The Libertines
Anthems For Doomed Youth
Universal VÖ: 11. September 2015
Elf Jahre nach der Auflösung veröffentlicht die Band ihr drittes Album – mit viel Vergangenheitsbewältigung und ein paar Indie-Rock-Anthems.
Dass es dieses Album eines Tages geben würde, sollte niemanden überrascht haben. Die Band – inklusive Peter Doherty nach dem Rausschmiss 2004 – hatte sich schließlich in den vergangenen Jahren immer wieder für Konzerte zusammen auf einer Bühne eingefunden, um die alten Schunkler zu spielen. Und das trotz aller Streitereien zwischen Doherty und Carl Barât, den einstigen best buddies. Jüngst verliefen diese Auftritte für Bandverhältnisse derart professionell ab, dass die disziplinarische Höchstanforderung einer Studioproduktion gar nicht mehr abwegig schien. Einzige Bedingung: ein verträgliches Verhältnis zwischen Barât und Doherty, die aus ihrem jugendlichen Romantikgespinst Anfang der Nullerjahre die Libertines erschaffen hatten. Sprich: ohne „Barât & Doherty“ keine Band.
Die zwei, man hört es raus, mögen sich wieder. Und dass dieses Album jetzt in Anschluss an Dohertys Drogenentzug in Thailand in Rufweite des Goldenen Dreiecks entstanden ist, ist ja nur logisch. Der Hang zur Legendenbildung war in dieser Band stets sehr ausgeprägt. Dohertys Wille, vom Heroin wegzukommen, ist folglich Katalysator für und gleichzeitig überschattende Thematik von ANTHEMS FOR DOOMED YOUTH. Für die Band bedeutet das Vergangenheitsbewältigung: die Vorabsingle „Gunga Din“ beginnt als verschleppter Fiebertraum. Dohertys Eingeständnis, wieder „eine Vene finden zu müssen“, klingt so verzweifelt, bis der alte Freund Barât ihm endlich im mitreißenden Refrain zur Seite springt: „Oh, the road is long, if you stay strong, you’re a better man than I.“ Das sind berührende Zeilen der Vergebung für jemanden, der nach dem Exzess sichtlich unter seiner Abhängigkeit leidet.
Süchtig, so sagt man, bleibt man auch nach dem Entzug, und folglich ist das Thema auf der Platte damit nicht abgehandelt, hält das Album trotzdem nicht richtig zusammen. Die Songs klingen wie klassische Libertines-Hymnen (Jingle-Jangle auf „Heart Of The Matter“; Singalong-Refrain von „Belly Of The Beast“), teils wie schöne Versatzstücke aus den Solojahren (Dohertys Reggae-Färbung bei „Barbarians“; Barâts Seefahrer-Melancholie auf „Iceman“).
Dennoch fehlt ein Verweis, dass die Band im Jahr 2015 angekommen ist. Viel ist die Rede von „going nowhere“, „impossible dreams“, dem „most pissed-up motherfucker“, und klar leben die Libertines vom Wahnsinn im Selbstreferenziellen. Nur waren ihre Songs, selbst bei starker Ich-Bezogenheit, immer auch Gradmesser für das, was es bedeutete, jung zu sein und im Hier und Jetzt zu leben. Dieser Schlüsselreiz fehlt ANTHEMS FOR DOOMED YOUTH. Momentan, so scheint es, kreist die Band ausschließlich um sich und das Vergangene.