Punks, Piraten, Paranoia
20 Jahre Tote Hosen. Da muss einer zum Interview mit Campino ran, der sich auskennt. Bela B. von den Ärzten zum Beispiel. War ja sowieso allerhöchste Zeit, dass die beiden sich mal an einen Tisch setzen. PROTOKOLL: WOLFGANG HERTEL, FOTO: OLAF HEINE/ UPFRONT
BELA: Hallo Campi! CAMPINO: (pseudoförmlich) Hallo Dirk. Wie geht’s denn so?
Super. Und selbst?
Ein hundert Prozent geiler Einstieg eines Gesprächs.
Dann fangen wir jetzt mal an (blättert in seinen Notizen). Also … Ich frag einfach: Wie siehst du denn aus? Und dann sagst du.-Das liegt daran, dass ich in Russland war.
Das liegt daran, dass ich in Russland war. Ich hab‘ dort einen Film gedreht, „Edelweißpiraten“. Da spiele ich einen KZ-Häftling. Und deswegen wurden mir die Haare abgeschnitten. Und vor einer Woche war der letzte Drehtag und … … und du bist ein Edelweißpirat?
Ne, die Edelweißpiraten waren – das wird dir jetzt bisschen weh tun aus dem Umkreis von Köln und … Ich kenn die Historie der Edelweißpiraten!
Ja, aber der Leser kennt sie nicht. Das waren Jugendliche aus…
… einer Stadt bei Düsseldorf!
… aus einer Stadt bei Düsseldorf, die sich mit der Hitlerjugend geprügelt haben. Die werden auch als die Punks der 40er Jahre bezeichnet. Ich habe auch echte Edelweißpiraten kennen gelernt, die überlebt haben und sich gegen diese Bezeichnung verwahren. Weil sie sagen, den Punks von heute droht ja nichts. Aber ich sehe da schon Parallelen, weil sie eben auch durch einen gewissen Lebensstil aufbegehrt haben und … Es gab in Düsseldorf mal ’ne Punkband, die hieß so. Ich war immer bisschen neidisch, weil das ein geiler Name für eine Punkband ist, egal…
Ich spiele jedenfalls einen älteren Typen – noch bisschen älter als du -, und der ist halber Düsseldorfer.
Wow!
… da hab ich den Bogen wieder gekriegt … Ein super Gespräch!
Sein Spitzname war der Düsseldorfer. Den hat s wirklich gegeben. Und damit jetzt auch genug, der Film kommt 2003 in die Kinos. Da wird man noch ’ne Menge drüber hören. Deshalb jedenfalls die Frisur. Und das Interview hier kommt zustande, weil… …jetzt sag nur noch zur Beruhigung: Ich lass mir die Haare aber wieder wachsen.
Ich lass mir die Haare wieder wachsen. Wahrscheinlich erstmal in meiner Naturhaarfarbe, die hab ich ja zwanzig Jahre nicht gesehen. Das Interview ist ja zum Teil zustande gekommen nach dem Motto: Eine Hand wächst die andere. Weil du ja zwei Seiten für unsere Biografie geschrieben hast. Höflich kritisch. Und im Gegenzug mach‘ ich jetzt das Interview zu eurer neuen Platte. Höflich kritisch natürlich. Ich hab‘ mich auch vorbereitet und hab‘ Zettel mit, wo ich mir Fragen aufgeschrieben hab‘. Ich bin besser vorbereitet als die meisten Journalisten.
Ich mag das, wenn man vorbereitet ist.
Wie du in unserem Buch lesen konntest, war die „Opel Gang eine wichtige Platte für die Ärzte. Insofern lässt uns das ja nicht los, trotz der ganzen Feindschaftsgerüchte. Und wenn ich jetzt eure neue Platte höre …
Ja komm, lassen wir die 18 Jahre seitdem mal aus…
… dann klingt die neue Platte vielseitiger und härter als die letzten beiden …
Härter würde ich auch sagen, vielseitiger würd ich mir wünschen, aber das kann ich selber ganz schlecht beurteilen. Das Problem war, dass die „Opium“ für mich ein persönlicher Höhepunkt war, den wir mit der „Unsterblich“ nicht getoppt haben. Aber diesmal sind wir wieder mit mehr Kampfgeist ran, weil wir es echt nochmal wissen wollten.
Habt ihr denn diesmal alle Songs selber geschrieben? Für die „Unsterblich habt ihr ja viel mit Funny van Dannen zusammengearbeitet.
Es macht unheimlich Spaß, andere Leute zu treffen und mit ihnen zu arbeiten. Funny ist ein superTyp. Wenn ich mit dem zusammenhänge und wir trinken ’ne Flasche Wein, dann kommt da meistens auch irgendwas bei raus. Er hat diesmal auch wieder mitgemacht.
Ich find das ja auch geil, ich mach ja auch außerhalb der Ärzte viel mit anderen Leuten, Duette vor allem. Es macht für mich halt keinen Sinn, alleine außerhalb der Ärzte was zu machen. Das ist jetzt keine Anspielung auf meinen Kollegen. Aber im Gegensatz zu euch sind wir halt in uns geschlossen. Wir laden höchstens mal paar Bläser oder paar Streicher ein, und das war es auch schon. Ich persönlich würd ja auch lieber mehr nach außen gehen.
Wenn du 20 Jahre lang mit denselben Leuten Musik machst,ist es unheimlich spannend, mal einen dazuzuholen.der die Dinge aus einem völlig anderen Blickwinkel sieht. Das ist eine Geschichte zwischen mir und ihm. Diesmal waren alle Titel vom Grundstock her von mir, am Anfang unserer Zusammenarbeit kamen mehr Sachen, wo er den Grundstock gelegt hat. Ich denke, solange es beiden super Spaß macht, ist dagegen nichts 211 sagen. Dafür brauch ich kein Soloalbum aufzunehmen. Und ich werde auch nie ein Soloalbum aufnehmen. Wenn ich mit jemandem zusammenarbeite.der nicht in der Band istdann muss ich das innerhalbder Toten-Hosen-Geschichte machen.
Ihr seid jetzt zwanzig Jahre zusammen. Die meisten Leute, die so lange zusammen Musik machen, werden immer softer. Und bei eurem letzten Album hab ich halt auch gedacht, dass es bei den Hosen jetzt auch so weit ist, die werden immer ruhiger. Aber auf dem neuen Album geht ihr bei vielen Sachen ein Stück zurück, könnt es jetzt aber so hart und so exakt spielen, wie ihr euch das damals vielleicht vorgestellt habt, wozu ihr aber eben nicht in der Lage wart. Und ehrlich gesagt klingt die Platte auch viel besser als die Achtziger-Sachen.
Das regt mich sowieso so auf. Um die bescheuerte „Opel Gang“ wird ein Nimbus drum aufgebaut, das ist totaler Quatsch. Wenn ich das schon lese. Von wegen ‚wichtigste Schallplatten‘, und dann wird diese Scheibe da genannt. Es war okay und es hat gerumpelt, aber das war’s auch schon. Innerhalb der Band gab’s ganz andere Meilensteine, die“Learning English“. die „Horrorschau“ und die „Opium“, das waren unsere drei Dinger,die wirklich wichtig für die Band waren.“Opel Gang“ war nicht wichtig.
Für euch nicht, aber für die Arzte zum Beispiel schon. Naja gut, vielleicht ist das eben so, dass man selber das anders sieht. Andererseits hast du Recht, wenn du von Rückbesinnung sprichst. Für uns ist immer noch die schwierigste Übung, so ein traditionelles Hosen-Stück zu machen. Meine Vorbilder sind da ganz klar die Ramones. Wie die es geschafft haben, auf jeder Scheibe mit denselben Griffen drei, vier Hits zu haben, die zwar original dieselben Zutaten hatten, aber doch andere Lieder waren. Das war das Geheimnis der Ramones, und das ist das Geheimnis von AC/DC.
Titelthema
Was hast du gedacht, als Joey Ramone gestorben ist?
Es ist natürlich sehr traurig, aber er ist an einer Krankheit gestorben, für die er nichts konnte. Nicht so wie Johnny Thunders, der an Drogen gestorben ist und bei dem es – wenn er anders gelebt hätte – länger gut gegangen wäre.
Für mich ging ein Kapitel Punkrock zu Ende, als er gestorben ist. In einer Zeit, in der die Musik, die uns geprägt hat, für Teenager irgendwie zurechtgekaut wird und bei „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“ Leute mit Frisuren rumrennen, für die du früher von Bauarbeitern verprügelt worden bist, war joey Ramone für mich ein Symbol. Du hast ja auch mal gesungen: „Solange Johnny Thunders lebt.“ Aber das bist du sicher auch schon tausend Mal gefragt worden…
Abgesehen davon, dass wir die Ramones recht gut kannten und wir ihnen viel verdanken-allein unsere Erfolge in Südamerika wären ohne ihre Unterstützung nicht möglich gewesen -, waren sie immer Heroesfür mich. Anfangs hab ich sie nicht so ernst genommen, weil mir diese Bubblegum-Mentalität nicht so lag wie die ganzen englischen Working-class-bewussten Bands wie The Jam und The Clash. Ich hab das erst nachher kapiert, dass diese Fun-Nummer eigentlich die sinnvollere ist und ein längeres Leben der Band garantiert. Für mich war aber desillusionierend zu sehen, dass die Ramones in den letzten Jahren nur mehr eine Arbeitsgemeinschaft waren und nicht mehr. Das ist für einen Fan einfach immer hart. Wir haben sie ja öfter getroffen, und da war die Stimmung nicht immer rosig. Aber andererseits-vielleicht ist es ja normal, dass man sich nach so langer Zeit nicht mehr versteht. Vielleicht ist es ja bei uns eher unnormal. Vielleicht hab ich da ein falsches Bild.
Also die Freunde-für-immer-Ceschichte geht aus meiner Sicht irgendwann zu Ende. Wir, also Farin und ich, haben 1993, als wir wieder zusammenkamen, gemerkt, dass es da zwei Leute gibt, die zusammen etwas schaffen, das sie alleine nicht auf die Reihe kriegen. Farin beweist zwar momentan zumindest halbwegs das Gegenteil. Und es ist ja auch nicht so, dass wir eine Zweckgemeinschaft sind, wir verstehen uns und wir reden auch privat, aber wir müssen nicht zusammen ins Kino gehen oder zum Essen oder zum Fußball. Das machen wir vielleicht ein, zwei Mal im Jahr, weil wir uns eben monatelang sehen. Ich weiß nicht, ob ihr noch zusammen rumhängt nach einer Tour.
Es ist schon so, dass jeder von uns seinen eigenen Freundeskreis hat, aber wir glucken noch zusammen rum. Das kommt wahrscheinlich daher, dass wir nicht als Musiker angefangen haben. Wir sind ja heute wahrscheinlich noch keine, außer Kuddel, der es wirklich kann. Der Rest hat einfach mitgemacht, weil irgendwelche Kumpels irgendwas unternahmen.
Was hast du gedacht, als Wölli diesen schweren Autounfall hatte?
Das sind Schicksalsschläge, die dir klarmachen, das geht nicht für immer so weiter. Auch wenn man meint, hier läuft so die Täglich-grüßt-das-Murmeltier-Tour ab. Das ist nicht so. Ich nehme jede Scheibe so auf, als war’s die Letzte, ich geh auch auf jede Tour so, als wär’s die Letzte. Deshalb gibt’s für mich auch null Motivationsprobleme.
Ärzte – Hosen. Es gab ja immer Unterschiede, auch die Streitereien über die Jahre, die ja eigentlich keine waren. Und wir haben ja auch eine ähnliche Fan-Struktur. Viele Fans, die auf die Ärzte stehen, kommen auch zu den Hosen-Konzerten und umgekehrt. Trotzdem haben wir eine völlig andere Herangehensweise an die Musik, und ich hab mal in einem Fanzine-Interview mit dir gelesen, dass du deine Musik als Proll-Rock bezeichnest, also letztendlich als Oi-Musik.
Der ßegrtf Oi ist belegt von einer Gruppe von Leuten, mit denen wir nun gar nichts zu tun haben, also machen wir keine Oi-Musik. Ich behaupte mal, dass The Clash auch diese Prollrock-Ader hatten. Und zwar volles Rohr. Und sie hatten auch immer diese Westkurven-Mentalität, von wegen „We’re from Garageland“, und haben linksideologische Prollmusik gemacht. Ich verwahre mich gegen die Ansicht, dass einer, der links denkt, automatisch ein Softie ist und Chris de 8urgh hört. Ich finde, dass wir da auch eine gewisse Verantwortung haben und zeigen, dass man harte Musik gut finden kann und trotzdem gedanklich nicht CDU oder noch weiter rechts sein muss.
Ihr verwendet als Stilmittel ja auch diese Fußballchöre, genauso wie zum Beispiel Sham 69, die das ja schon gemacht haben, bevor dieses ganze Oi-Ding überhaupt aufgekommen ist. Ich frag das, weil ich viele Leute kenne, die euch das so bisschen vorwerfen.
Klar mag es solche Leute geben, aber ich stehe da voll dazu. Und es wäre schade, wenn das nicht mehr in uns wäre. Ich kann mich noch genau erinnern,als ich in Berlin in einem Plattenladen meine erste Sham 69Scheibe gehört habe, und es war besser als alles, was ich bis dahin gehört hatte. Es ist genau die Art gewesen,die ich geliebt habe: Du hörst einen Typen singen,der nachempfinden kann, wie es den Kids so geht, der was in der Rübe hat und der trotzdem ziemlich aggressiv rüberkommt. Ich fand’s total super.
Ja, ich auch. Aber Sham 69 haben sich ja dann auch distanziert von Bands wie den Sex Pistols, weil das in ihren Augen Showbands waren. Und ihr seid auch in gewisser Weise eine Showband und …
Die Sex Pistols als Showband zu bezeichnen war sicher nicht der hellste Moment von Jimmy Pursey. Alle haben von den Pistols gelebt. Und alle haben sich von denen inspirieren lassen.
Ja, aber es gab ja schon eher diese Working-class-orientierten Bands wie die Ruts oder die Undertones, die in Arbeiterklamotten rumgelaufen sind und sich einen Scheiß um Styling geschert haben, im Gegenteil das Hässliche noch rausgekehrt haben, während andere Bands wie The Clash sich mit diesem Boutique-Kram aus der Carnaby Street eingekleidet haben. Die Hosen hatten ja von Anfang an auch ein optisches Konzept.
Aber man kann uns nun wirklich nicht vorwerfen, wir hätten unsere Klamottenauf der Kings Road geholt.
Nein, das sag ich ja auch nicht, ihr habt sie wahrscheinlich aus dem Abfallcontainer geholt, aber ihr hattet ein Kleidungskonzept.
Natürlich, mit unserem Namen musstest di. ja in diese Richtung gehen. Und sich irgendwo zu definieren als Gang, das war einfach ein geiles Gefühl. Das ist auch für jede Band, die sich neu gründet, gut. Ich finde es immer klasse wenn fünf Jungs in ’ne Kneipe gehen und alle wissen genau, die gehören zusammen. Das ist ein großer Spaß. Und wir sind eine Gang und wir sind anders. Wir sind sogar anders als die Gruppe, zu der man uns rechnet. Wir haben nie dieses Lederjacken-Ding durchgezogen, wir hatten immer unsere beschissenen Billigklamotten an. Wir wollten die Hässlichsten sein. Das war das Ziel. Und das ist uns damals auch problemlos gelungen. Aber wenn ich heute rtoch in solchen Sachen rumlaufen würde, würde ich mich gleich auf mehreren Eben bescheiden. Ich muss auch nicht mehr so rumlaufen, ich hab inzwischen genug Knete, um mir andere Sachen zu holen.
20 Jahre Tote Hosen. Warum ist die Band noch wichtig, was kann diese Band den Leuten noch sagen? Es hat ja keine zweiten Ärzte und keine zweiten Hosen gegeben. Die Reihenfolge war übrigens bewusst gewählt, das nur am Rande. Aber dafür hat’s diese deutsche HipHop-Geschichte gegeben.
Ja, und die hat auch ihre Berechtigung. Das -ann auch gut nebeneinander exisitieren, ohne dass man sich auf die Nerven geht. Ich akzeptiere und respektiere diese neuen Bewegungen, aber ich muss mich denen nicht anbiedern. Ich mache das, was wir immer gemacht haben
aus der Sicht eines heute 30-Jährigen. Ich will mich da nicht selber bescheiden, ich schreibe keine Lieder für andere, ich will keine Erwartungshaltung bedienen. Ich mach das, was mir so durch den Kopf geht, (schielt in Belas Unterlagen) Du hast dir ja echt als Stichwort „Donots“ aufgeschrieben! Wahnsinn! Auf so eine Idee würd ich gar nicht kommen.
Nein, es ging mir um Punkrock heute! Ich hab mir drei Bands aufgeschrieben, Kassierer und Donots,…
Beatsteaks! Schreib doch mal die Beatsteaks auf!
Die Beatsteaks sind genau dazwischen, weil die wollen dahin, wo die Donots sind und …
Das glaub ich nicht. Die haben das gar nicht nötig.
Kassierer und Donots hab ich mir deshalb auf geschrieben, weil Bands wie Die Kassierer stehen für Prollrock, so ähnlich wie ihr und…
Na ja, ich will diesen Begriff Prollrock jetzt nicht kultivieren. Ich hab kein Problem damit, wenn jemand uns so bezeichnet, das ist mir scheißegal, aber…
Was ich auch damit sagen wollte ist: Diese Bands stehen eher für Underground-Punk, also Punkrock, der wirklich nur über Plattenläden und Mundpropaganda existiert und höchstens in Fanzines stattfindet, und die Donots stehen für dieses Overground-Ding, also für MTV-Kampagnen, und da stehen unsere beiden Bands dazwischen, weil wir das alles durchgemacht haben. Natürlich treffen sich unsere Manager mit irgendjemandem von VIVA, und dann machen die was aus und konzipieren eine Kampagne …
Aber dagegen gibt s ja auch nichts zu sagen.
Ja, aber nochmal zu den Donots. Da wird aus einer Band, die vorher nur ein Mini-Album draußen hatte, plötzlich ein Riesending gemacht. Du musst dir heutzutage nicht mehr den Arsch abspielen, um Leute von deinen Qualitäten zu überzeugen, weil das kannst du letztendlich alles mit einem Videoclip machen. Ich find’s halt nur pervers, wenn du für ein ganzes Album 100.000 Mark ausgibst und für ein einziges Video 300.000 Mark.
Natürlich ist das pervers, aber das muss man akzeptieren, genauso wie du akzeptieren musst, dass diese Bro’Sis 800.000 Platten in einer Woche verscherbeln, und das in einem Markt, der einbricht. Das ist natürlich eine Form von Wettbewerbsverzerrung, wenn da jeden Abend über RTL II stundenlang Werbung gemacht wird und die Produktionsfirma sich 90 Prozent der Gelder wegsteckt und diese Typen da angestellt sind für 4000 Mark im Monat. Das ist schon eine krasse Entwicklung. Aber ich möchte darüber nicht jammern, die Leute da draussen kriegen, was sie verdienen, und wenn sie das wollen, dann sollen sie sich diese McDonald’s-Scheiße eben geben. Ich denke darüber nicht weiter nach, damit muss man leben. Und man muss auch damit leben, dass andere heute mit einem Video über Nacht berühmt werden. Aber ich denke, uns hat es damals nur geholfen, lange zu spielen und uns damit eine Fanbasis zu erspielen. Vielleicht ist das auch der Grund, warum es Bands wie uns und euch noch gibt, weil da halt vielleicht mehr Substanz und ein anderes Durchhaltevermögen dahinter stecken. Und schau dir doch die an, die mit einer Single für eine Saison lang berühmt sind, ob sie nun Fool’s Garden heißen oder sonstwie. Viele von denen stürzen auch echt übel ab.
Ich finde halt, dass es bestimmte Teile von eurer Musik gibt, die hebt man oder die hasst man.
Zlatko zum Beispiel. Where is he now?
Also ich find den ja jetzt erst richtig gut. Ich glaub noch an den.
Der wird ja jetzt noch eingeladen in Schuhgeschäfte und so… Das ist so die Karriere von Roy Black im Zeitraffer. Jetzt schon bei den Schuhgeschäften. Vielleicht wird er sich ja bald vom Balkon werfen.
Mein bester Freund, kein großer Hosen-Freund, ehrlich gesagt, gar kein Hosen-Fan, hat was gesagt, was ich symptomatisch finde, auch für den Umgang mit eurer Band. Er hat gesagt, dass er das Video zur neuen Single gesehen hat, fand es bis zum Refrain „total geil, danach eben typisch Hosen“.
Wir werden den Refrain sofort rausschneiden.
Was soll ich dazu sagen, ich kann nur das machen, was in meiner Kraft steht, um das zu ändern, aber es reicht halt nicht.
Irgendwann haben sie mich gefragt, warum wir nicht in Talkshows gehen, und da hab ich gesagt, ich hab keinen Bock, in Talkshows zu gehen, weil ich immer das Gefühl habe, die Tür geht auf und Campino kommt rein. Du warst einfach mal eine Zeit lang überall und hast zu jedem Thema was gesagt, ich hatte mal… Das tut mir ja total leid, dass ich Deutschland einen genialen Entertainer vorenthalten habe, der nur wegen einer Paranoia vor mir nicht ins Fernsehen gegangen ist.
Nee echt, ich hatte mal so ein Aha-Erlebnis in einem Hotelzimmer. Da liegen ja immer paar Zeitungen aus, und da war in der „Fit For Fun“ ein Reisebericht von dir drin, daneben war irgendeine Frauenzeitschrift, nicht „Amica“ … „Cosmopolitan“.
Genau, und da war dann irgendwas über Romantik von dir … Das hat dich fertig gemacht, was?
Da hab ich gedacht, das kann doch nicht sein, der Typ… Aber so leb ich, mein Lieber, Romantik, die große weite Welt…
Und dann mach ich den Fernseher an und du sitzt in einer Talkshow und sagst: Letztendlich bin ich auch ein Alkoholiker, weil in der Sendung ging’s über Alkoholismus, da dacht ich mir, der kann doch nicht zu jedem Thema…
Das gibt’s. Alkoholiker, die durch die Anden reiten und trotzdem ein romantisches Feeling haben. Hier ist einer. Und darüber wollten alle berichten. Nee, es war einfach eine Zeit lang auch für mich spannend, eine Sendung zu machen. Wenn mich ein Thema interessiert hat, sowieso. Dann hab ich so eine Art Sendungsbewusstsein, aber es gab definitiv Sachen, die wir gemacht haben, wo ich hinterher überlegt habe, musste das jetzt sein.Wo du mit einer Intention hingehst und sie nicht durchkriegst. Und dann siehst du wie der Arsch aus. Aber es gab auch Sendungen, wo ich es geschafft habe, Leute reinzulegen, und das war mir wichtig, das zu tun. Harald Schmidt zum Beispiel, ich hatte das Bedürfnis, dem Typen mal eine zu geben. Und das hatja wohl auch geklappt, weil wir sind seitdem auf der schwarzen Liste. Und der Typ hasst mich, nicht ohne Grund.
Für uns ist Harald Schmidt ja einer der wenigen Leute, wo wir hingehen und die wir achten. Ich habe deinen Auftritt bei ihm auch gesehen und hatte das Gefühl, dass ihr aneinander vorbeiredet.
Das kann ja sein, ihm hat’s jedenfalls nicht gefallen. Aber nochmal zurück zum Fernsehen. Wo gibt es denn außer auf MTV und VIVA noch ’ne Musiksendung, die irgendwo Sinn macht? Du musst ja Kompromisse eingehen. Das geht bei Harald Schmidt schon los. Klar kannst du mit deinem persönlichen Geschmack rechtfertigen, dass du da hingehst, aber das ist eine ständige Frage, wieweit machst du Kompromisse. Wir sind da manchmal zu weit gegangen, hat uns auch selber am meisten geärgert. Wir machen auch weniger inzwischen. Aber ich verurteile nicht generell Talkshows. Es gibt immer wieder so Momente in einer Sendung, da kommt einer angesoffen rein, oder du merkst, da ist irgendwas nicht in Ordnung, wann fällt der um, da bleibst du doch dran. Als Fernsehzuschauer zieh’ich mir eher eineTalkshow rein, wo die Gefahr besteht, dass da gleich was schiefgeht, als eine Vorabendserie.
Aber wenn du heute in eine Talkshow gehst, passiert doch auch nichts.
Es ist doch immer so ein kleines Spielchen: Wer nutzt wen aus? Ich möchte die ausnutzen, indem ich Werbung mache für unsere Scheibe. Und die möchten mich ausnutzen. Und meistens war es so nach dem Motto: Jetzt sagt der Paradiesvogel mal was ganz Verrücktes, und die Nummer wollt ich nicht bedienen. Das ist nicht immer gelungen, und schon gab’s Leute wie dich, die eine Paranoia davon bekommen haben.
Aber ich mach ja jetzt rechtzeitig zum neuen Album ein Interview mit dir…
… und du weißt, dass du dafür einen gut hast.
Nee, das ist ja quasi der Ausgleich dafür, dass du in unserem Buch, dass es für 100 Mark überall zu kaufen gibt, zwei Seiten geschrieben hast.
Aber dafür muss man sich doch nicht gleich das Buch kaufen, die zwei Seiten kann man sich ja auch rauskopieren. Dos komplette Gespräch der beiden gibt’s unter www.musikexpress.de GÜ