraftwerk außerhalb der Clubwelt? Wir reden von Popmusik. Was da erst mal auffällt, sind die Rockbands: von Stadionrock mit deutschen Texten – also Juli oder Silbermond – bis zu Bands wie Tocotronic und Tomte, die vom textlichen Anspruch intellektueller sind. Klar gibt’s eine riesige Elektrowelt. Techno, Elektro, Minimal, Piminal, Tralala (lacht). Das meine ich gar nicht abwertend, da kenn ich mich nur nicht so aus. In den Charts ist das aber nicht, höchstens Scooter oder anderer Trash.
Das wichtigste Statement in Sachen Identität war für mich euer Oy-Güzelim-Türkpop-Remix uon Seeeds „Das Ding“. So was bildet für mich uiel mehr Deutschland heute ab …
Aber diese Kulturen existieren sonst nur nebeneinander. Ich lebe ja in Kreuzberg, aber es gibt nur ganz wenige Bands, in denen sich das mischt. Die Türken machen mit Türken Musik und die Deutschen mit Deutschen. Leider.
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