Weezer
WEEZER (BLUE ALBUM) – 30TH ANNIVERSARY EDITION
Geffen/Universal (VÖ: 1.11.)
Das Debüt der Power-Pop-Veteranen strahlt nach 30 Jahren wie am ersten Tag.
Es war ein kleines Mysterium, dass Rivers Cuomo mit seiner Band Weezer den Zeitgeist traf. Der Zeitgeist, das war damals im Jahr 1994 Alternative Rock. Nirvana hatten die Charts gestürmt, die alte Garde von Michael Jackson bis Guns N’ Roses entzaubert und ein neues Anti-Heldentum etabliert: Attitüde zählte wieder mehr als ein schnell gespieltes Gitarrensolo. Erfolg war etwas, das einem passierte. Man begegnete ihm skeptisch bis ablehnend. Zumindest ging so die Erzählung, die sich gut vermarkten ließ. Dann starb Nirvana-Frontmann Kurt Cobain, und die Pop-Welt suchte einen neuen Protagonisten für diese Erzählung.
AmazonAls wenige Wochen später zum ersten Mal „Undone – The Sweater Song“ auf MTV lief, schien er gefunden: ein schmächtiger Mann mit Topfhaarschnitt vor himmelblauem Hintergrund. Er sang von einem Pullover, eine Metapher für seine Anxiety: Zieh an einem Faden und ich löse mich auf! Das war Musik für Außenseiter. So wie Grunge, aber weniger nihilistisch. Der nächste Schritt. Und ein großes Missverständnis. Denn der, der da sang, eignete sich nur schlecht als Stimme einer Generation: Cuomo war nicht Cobain. Seine Überzeugungen waren andere, sein musikalischer Hintergrund erst recht: Die Gitarrenmelodie des „Sweater Song“ hatte er bei „Welcome Home (Sanitarium)“ von Metallica entlehnt. Er war in einem Ashram in Connecticut aufgewachsen und 1989 nach L.A. gezogen, um in Hair-Metal-Bands zu spielen. Erst später, als er im Plattenladen Tower Records arbeitete, entdeckte er Bands wie Velvet Underground und Sonic Youth und versuchte, Songs zu schreiben wie sie. Ein Ratt-Fan, der klingen wollte wie Lou Reed – das hätte eigentlich schiefgehen müssen. Aber Cuomo fand seine Nische und seine Band.
Mit Weezer verband er süße Melodien mit Powerchords, kombinierte die Laut/leise-Dynamik der Pixies mit seinem Können als Lead-Gitarrist. Am wichtigsten aber: Er verbarg nicht, wer er war. Das hatte er sich von Cobain abgeschaut. Er sang von Tschu-Tschu-Zügen und den X-Men, von Eifersucht und Einsamkeit, den Bullys, die ihn mobbten, und der Garage, die ihm als Zuflucht diente. Dass das bei coolen Kids verfing, hatte viel mit Cuomos Mitstreitern zu tun: Bassist Matt Sharp verlieh der Band Indie-Cred, Drummer Pat Wilson brachte Humor hinein, mit Brian Bell, der erst kurz vor den Aufnahmen als Gitarrist dazu kam, hatten Weezer sogar einen Schönling im Line-up. Für den Erfolg waren zwei weitere Männer entscheidend: Ric Ocasek, Ex-Frontmann der Cars, der ihre Platte produzierte und Cuomo überredete, den Hit „Buddy Holly“ nicht aufzusparen. Und Regisseur Spike Jonze, der ein ikonisches Video dazu drehte, das erst MTV eroberte und später auf der Windows 95-CD-ROM die Computer.
Ein solches Werk ist durch zusätzliches Material kaum aufzuwerten
All das verhalf Weezer zum Durchbruch und kaschierte, dass Rivers Cuomo eines ganz bestimmt nicht war: cool. Er gab den schüchternen Nerd nicht nur, er war wirklich einer. Und als er die Tür zu seinen Neurosen und Ängsten auf der zweiten Platte PINKERTON noch ein Stückchen weiter öffnete, würden sich viele Fans zunächst peinlich berührt abwenden – bevor sie Cuomo dafür erst recht wieder auf ein Podest stellten. Aber von all dem ahnte man im Sommer 1994 noch nichts. Das unbetitelte Debüt, besser bekannt als „Blue Album“, fand 15 Millionen Käufer. Es war so erfolgreich, dass Weezer später Sequels in den Farben Grün, Rot, Türkis, Weiß und Schwarz nachlegten. Keines erreichte jedoch die Klasse des Originals. Wie auch? Blue war perfekt – vom gezupften Intro („My Name Is Jones “) zur post-orgiastischen Erschöpfung am Ende von „Only In Dreams“. Die Platte wuchs und wuchs mit jedem Hören und hat bis heute nichts von ihrer Strahlkraft verloren.
AmazonEin solches Werk ist durch zusätzliches Material kaum aufzuwerten, aber der runde Geburtstag verlangt eine Neuauflage. Dafür hat man allerhand Live-Aufnahmen und Demos ausgegraben, darunter die bereits bekannten – und nicht wahnsinnig hörenswerten – „Kitchen Tapes“ aus dem Jahr 1992. Essenzielle B-Seiten wie „Susanne“ und „Mykel & Carli“ fehlen hingegen, um Dopplungen zur „Deluxe Edition“ von 2004 zu vermeiden. Fans dürfen sich über die Verpackung im blauen Strickpullover freuen, über ein 24-seitiges „Weezine“ sowie ein Poster der vier Band-Mitglieder in Kiss-Make-up. Vielleicht hilft’s, die Midlife Crisis zu schultern. Aber nur die ursprünglichen zehn Songs bringen es zurück, dieses Gefühl von damals: Der Himmel ist blau, und der Rest deines Lebens wird schön. Yeah.
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