Nirvana: Krist Novoselic über politisches Engagement
Wenn man ihm glauben darf, warten die USA auf eine Revolution, wie sie Grunge für den Rock war. Nirvanas Ex-Bassist kämpft in kleinen Schritten quer durch die Institutionen dafür.
Der Bassist, das unbekannte Wesen. Zumindest meist ein stilles Wesen, rätselhaft vielleicht, stille Brüter, In-sich-hinein-Grinser sind sie. Auch Krist Novoselic: ein Bassist, in dem dies und das schlummerte, und man hätte schon fragen müssen, um zu erfahren, was ihn noch so berührt, außer der Musik, die er mit Nirvana spielte. Aber alle fragten nur Kurt Cobain. Nachdem die Band von einen Tag auf den anderen durch dessen Selbstmord ausgelöscht worden war, verschwand Novoselic erst einmal von den Bühnen, kehrte nur gelegentlich mit eher bei läufig rockenden Projekten zurück. Dafür zog es ihn immer weiter in die Politik. Nun, der Mann wird ja wissen, was er tut…
In deinem Buch, Of Grunge and Government schreibst du, daß sich Musik und Politik sogar recht ähnlich sind. Wie meinst du das ?
Krist Novoselic: In den USA agieren Politiker oft wie Filmstars. Wir hatten ja sogar einen Präsidenten, der Schauspieler war. Oder schau dir doch den Gouverneur von Kalifornien an. Als Politiker mußt du zu den Massen sprechen und dabei überzeugend wirken. Außerdem sind Musiker eigentlich selbstständige Geschäftsleute. Bei Nirvana wollten wir nur Musik machen. Als wir dann damit begonnen haben, regelmäßig Konzerte zu spielen, haben wir festgestellt, daß wir als Unternehmer in der freien Marktwirtschaft tätig waren. Du kannst zwar als Künstler anfangen, aber sobald du Erfolg hast, wirst du zum Geschäftsmann.
Du ziehst Parallelen zwischen deinen Bemühungen um politische Reformen und deinem Durchbruch mit Nirvana. Wie kommst du dazu?
Weil Musik und Politik Gemeinsamkeiten haben. In dem Moment, wo Musik vorhersehbar und bloß noch eine Formel zur Stützung des Establishments ist, werden die Leute zynisch. Sie wenden sich ab. In einem solchen Moment öffnet sich eine Schleuse für eine neue Welle von Musik. Das ist in den frühen Neunzigern passiert. Plötzlich war Grunge-Rock da, und die Leute haben sich wieder für Musik interessiert, weil sie wieder kraftvoll klang. Auch die Wahlen in Amerika sind vorhersehbar und stützen nur noch das Establishment. Deshalb interessieren sich so viele Leute nicht dafür.
Der Untertitel deines Buchs ist „Let’s Fix This Broken Democracy!“. Was ist denn die größte Baustelle?
Wir müssen unser Wahlsystem modernisieren. In Deutschland gilt ein gemischtes Verhältniswahlrecht: jeder Wähler hat zwei Stimmen. Ich schlage für den Staat Washington ein ähnliches System vor. Die Amerikanerbezeichnen ihr Land oft als älteste Demokratie der Welt, als Leuchtturm der Demokratie. Aber wenn du dir unser Wahlsystem anguckst, stellst du fest, daß es antiquiert und kaputt ist.
Du hast ein sehr leidenschaftliches Buch mit sehr vielen konkreten Vorschlägen geschrieben. Hat der Sieg von George W. Bush bei der letzten Präsidentschaftswahl deinen Enthusiasmus beeinträchtigt?
Mich hat das letzten Endes nur bekräftigt. Die Präsidentenwahl war zwar sehr umkämpft, aber es standen ja auch Sitze im Repräsentantenhaus zur Wahl. In der überwältigenden Mehrheit der Wahlkreise stand der Wahlsieger jedoch schon vorher fest. Oft gab es nicht mal einen Herausforderer. Das zeigt mir, daß unsere Wahlen nicht funktionieren – weil sich die Demokraten und Republikaner die Größe der Wahlkreise zu ihrem jeweiligen Vorteil zurechtschneidem. Wirbrauchen Wahlkreise mit mehreren Kandidaten, in denen nach einem proportionalen System gewählt wird. Solche Reformen werden momentan erstmals ernsthaft diskutiert. Dabei ist das, was wir wollen, Standard überall auf der Welt. Selbst im Irak haben die USA mehr oder weniger erfolgreich ein demokratisches Svstem installiert – mit Verhältniswahlrecht.
Gab es irgendein konkretes Erweckungserlebnis für dein politisches Engagement?
Das war ein längerer Prozeß. Leuten unter 20 Jahren war es früher in Seattle nicht erlaubt, Konzerte in kleinen Clubs zu besuchen, weil sie nicht mit „jugendgefährdenden“ Songtexten konfrontiert werden sollten. Deine Lieblingsband konnte also in die Stadt kommen, aberals Teenager durftest du nicht hingehen. Ich habe mich damals gegen diese Gesetze eingesetzt.
In deinem Buch schreibst du, daß du früher als Punk die Abschaffung der politischen Institutionen propagiert hast. Jetzt willst du nur noch das bestehende System reformieren. Was hat diesen Sinneswandel bewirkt?
Die Erfahrungen, die ich innerhalb dieser Institutionen gemacht habe. Meine frühere Einstellung zum System hatte ich ja lediglich als Außenstehender entwickelt. Als Punks dachten wir, daß wir mit Politik nichts zu tun haben müssen. Dann hab‘ ich irgendwann realisiert, daß die Entscheidungen dieser Institutionen durchaus Auswirkungen haben auf meine kleine Welt. Ich mußte ja nur ein Konzert spielen wollen und war schon mit dem Problem konfrontiert, daß junge Leute nicht hingehen durften. Entweder man veranstaltet also ein illegales Konzert oder man wendet sich an diese Institutionen und sagt: Hört zu, das funktioniert so nicht! Unsere Musikergemeinde ist sowohl wirtschaftlich als auch kulturell ein Gewinn für Stadt und Bundesstaat. Natürlich ist es dabei hilfreich, wenn du der Bassist einer international gefeierten Rockband bist. Wir haben uns damals nicht abschrecken lassen – heute dürfen in Seattle Menschen jeden Alters Konzerte besuchen.
1999 hast du dich mit einem Bandprojekt an den Protesten gegen das WTO-Treffen in Seattle beteiligt, die heute als Geburtsstunde der globalisierungskritischen Bewegung gelten. Jetzt bringst du deine Unzufriedenheit in einem Buch zum Ausdruck. Warum hast du das Feld der Musik verlassen?
Ich mache noch viel Musik, aber ich habe einfach keinen Bock mehr auf dieses ganze Business. 2002 habe ich eine sehr gute Platte veröffentlicht und bin auf Tour durch die USA gegangen. Abend für Abend habe ich gespielt und hatte nicht besonders viel Spaß dabei. Warum soll ich denn bitte immer noch in den immergleichen deprimierenden Industriestädten im Mittleren Westen auftreten?
Du sagst auch, daß du dir gerne vorstellst, was passiert wäre, wenn sich die positive Energie und Kreativität der Proteste in Seattle auf die konventionelle Politik übertragen hätte. Warum ist es dazu nicht gekommen?
Das weiß ich auch nicht. Ich persönlich habe mich ja anschließend weiterhin in der lokalen Politik engagiert. Ich glaube, die Leute sind einfach skeptisch, was unsere Institutionen betrifft. In Seattle hatten sie für ein paar Tage die Möglichkeit, sich auszudrücken – im Straßentheater oder als Steinewerfer. Dabei haben sie sofort die ersehnte Befriedigung erhalten. Wenn du aber anfängst, innerhalb des politischen Systems zu arbeiten, dauert eben alles sehr lange.
Nach dem zweiten Wahlsieg von George W. Bush wirkt die Opposition wie gelähmt. Wo verstecken sich all die wütenden und unzufriedenen Amerikaner momentan?
Sie sind irgendwo da draußen. Sie sind im Internet aktiv. Bei den Feierlichkeiten zum Beginn von Bushs zweiter Amtszeit waren Tausende von Protestierenden. Sie wurden nur von den Fernsehkameras ignoriert und von den Polizisten kontrolliert.
Glaubst du, daß du wegen deiner Rock&Roll-Vergangenheit immun dagegen bist, ein professioneller Politiker zu werden, der immer Anzug und Krawatte trägt und dieselben Standardphrasen drischt?
Ich weiß nicht, ob ich immun dagegen bin. Was ich aber weiß, ist, daß die Leute in mir immer noch den Grunge-Rocker sehen. Ich blättere in den Musikmagazinen und sehe immer wieder Krist Novoselic mit 28 Jahren. Manchmal fühle ich mich wie der Junge in „Die Blechtrommel“, der nicht erwachsen wird. Aber Menschen verändern sich nun mal mit der Zeit: Ich bin 40.
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