The Smile im Interview: „Wir mögen die Gefahr“
Ein Gespräch über Auszeiten, künstlerische Freiheit, alte Krautrock- und neue Heavy-Metal-Vorlieben.
Wer sich fragt, was für einen Narren Tom Yorke und Jonny Greenwood an ihrer Projektband The Smile gefressen haben und wann es denn nun endlich bei Radiohead weitergehe, sollte sich vielleicht noch mal die Wikipedia-Einträge zu einigen zentralen Albumproduktionen der Hauptband durchlesen. Am Ende standen epochale Werke, aber eine durchschnittliche Radiohead-Produktion ist ein höchst komplexes, meist mehrjähriges Unterfangen, an dessen Ende alle fünf Mitglieder mehr oder weniger zufrieden sein müssen, auch wenn Tom Yorke meist das Recht des letzten Worts hat. So etwas kostet Kraft. Ganz anders The Smile: 2018 als füchtige Idee mit dem Sons-of-Kemet-Schlagzeuger Tom Skinner erdacht, sind zuletzt drei Smile-Alben in zwei Jahren erschienen, hinzu kommen diverse Tourneen. Bei der Session für die beiden in diesem Jahr erschienenen Alben, WALL OF EYES und CUTOUTS, richteten The Smile in den Abbey Road Studios unter anderem einen Malraum ein, in dem gemeinsam mit Stanley Donwood die Cover-Artworks der beiden Alben entstanden, während Yorke, Greenwood und Skinner parallel ohne jeglichen Druck mit dem Produzenten Sam Petts-Davies die Musik aufnahmen. Eine offene, improvisatorische Arbeitsweise, die insbesondere für Greenwood und Yorke ein befreiender Ausgleich zum Koloss Radiohead sein muss, so stellt man sich das jedenfalls vor. So ganz genau konnte man es bislang nicht sagen, weil zur musikalischen Selbstbefreiung von The Smile konsequenterweise der weitgehende Verzicht auf Interviews gehört. Bis jetzt: Hier spricht Jonny Greenwood exklusiv über The Smile, auf geht’s!
Das jüngst erschienene CUTOUTS ist bereits das zweite The-Smile-Album binnen eines Jahres, produziert wurde es parallel zum Anfang des Jahres erschienenen WALL OF EYES. Hattet ihr von Anfang an vor, die Ergebnisse der Sessions als zwei separate Alben zu veröffentlichen?
Nein, das hat sich erst ergeben. Wir sind aber zu dem Schluss gekommen, dass es dieser Musik am ehesten gerecht wird, nicht mehr als acht oder zehn Songs auf einmal zu veröffentlichen. Deshalb haben wir uns für zwei kompakte Alben entschieden. Es gab dann natürlich wilde Diskussionen, welche Songs auf welches Album kommen, an deren Inhalt ich mich aber nicht mehr genau erinnern kann. Ich weiß nur, dass am Ende zwei gute Alben stehen, mit denen wir sehr zufrieden sind.
Aber irgendwelche Kriterien muss es ja gegeben haben, nicht?
Letztlich ging es vor allem um Zeit. Tom vergleicht den Prozess und die Situation im Studio zu der damaligen Zeit gerne mit dem Atelier eines Malers: überall stehen Leinwände und Staffeleien, einige Bilder sind fertig, andere wurden nie zu Ende gebracht, weitere stehen kurz vor ihrer Vollendung, und dann gibt es noch ein paar Bilder, an denen die Arbeit gerade erst begonnen hat. So war es auch mit diesen Songs, die fertigen kamen auf Wall of Eyes, wir wussten aber, dass wir genug für zwei Alben haben.
Da ihr bislang kaum Interviews gegeben hat, kennen wir die Geschichte nur auszugsweise: Wie genau und warum habt ihr The Smile damals gegründet?
Zum ersten Mal haben wir uns im Sommer 2018 getroffen, es hat also eine ganze Weile gedauert, bis daraus eine Band geworden ist. Während der Coronazeit haben wir in- und außerhalb der diversen Lockdowns gearbeitet, Ideen digital ausgetauscht, schließlich erste Songs aufgenommen und Konzerte gespielt. Das ist alles einfach so passiert, weil wir uns als Dreiergruppe enorm produktiv gefehlt haben. Durch die Triobesetzung sind wir wahnsinnig flexibel und schnell.
Das Lächeln ist einer der vielsagendsten menschlichen Gesichtsausdrücke. Was für ein Lächeln ist das Lächeln von The Smile?
Tom bezeichnet das Ted Hughes-Gedicht „The Smile“ als Inspiration. Ich selbst bevorzuge das gleichnamige Gedicht von William Blake, in dem es um die von dir erwähnte Mehrdeutigkeit geht. Tatsächlich liegen wir dann also vermutlich irgendwo zwischen diesen beiden Gedichten.
Beide Gedichte sind nicht eindeutig interpretierbar. Selbiges gilt für die Musik von The Smile. Gab es dafür überhaupt eine konkrete Idee oder ging es vielmehr darum, einmal keine Idee, kein übergeordnetes Konzept zu haben?
Vermutlich, ja. The Smile ist vor allem entstanden aus kreativer Frustration und dem Wunsch, ungezwungen, schnell und mit einem gemeinsamen Ziel zu arbeiten.
Und wie wichtig ist euch Freiheit?
Es kommt darauf an. Freiheit kann sich auch paralysierend auswirken, es gibt ja auch die Freiheit, nichts zu tun. Diese Art von Freiheit wäre kontraproduktiv. Es geht bei uns eher um Hunger: den Hunger nach der nächsten Idee, dem nächsten Konzert.
Genießt ihr es, mit The Smile völlig frei von den großen Erwartungen einer Megaband wie Radiohead arbeiten zu können?
So würde ich es nicht formulieren. Es ist einfach anders. Radiohead ist eine großartige Band, The Smile fühlt sich etwas leichtfüßiger an. Ich bin sehr froh und dankbar für die Möglichkeit, auf diese Weise noch mal einen zweiten Start hinlegen zu können.
Als Bezugsgröße steht Radiohead natürlich automatisch im Raum. Schon vor der Produktion von OK COMPUTER habt ihr damals davon gesprochen, das Album im Stil alter Krautrock-Bands wie Neu!, Faust oder Can aufnehmen zu wollen. Überhaupt ziehen sich Krautrock Verweise durch die Geschichte von Radiohead. Seid ihr dieser Idee mit The Smile jetzt nähergekommen als je zuvor?
Wir beziehen uns alle ständig auf diese Bands und lesen alles über sie. Für alles, was wir machen, waren sie von unschätzbarem Wert. Klar ist aber auch: Man kann diese Musik nicht kopieren, sondern muss immer seinen eigenen Weg finden. Eine Krautrocktypische Sache, von der wir uns mit The Smile inspirieren ließen, ist die merkwürdige Mischung aus melodischer Einfachheit und rhythmischer Komplexität, die viele dieser Platten haben. Genau diese Mischung macht den sogenannten Krautrock so viel besser und anders als herkömmlichen Progressive Rock derselben Zeit.
„Bodies Laughing“ ist einer der Songs, dem man die Krautrock-Inspiration gut anhört, womöglich wegen der eben beschriebenen Kombination aus melodischer Einfachheit und rhythmischer Komplexität. Eine dieser typischen strahlenden Thom-Yorke-Melodien zu einer reduziert beginnenden Musik, die sich im weiteren Verlauf steigert, dabei aber denkbar beiläufg wirkt. Wie entsteht so ein Song?
Wir hatten eine schnelle Version, die wir live gespielt haben, die sogar noch ein bisschen mehr nach Krautrock klingen sollte. Aber als wir sie im Studio spielten, hatten wir das Gefühl, das Tempo werde dem Song nicht gerecht. Also nahm Tom seine Konzertgitarre und übernahm die Führung, übrigens die einzige Gitarre mit Nylonsaiten, die er überhaupt besitzt. Wir entschieden: Der Song muss sich dem Arrangement unterordnen, nicht umgekehrt.
Kennst du das japanische ästhetische Konzept des Wabi-Sabi, bei dem es, vereinfacht ausgedrückt, darum geht, Schönheit in der Unvollkommenheit zu finden? Daran musste ich denken, als ich The Smile zum ersten Mal gehört habe.
Ich bin damit vertraut und empfinde das als Kompliment, das muss ich unbedingt den anderen erzählen. So betrachtet, ist mein Gitarrenspiel also durchaus schön und harmonisch, nicht? (grinst)
Unvollkommen, aber fraglos schön ist auch „Foreign Spies“, ein Song, den ihr zunächst bei diversen Soundchecks vor Konzerten gespielt habt. Man stellt sich das so vor, als würdet ihr da rumjammen und am Ende steht ein Song. Ist es wirklich so?
Keineswegs. Das war zum Beispiel eine Sequenz, an der ich schon eine ganze Weile gearbeitet hatte. Tom hat dann darüber gesungen und den Song zum Leben erweckt.
Der improvisatorische Charakter mancher Songs kommt live noch mehr zum Tragen. Auch wenn ihr die Songs hauptsächlich in ihren Studiofassungen auführt, könnte man bei den Konzerten den Eindruck gewinnen, der Entstehung dieser Musik beizuwohnen. Bewusst?
Wir mögen die Gefahr bei Konzerten. Ohne Risiko kein Spaß. Es muss sich für uns immer ein bisschen wie ein Glücksspiel anfühlen, wenn nicht jederzeit die Gefahr besteht, dass wir durch fehlerhaftes Drücken einer Taste versehentlich ein Instrumental auslösen, wenn nicht jederzeit etwas schiefgehen könnte, würden uns die Auftritte keinen Spaß machen. Wir brauchen Fehler, die wir anschließend verbessern können. Das ist es, was uns vor allem antreibt.
Die größte potenzielle Fehlerquelle bist vermutlich du: Auf dem neuen Album ist ein Orchester zu hören und jede Menge weitere Instrumente, die man live trotz eines zusätzlichen Musikers unmöglich in dieser Besetzung spielen könnte. Wir kompensierst du das?
Vor mir steht bei den Konzerten ein Keyboard auf dem Boden, das ich mit den Füßen spiele. Der Plan ist eigentlich, dass dieses Keyboard klingt wie ein 40-köpfiges Orchester. Interessanterweise gelingt das nie. Ich werde es natürlich trotzdem immer wieder versuchen.
Schätzt ihr die Triobesetzung also eigentlich deswegen so sehr, weil man sich in ihr nicht verstecken kann?
Sie versetzt uns jedenfalls in eine ziemlich exponierte Situation. Wenn drei Leute spielen und einer mittendrin aufört oder einen Fehler macht, hört man das sofort.
Wenn man eure Musik noch genauer analysiert, stößt man auf zahlreiche Einflüsse und Querverweise: Jazz, Kraut, elektronische Musik, Afrobeats, Indie, Prog-Rock, Postpunk, Avantgarde – man könnte ewig so weitermachen. Wie bewusst kreiert ihr diese Vielfalt, wie analytisch arbeitet ihr an Songs?
Wir hören alles, was du aufgezählt hast, und haben das immer schon getan. Also sind wir wohl zwangsläufig von diesen Genres infiziert. Ich kann nicht sagen, wie bewusst das geschieht. Diese Stile liegen uns einfach und ich bin mir nicht sicher, ob wir überhaupt eine andere Art von Musik machen könnten. Das würde man uns vermutlich nicht abnehmen, selbst wenn wir es versuchen würden. Ich liebe zum Beispiel Dub-Reggae aus den 70er-Jahren, aber würde man wirklich hören wollen, wie ausgerechnet ich diese wunderbare Musik quäle? Wir spielen permanent an unseren musikalischen Grenzen, das gilt jedenfalls für Tom und mich. Das ist alles, was wir können, mehr ist da nicht. Es gibt also keine andere Richtung, die wir beide bewusst einschlagen könnten. Bei Tom sieht die Sache anders aus.
Für Tom Skinner ist es bei The Smile auch aus einem anderen Grund anders als für Thom und dich, weil für ihn alles neu ist, während ihr seit Ewigkeiten eingespielt seid. Wie bringt ihr eure Routinen mit Toms frischem Input und seinem Jazz-Hintergrund in Einklang?
Er hat uns dazu gebracht, unser Spiel zu verbessern und viele neue Ansätze auszuprobieren. Auf nahezu gefährliche Weise hat er uns der stürmischen See der wilderen Seite des zeitgenössischen Jazz ausgesetzt. Wir können das natürlich alles überhaupt nicht spielen, lernen aber wahnsinnig viel dabei.
Mit Skinner teilt ihr außerdem die genreübergreifende Begeisterung für Musik, er ist ja kein reiner Jazz-Schlagzeuger. Gibt es außer Reggae weitere Musikrichtungen, die überhaupt nicht zu The Smile passen würden?
Die meisten! Ich hatte zum Beispiel noch nie eine Heavy-Metal-Phase in meinem Leben – obwohl Sam mich während der Aufnahmen für die japanische Band Maximum the Hormone begeistern konnte. Und Tom hat schon immer die ebenfalls aus Japan stammende Band Boris geliebt. Also wer weiß, vielleicht ja demnächst sogar Metal.
Während die Inspiration für The Smile und andere Projekte scheinbar nie versiegt, habt ihr für das aktuelle Radiohead-Album A MOON SHAPED POOL auf alte Ideen zurückgegriffen. Was macht es so schwierig, eure vielen neuen Ideen in Radiohead-Songs umzusetzen?
Ed (O’Brien) nimmt gerade Soloalben auf, Philip (Selway) und Colin (Greenwood) sind ebenfalls mit großartigen Projekten beschäftigt. Ich denke, wir brauchen einfach alle etwas Zeit, um als Gruppe wieder kreativ frisch und fit zu werden. Eine Weile müssen wir diesen Weg getrennt gehen, jeder fr sich.
Gibt es eine Selbstzensur beim Songwriting, versucht ihr bewusst sicherzustellen, dass die Songs nicht zu sehr nach Radiohead klingen?
Ich denke, das ergibt sich ganz automatisch: Durch die Triobesetzung sind wir eingeschränkt, das verändert den gesamten künstlerischen Prozess und also auch das Ergebnis.
Was bedeutet Erfolg für The Smile auch vor dem Hintergrund der gigantischen kommerziellen Erfolge, die ihr mit Radiohead erreicht habt?
Es geht einzig und allein um das Momentum, das wir hier und jetzt haben – und um den Blick nach vorne. Jedes Mal, wenn man über die Schulter schaut, wird man langsamer. Also ist es am besten, immer nach vorne zu schauen und geradeaus weiterzulaufen. Es liegen noch viele interessante Entscheidungen vor uns.
Im Laufe der Jahre hattet ihr alle stets parallel zu Radiohead auch andere Projekte, aber aus keinem davon wurde eine vergleichbar lange Geschichte wie jetzt mit The Smile. Was ist dieses Mal anders?
Es fühlt sich einfach richtig an. Wie sind denn die nächsten Pläne, geht das jetzt so weiter mit The Smile? Der Plan ist, niemals länger zu planen als fr die nächsten paar Wochen, ich weiß es also selbst nicht.